Wenn man den (West)Zeitungen glauben will, was man tunlichst nicht
wollen sollte, dann ist das Leben in Cottbus so brutal hart, dass
selbst die gestähltesten Leute aus der Bronx, aus Minsk oder
womöglich sogar Castrop-Rauxel hier nicht klar kämen.
Die Lausitz und mit ihr die Ex-Tuchmacher- und Ex-Energiearbeiterstadt
und jetzige Stadtbrache Cottbus ist unverhofft wegen ihrer Fußballmannschaft
Energie in die bundesweiten Schlagzeilen gekommen
und dies ist die Höchststrafe für die Frechheit und den
geradezu unfassbaren Hochmut, sich mit solchen ehrenwerten Fußballklubs
wie Bayern, Hertha oder Borussia gleichberechtigt auseinander setzen
zu wollen: Das Böse befindet sich nicht mitten unter
uns, schrieb kennerisch die taz, sondern nahe der polnischen
Grenze. In Cottbus. Tief im Osten also. Und dort ist es gut aufgehoben,
denn nur in einem Nest ohne Glanz und Ausstrahlung, mit realsozialistischem
Ambiente und den an vierspurigen Straßen hingekübelten
Plattenbauten, wo man freiwillig alle Hoffnung fahren lässt,
in Cottbus also, treibt Eduard Geyer sein übles Unwesen.
Kultur und Fußball
Bundesliga-Trainer Eduard Geyer kooperiert mit dem Staatstheater
Eduard Geyer, gebürtiger Sachse und letzter Übungsleiter
der DDR-Nationalmannschaft, ist der Trainer von Energie Cottbus.
Ein Mann von einer geistigen Höhe, wie ihn die Bundesliga noch
nicht gesehen hat. Als er noch in Dresden als Spieler und Trainer
aktiv war, tauchte er gelegentlich mit seiner Frau in der Semperoper
oder dem Schauspielhaus auf. In Cottbus gar kooperiert seit über
einem Jahr auf seine Initiative der ganze Fußballverein mit
dem dortigen Staatstheater. Geyer verordnet seinen Spielern Ballettstunden,
Theateraufführungen und Opernabende. Eigentlich wäre dies
ein Fanal, den rapid absackenden Bildungsstand der deutschen Normalbürger
anhand des edlen Beispiels von Normalfußballern ein bisschen
Niveau zu verordnen. Stattdessen forcieren die Massenmedien die
Hatz auf Geyer, auf Cottbus und letztlich auf die ganze Region der
Lausitz. Da gibt es zwischen Springer-Presse mit ihren
dummpublizistischen Flagschiffen, der linkstotalen taz
oder dem öffentlich-rechtlichen Sender ZDF des wunderlichen
Professor Stolte (Magazin Blickpunkt) kaum Unterschiede.
Cottbus
Puschkin-Promenade
Was für einen Text soll man unter solchen Umständen einer
Fachzeitschrift anbieten, dessen Thema das Musikleben in Cottbus
ist? Hier soll doch sowieso alles tot sein, selbst die Hoffnung,
siehe oben. Auch die Süddeutsche Zeitung, deren
Reporter mehr oder weniger geschlagene acht Stunden in der Stadt
weilte, hat dies sofort in der Rubrik Reise und Erholung
(4. 7. 2000) geschnallt. Die Gesamtbevölkerung von Cottbus
setzt sich in der SZ aus folgenden Teilen zusammen:
PDS-Anhänger, Neo-Nazis, Skinheads und indifferente Bürger.
Auf diesem Niveau ist jede Diskussion überflüssig und
wie in einem Leserbrief an die taz über deren Cottbus-Berichterstattung
zu lesen stand, ist jetzt, im Jahre zehn der Einheit, das Tischtuch
endgültig zerschnitten. Seis drum.
Die Philharmonischen Konzerte im Staatstheater Cottbus haben
eine lange und schöne Tradition. Als sich 1908 die prosperierende
Tuchmacherstadt Cottbus ein wunderschönes Theater im Jugendstil
baute, war dies ein Zeichen für den gewachsenen Wohlstand.
Den Stadtvätern lag es dringend am Herzen, den kulturellen
Bedürfnissen der Bürger eine festliche Heimstatt zu bieten.
Nicht zuletzt die Musik nahm von nun an einen bevorzugten Platz
im Cottbusser Kulturleben ein. In den ersten Jahren wurden Konzerte
und Musiktheateraufführungen durch gastierende Orchester realisiert,
aber schon 1912 etablierte man in Cottbus ein eigenes Stadttheaterorchester.
