Alle reden von Berlin oder von Frankfurt am Main, von Köln,
von den großen Städten, in denen Kulturchaoten das Zepter
schwingen, ums mager gewordene goldene Kalb herumspringen, lamentieren
und mit Kündigung drohen siehe unser Editorial
auf Seite 1. Hier werden mal eben zehn Millionen Mark mehr gefordert,
dort werden noch einmal zehn Millionen mehr verlangt. Währenddessen
sterben in unseren neuen Bundesländern die kleinen Musikbühnen
und Orchester dahin: Brandenburg, Frankfurt an der Oder, Potsdam,
Senftenberg, Stendal, Wittenberg Namen, die man sich merken
sollte, um sie jeweils und immer wieder den politischen Verantwortungsträgern
ein schönes scheußliches Wort vorhalten
zu können, wenn diese hohlköpfig darüber nachgrübeln,
warum denn nur so viele junge Leute es vorziehen, westwärts
zu wandern? Oder Skinheads zu werden?
Cottbus: Puschkin-Promenade;
Foto: Martin Hufner
Die genannten Ortsnamen stehen menetekelhaft für einen leichtfertigen,
gedankenlosen, allmählich gefährlich werdenden Kulturabbau,
dem man nicht dadurch begegnet, in dem ein guter Onkel aus dem Kanzleramt
jedem Zögling den Zugang zum Internet verspricht. Humane Bildung
ist etwas anderes als ein Infostand via Bildschirm. Glücklicherweise
jedoch leben und arbeiten in den vielen kleinen und mittleren Städten
immer noch und manchmal auch schon wieder verantwortungsvolle Menschen,
die es anders und besser wissen. Die in den Theatern und Musiksälen
ihrer Stadt nicht nur Veranstaltungscontainer sehen, vielmehr Begegnungsstätten,
Orte, an denen sich eine gleichgestimmte Bürgerschaft zu Musik,
Theater, Malerei, Dichtung, zu Gespräch und Diskussion versammelt.
Glücklicherweise auch ist die deutsche Kulturlandschaft noch
nicht so versteppt, wie es mitunter in Berlin oder Frankfurt am
Main den Anschein hat. Deutschlands Kultur entsteht aus der Summe
seiner Landschaften und vieler Städte, nicht allein der großen,
sondern mehr noch aus den vielen kleinen und mittleren Orten, deren
Kulturetat oft nicht einmal die zehn Millionen Mark erreicht, die
große Musikbühnen oder Orchester als Zuschlag einfordern.
Im folgenden werden einige dieser Städte mit ihrem Kultur-und
Musikleben porträtiert: Darmstadt, Freiburg im Breisgau, Passau,
Cottbus, Koblenz dazu treten aktuelle Kulturberichte unter
anderem aus Lübeck. Die Serie, zum Auftakt in einem Dossier
gebündelt, wird regelmäßig in Einzelbeiträgen
fortgesetzt.
Gerhard Rohde
Allgemeine Text zum Thema
Cluster Herbst, Zeit der Städte (Juan Martin
Koch)
Städte im Detail
Augsburg Behäbigkeit und kreatives Potenzial
(Dominik Zimmermann)
Chemnitz bietet nicht nur Fabrikschlote, sondern
auch Musikkultur von Oper bis Jazz (Gottfried Blumenstein)
Cottbus Courage der Moderne (Gottfried Blumenstein)
Darmstadt Im Gleichgewicht von Distanz und Toleranz
(Klaus Trapp)
Freiburg im Breisgau Prävalenz der klingenden
Kunst (Stefan M. Dettlinger)
Halle. Visionen und Ideen sind gefragt (Johannes
Killyen)
Kiel
Jenseits des Schleswig-Holstein-Festivals (Oliver Sterzel)
Koblenz Von Bürgern, Kurfürsten und
Kommunen (Petra Pfaffenheuser)
Leer. Die Musikszene in Leer (Ostfriesland) und
ihre gelungenen Kooperationen
Mainz Musikleben im Umbruch zwischen Provinz
und Metropole (Andreas Hauff)
Münster Von der Viehauktionshalle zum Messezentrum
Region Nordharz Von Kunst bis Kult, von Figaro
bis FrankNFurter
Passau Große Ereignisse in einer kleinen
Stadt (Hermann Schmidt)
Potsdam Ein Streifzug durch Potsdams abwechslungsreiches
Musikleben (Peter Buske)
Regensburg Dem Charme der Historie diskret zu
Leibe rücken (Juan Martin Koch)
Trier 200 Jahre Theater und sechs Jahre Antikenfestspiele
Wuppertals Musik- und Theaterkultur trotzt leeren
Kassen und politischer Lähmung