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1999
48. Jahrgang
Ausgabe 05
Mai (Inhalt)

© nmz und
autoren 1999

  nmz - neue musikzeitung

Kupo / Medien

Seite 7

Autor:
Claus-Henning
Bachmann

 

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Tagebuch

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Fischpredigt da capo

„Gefällt dir das, was du da schreibst?“ Die Frage einer Kompositions-Schülerin an ihren Lehrer, den 1953 geborenen Österreicher Georg Friedrich Haas, war sicher ein wenig provozierend gemeint. Aber sie hat ihre grundsätzliche Berechtigung. Am Ende der 17. Musik–Biennale Berlin, des in der DDR etablierten und von den Berliner Festspielen weitergeführten Internationalen Festes für zeitgenössische Musik, zeigt sich, daß Fragen dieser Art über die Zukunft nicht nur des Musikfestes, sondern der Gegenwartsmusik schlechthin entscheidend mitbestimmen: Es muß gefallen, was geschrieben wird – gewiß nicht allen, aber auch nicht nur Kritikern, Komponisten und anderen Insidern, sondern jenen, die entschlossen sind zu hören.

Der siebzehnte war, meine ich, ein guter Jahrgang (Isabel Herzfeld hat ihre Meinung in der Nr. 4 geäußert und begründet). Und das nicht zuletzt deshalb, weil es den weitaus meisten, die gekommen waren, offensichtlich „gefallen“ hat; ich schließe das aus der lautlosen Konzentriertheit, mit der selbst extrem leise Kompositionen von Nono oder Lachenmann oder auch – um eine jüngere zu nennen – Juliane Kleins Kammermusik für 18 Streicher, „Aufriß“, ein spannungsvoller Inside-Outside-Prozeß, aufgenommen wurden. Was aber meint dieses „Gefallen“, wenn es um die Musik der Gegenwart geht? Die Annahme des Fremden, noch im Vorfeld des Verstehens, das beim ersten Hören nicht vollends zu haben ist. Ich greife damit einen Gedanken auf, den Klaus Georg Koch in der „Berliner Zeitung“ äußerte: Mehr als andere gesellschaftliche Veranstaltungen schaffe „Neue Musik ein Bewußtsein dafür, daß dem eigenen wohlorganisierten Denken enge Grenzen gesetzt sind – das Gefühl, nichts zu verstehen! ...“

Eine Komposition wie „Monodie“ von Haas, mit dem unerwarteten Zitat von Tonalität, e-moll und As-Dur-Flächen, trugschlüssig auf Wagner hindeutend, verbirgt das Fremde hinter dem vermeintlich Bekannten. Mathias Spahlinger verdeckt dialektisch das Bekannte, die Selbstaufhebung scheinbar revolutionärer Avantgarde, durch das Fremde; ich nenne es ein Kondensat der Avantgarde, geschichtsphilosophisch hinterfragt: „inter-mezzo, concertato non concertabile tra pianoforte e orchestra“ – so der Titel seines nach der Uraufführung von 1988 erstmalig wiederaufgeführten Klavier-„Konzerts“. Das fremd zu hörende Bekannte hat Spahlinger 1978 als das Auseinanderfallen von „gesetztem Sinn“, herstellbar mittels Satz-Technik, „und dessen Evidenz“ beschrieben. Evident, unmittelbar einleuchtend, wird die Gegenwartsmusik nicht durch das, was wir an ihr zu verstehen meinen, sondern wenn sie sich endlich sinnstiftend in die konventionellen Programme einschleicht.

Der Heilige Antonius möge den Fischen noch einmal und immer wieder predigen, da capo – da capo. Denn „die Predigt hat g’fallen“: das ist Mahlers letztes Wort in „Des Antonius von Padua Fischpredigt“. Und daß sie alle bleiben, wie sie waren, mag bei Menschen, die hören, dazu beitragen, daß sie werden, was sie sind. Und wenn sie denn gar nichts hören, nichts verstehen, so hat doch „kein Predigt niemalen / den Fischen so g’fallen“.

 

Entsorgung

Vor dem Opernhaus in Hanoi stehen im Februar 1994 zwei riesige Coca-Cola-Flaschen. Man schritt, denke ich, mit gemischten Gefühlen auf der Freitreppe diesen Ausrufezeichen der Werbung, den Markenzeichen aus der Freien Welt, entgegen. Drei Berliner Klaviere, gerade noch sowenig verstimmt, daß Mozart auf ihnen klingt, wenn auch etwas schräg, stehen im April 1999 in der Ausstellungshalle des Berliner Hauses der Kulturen der Welt und signalisieren, in eine blühende Landschaft verwandelt, den „Frühling“; eine Kiste mit einem Plattenspieler namens „Mephisto“ birgt ein musikalisches Geheimnis, Zigarettenschachteln sind an der Wand zu Insekten mutiert – den Pinsel führte Vu Dan Tan aus Hanoi. Money hält Wache vor der Kunst, verstummte Musik blüht vor der Entsorgung noch einmal auf, die Stadt schwirrt von Gerüchen und Geräuschen.