Namhafte Dirigenten wie Fritz Müller, Werner Schöninger
und Frank Morgenstern, der von 1963 bis 1994 die Geschicke des Philharmonischen
Orchesters bestimmte, haben aus anfänglich 36 Musikern einen
exzellenten Klangkörper geformt, der im Konzert deutscher Orchester
durchaus einen hervorragenden Platz einzunehmen wusste und weiß.
Kein Zu-Kreuze-Kriechen
vor einem geschmäcklerischen Repertoire
Unter Reinhard Petersen, gebürtiger Hamburger, der 1995 das
Amt des Generalmusikdirektors übernahm, sind die Konzertprogramme
noch anspruchsvoller geworden. Relativ viel unbekannte Musik, darunter
etliche Uraufführungen sind in den Programmen zu finden. Geschickt
wird das Neue (Christian Jost, Jan Paul Nagel oder Jacqueline Fontyn)
und in Cottbus noch Unbekannte (Ralph Vaughan Williams, Gustav Holst
oder Olivier Messiaen) gemischt mit zurecht erwarteten Highlights
des Repertoires von Haydn über Beethoven bis Brahms und Dvorák.
Reinhard Petersen verweigert sich unüberhörbar einem
populistischen Zu-Kreuze-Kriechen vor einem allzu geschmäcklerischen
Repertoire. Er schenkt seinem Publikum nichts, nur ein populäres
Werk pro Konzert, das den Anreiz für den Konzertbesuch schaffen
soll. Und tatsächlich: Penetranz in der Programmplanung
plus ein bemerkenswerter Leistungsaufschwung des Philharmonischen
Orchesters führten relativ schnell zur Akzeptanz und zum Erfolg.
Noch im Juni 1995 schien Petersen selbst etwas skeptisch, was seine
eigene Courage der Moderne gegenüber betrifft:
Ich bin mir schon im Klaren darüber, dass wir unserem
Publikum damit sehr, sehr viel zumuten. Aber ich finde, das kann
ruhig sein. Schließlich haben wir ja auch einen Kulturauftrag,
der nicht damit erfüllt wird, die alten Dinge immer wieder
runterzuleiern.
Besonders auffallend, wenn man einmal von den Werken der Moderne
absieht, ist Petersens Faible für Joseph Haydn. Dessen Werke
in Cottbus zu hören, ist die reinste Freude. Da werden die
philharmonischen Musiker animiert, swingend durchpulste
Attacken vorzutragen, die im Gestus durchaus mit der forschen Spielweise
hochspezialisierter Originalklangensembles mithalten können.
Das ist Haydn, wie er im Buche steht.
Auch in der kommenden Spielzeit sind die Philharmonischen Konzerte
zwischen Klassik, Romantik und Neuer Musik wohlausgewogen, im ersten
Konzert gibt es gleich einer Uraufführung: Machuba-Suite
von Thomas Stapel, von Erwin Schulhoff wird erstmals in Cottbus
der Gesangs-Zyklus Menschen op. 28 aufgeführt.
In Sonderkonzerten wird dem Populären mit einer konzertanten
Aufführung von Jesus Christ Superstar Tribut gezollt.
Sicher, im ausgehenden 20. Jahrhundert, wo eine multimediale Verkoppelung
des gesamten Erdballes immer stärker um sich greift, hat es
die antiquierte bürgerliche Konzertform schwer,
sich zu behaupten. Nicht nur in Cottbus. Aber wenn wir es nicht
fertig bringen, das Konzertleben auch in den kleineren Städten
lebendig zu erhalten, wird möglicherweise unsere Welt televisionsgerecht
in rauchenden Colts, flammenden Infernos
und Massakern in Containern untergehen.
Natürlich ist da noch mehr vonnöten als nur die unsterblichen
Werke von Mozart, Beethoven oder Schubert richtig und schön
zu spielen. Ohne die drei, und freilich noch viele andere mehr,
wird es nicht gehen. Und hier sind nicht zuletzt auch die Politiker
gefragt, denn kein geringerer als Napoleon forderte: Die Musik
hat von allen Künsten den tiefsten Einfluss auf das Gemüt,
ein Gesetzgeber sollte sie deshalb am meisten unterstützen.
Land Brandenburg: Bundesdeutscher
Meister im Abwickeln von Orchestern und Schließen von
Theatern
Natürlich tut das Land Brandenburg für die Kultur und
die Musik nicht, was es könnte. Im Gegenteil, im Schließen
von Theatern und Abwickeln von Orchestern ist es bundesdeutscher
Meister, wenn nicht gar Weltmeister. Nun liegt Brandenburg im Vergleich
zu den blühenden Landschaften in Bayern oder Schleswig-Holstein
tatsächlich komplett am Boden, aber ein Vergleich zum nahe
gelegenen Polen entschärft das Bild und es fließen vergleichsweise
Milch und Honig. Diesen Pendelblick zu kultivieren, ist eine nicht
eben leichte Sache. Dazu gehört ein ziemlich offenes und unverkrampftes
Wesen, das sich nur schwer entwickelt, wenn der Cottbusser Bürger
in den auflagenstarken Medien in der Hauptsache als Glatzkopf vorkommt.