Im Vietnam-Projekt des Hauses der Kulturen der Welt – Ausstellungen, einer Konferenz, Lesungen, Filme, Tanz – waren Reibungen vorausgesehen. Ein hier lebender Vietnamese, der daheim im Gefängnis war, trägt ein anti-sozialistisches Gedicht vor, auf deutsch und vietnamesisch. Ein Professor aus Hanoi, Tran Quoc Vuong, Kulturwissenschaftler, Philosoph, Historiker, sagt: „Es ist für mich eine große Ehre, Ihnen hier zu begegnen.“ Dennoch: das Fremde wehrt er ab. Sich selber fremd sind die Amerasians, Söhne und Töchter schwarzer GI’s und vietnamesischer Mütter, im Krieg gezeugt, Kinder der Liebe im allgemeinen Haß, „Staub des Lebens“, richtiger: Abfall. Sie träumen, fern von ihrer Utopie, den amerikanischen Traum; eine Randgruppe, ausgestoßen von der Geschichte.

 

Emigration

„Nim“ ist nach buddhistischer Lehre der Mensch. Aber nicht der Mensch in seiner Beschränktheit, sondern das, was geliebt werden kann, die reale und die philosophische Idee der Liebe. Nim ist das Ganze, das Hingabe verlangt, ja die Hingabe selbst. „Nim“ ist eine auf der 17. Musik-Biennale Berlin wiederaufgeführte Orchester-Komposition von Younghi Pagh–Paan, ein Zentrum der Biennale; Zentrum verstanden als Wegkreuzung von Gedanken. Younghi Pagh-Paan ist eine buddhistisch denkende Koreanerin aus einer katholischen Familie, die vor 25 Jahren mit einem Stipendium nach Deutschland kam.

Nachdem sie auf deutschem Boden ihr zweites Stück geschrieben hatte, „Man-Nam“ für Klarinette und Streichtrio, lernten wir uns 1978 kennen. „Man-Nam“ ist ein Stück über die koreanische und die westliche Kultur und den erlittenen Kulturschock beim Überschreiten der Grenze. Es mündet in eine damals noch utopische „Versöhnung“. Die Erfahrung des Hinübergehens und Dableibens ist seit einem Vierteljahrhundert das Lebensthema, das Nim dieser Komponistin. Sie lebt, wohnt, arbeitet in dieser Gesellschaft, und sie ist daheim geblieben an einem wandelbaren Ort, der die Zeit ist. Sie muß nicht zurückgehen, um dort zu sein. Dieses Dortsein ist die Fremdheit, der sie in den fremden Sprachen begegnet.

Vier Jahre war sie Konrektorin an der Hochschule der Künste Bremen, verantwortlich für den Fachbereich Musik, „Außenministerin“ im fremden Land. Der kleinen Hochschule hat sie musikalisches Ansehen verschafft, die Studienordnung reformiert. Sie dient der für sie damals fremden Gesellschaft, sie ist nicht mehr einsam. Stipendiaten aus fernen Ländern lernen konfliktreich die Versöhnung der eigenen Wurzeln mit den lockenden Früchten des Hungers nach Anpassung. Ihr pädagogischer Eros wendet sich jetzt denen zu, die Musik in der Gestalt des Nim kaum noch kennen, Randgruppen, Computer-Besessenen. Der 1995 in Berlin verstorbene koreanische Komponist Isang Yun komponierte 1981 sein Orchesterstück „Exemplum in memoriam Kwangju“, eine Reaktion auf das Massaker im Mai 1980, die brutale Unterdrückung des Volksaufstands in der südkoreanischen Provinzhauptstadt Kwangju. Sein Werk wurde auch im nordkoreanischen Pyongyang aufgeführt, und eine Folge davon war die Gründung des Isang-Yun-Musikinstituts. Yun lehrte dort als Gast unter anderem die Grundbegriffe der Zwölftontechnik. Soweit mir bekannt ist, stand er zuletzt dem Regime distanziert gegenüber. Im Mai beginnt das Isang-Yun-Ensemble Pyongyang in Berlin eine Deutschland-Tournee. Wie gesagt: Nim ist die Idee des menschlich Ganzen.

Claus-Henning Bachmann

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