Nichtsdestotrotz ist das Cottbusser Staatstheater als Fast-Drei-Sparten-Haus
(ein richtiges Ballettensemble gibt es nicht mehr) dank seines rührigen
Intendanten Christoph Schroth (der quasi ein Theater-Festival namens
Zonenrandermutigung erfunden hat) und seiner gelegentlich
sogar außerhalb der Stadtgrenzen wahrgenommenen hohen Qualität
einigermaßen gesichert. Nicht zuletzt gilt der Cottbusser
Operndirektor Martin Schüler als einer der führenden jungen
deutschen Regisseure, dessen Arbeiten (auch als Gast, so hat er
den Ring in Mannheim inszeniert) mehr und mehr Anerkennung
finden. Noch vor Jahren erklärte mir ein Kulturredakteur der
Welt, dass Schüler noch nicht weltwürdig
sei. Mittlerweile hat das Blatt eine Seichtheit und schleimige
Geschwätzigkeit in ihrer Kulturberichterstattung erreicht,
dass es nicht mehr schüler-würdig ist. So
schnell kanns also gehen.
Kaum möglich, richtige
Superstars in die Stadt
zu locken.
Private Konzertveranstalter tun sich in Cottbus enorm schwer, was
den unterhaltungsmusikalischen Aspekt des Stadtlebens betrifft.
Kaum möglich, richtige Superstars in die Stadt zu locken. Kurz
nach den Wende, da waren noch etliche Großkünstler heiß,
in den Osten zu kommen. Udo Lindenberg hatte gar ein ganzes Stadion
gefüllt, auch die Back Street Boys wurden gesehen, ebenso Peter
Maffay und Joe Cocker. Ein geplantes Carreras-Konzert, bei dem sich
die örtliche Zeitung (in ostdeutschen Städten gibt es
seit der Wende nur noch eine lokale Zeitung, zuvor waren es immerhin
fünf, in denen zwar überall das Gleiche stand nur
eben nicht im Kulturteil!) zwar mächtig ins Zeug gelegt hatte,
brachte so wenig Karten im Vorverkauf an den Mann, dass es opportun
erschien, flugs zu erkranken und die Sache abzublasen. Beim Phänomen
André Rieu sah das wieder ganz anders aus, der füllt
im Osten wirklich jeden Sportplatz.
André Rieu füllt
im Osten wirklich jeden Sportplatz
Von den ganz großen Namen, die dem 20. Jahrhundert durchaus
ihren Stempel aufgedrückt haben, war nur Bob Dylan in Cottbus,
allerdings zu einer Zeit, da sein Ruhm noch nicht wieder jenen Aufwind
genommen hatte wie in den letzten beiden Jahren, aber immerhin.
Nicht zu vergessen, die Scorpions haben, unweit von
Cottbus in Finsterwalde, wo die berühmten Sänger herkommen,
öffentlich für ihren EXPO-Auftritt geübt.
Jazz, Punk und Hardcore
Zwischen Scheitern
und Hoffnung
Es gibt in Cottbus eine eigene junge Musikszene mit qualitativ
ordentlichen Rock und Jazz-Gruppen, etwa dem Duo Dust,
das sich mittlerweile zum Quintett gemausert hat und prima Cover-Versionen
hinlegt. Kurz und bündig, eine Punk- und Hardcore-Band,
ist aus anderem Holz geschnitzt und macht vielleicht Karriere oder
auch nicht. In dieser schnelllebigen, stets im Wandel begriffenen
Szene, lassen sich Voraussagen nur schwer machen. Der Jazz führt
in Cottbus ein Nischen-Dasein. Zu DDR-Zeiten hat es unweit von Cottbus
das berühmte, ja sogar legendenumwobene Peitzer Jazzfest gegeben,
bei der seinerzeit vor einer riesigen Kulisse von bis zu 6.000 Menschen
Avantgarde-Jazz der absoluten Spitzenklasse geboten wurde. Alle
großen Namen der frei improvisierten Musik, von Tony Oxley
über Alexander von Schlippenbach bis zum Globe Unity Orchestra
haben in Peitz gespielt. Eine Wiederbelebung dieses Festivals, die
Uli Blobel, der Initiator von damals, ins Auge gefasst hatte, ist
schon im Ansatz gescheitert.