Anmerkungen zum bedrohlichen Zustand des Deutschen Musikrates
· Von Theo Geißler
Es beginnt schon langsam zu langweilen: Wo man zur Zeit hingerät
in diesem Musikleben auf den Deutschen Musikrat (DMR) wird
geschimpft. Und solche Störgeräusche kommen nicht nur
von außen. Deutliches Murren ertönt man fühlt
sich an die Äsopsche Fabel erinnert vernehmbar auch
von den inneren Organen her. Ausschussmitglieder nölen, Verbands-Obere
nörgeln, Mitarbeiter sind mürrisch, die Landesmusikräte
störrisch.
Eine
eigentlich kleine Geschiche aus jüngerer Zeit mag den aktuellen
Zustand des Musikrats-Präsidiums verdeutlichen: Die Geschäftsführung
des Bundesjugendorchesters (BJO) sollte neu besetzt werden. In die
Endauswahl kamen je eine Mitarbeiterin der Deutschen Stiftung Musikleben
(die sponsert das BJO kräftig) und des Schleswig-Holstein-Musikfestivals.
Letztere machte aus fachlichen Gründen das Rennen und sollte
vernünftigerweise die BJO-Tournee nach Polen begleiten, um
sich einzuarbeiten. Sie wurde wieder ausgeladen, als ein schrilles
Veto aus der Stiftungs-Chefinnen-Etage erklang (und verabschiedete
sich nicht nur aus diesem Grund, bevor sie die Stelle erst überhaupt
angetreten hatte): Man könne es, klang es stiftungsseitig,
der hauseigenen Mitarbeiterin doch nicht zumuten, sich mit der siegreichen
Konkurrentin gemeinsam auf eine längere Reise zu begeben. Der
Vorgang ist so lächerlich wie ungeheuerlich zugleich. Er dokumentiert
den hoffentlich nur gedankenlosen Ausverkauf zentraler Werte der
Musikratsarbeit durch sein Präsidium.
Natürlich kann man darüber nachdenken, ob Deutschlands
jüngstes Spitzenorchester zum Beispiel aus finanziellen
Gründen in eine Bertelsmann-Konzernkapelle umfirmiert werden
soll. Das aber bitte in einer Expertenrunde samt angeschlossener
öffentlicher Diskussion. So wie es lief, bleibt nur der fade
Nachgeschmack eines heimlichen faulen Kompromisses mit Signalwirkung,
wie bei manchen Musikrats-Tätigkeiten in den vergangenen Jahren.
Und die Gewissheit, durch eine kommerziell dominierte Förder-Organisation
erpressbar zu sein. Man hat wieder mal klein beigegeben und Menschen
schlecht behandelt schlechte Papiere für eine kulturelle
Spitzenorganisation.
Missstimmung
Die Missstimmung baut sich wenige Wochen vor der Generalversammlung
in Berlin aus vielen Gründen kräftig auf. Das kann heiter
werden. Aber die Schuldige ist auch schon ausgemacht: Marlene Wartenberg,
die neue Generalsekretärin, seit anderthalb Jahren im Amt.
Prima. Da braucht man die Sünden-Schäfin ja nur in die
Wüste zu schicken und alles wird so zigarren-duftend
kasino-gemütlich wie früher. Mit solch rückwärtsgewandter
Patentrezepts-Mechanik, geboren aus Inkonsequenz, Opportunismus
und Klüngelwirtschaft, hat sich der Deutsche Musikrat, vertreten
durch das Präsidium, in seine derzeitige Misere gewurstelt.
Und die wurzelt leider bereits in seiner Konstruktion.
Von modernen Verwaltungs- oder Management-Strukturen ist der Deutsche
Musikrat als eingetragener Verein schon satzungsmäßig
weit entfernt. Eine Geschäftsführung im wirtschaftlichen
Sinn also verbunden mit weitestgehender Personal- und Etat-Verantwortung
kann satzungsbedingt nicht stattfinden. Die Entscheidungskompetenz
liegt beim Präsidium. Das Präsidium wird zwar von der
Generalversammlung gewählt, meist allerdings per offenem Votum
auf der Basis eines Wahlvorschlages des Präsidiums. Wer in
solchen Ritualen nur den Ausdruck kultur- und vertrauensvollen Umgangs
miteinander vermutet, sollte sich mal mit Erich Mielkes Theorie
der Mehrheitenbeschaffung befassen.
präsidiale Hierarchie
Diese präsidiale Hierarchie wurde lange Jahre auch genutzt,
um Mitgliedsorganisationen, Generalversammlung und Öffentlichkeit
von Entscheidungsprozessen fernzuhalten. Sie gerät allerdings
umso mehr zur Farce, je selbstbewusster und professioneller sich
die Mitgliedsverbände und die Landesmusikräte entwickeln,
und je stärker das präsidiale Gremium im Spannungsfeld
unausgetragener Konflikte degeneriert.
In freundschaftlicher Absprache mit ihren Präsidenten hatten
die Generalsekretäre Herbert Sass und fast bis zum Schluss
im Jahr 1998 auch Andreas Eckhardt die einfache Möglichkeit,
dank gut vorbereiteter Abstimmungen ihre hausgemachten
Beschlussvorlagen praktisch einstimmig durchzusetzen. Interessenstränge
formierten sich dabei sehr weit im vordemokratischen Feld. Proporz
(zum Beispiel zwischen Profis und Laien) war ungefähr so wichtig
wie die inhaltliche Qualität, was letzterer bekanntlich schadet.
Das
Bündnis für ein geordnetes Musikleben im sogenannten E-Bereich
funktionierte wie geschmiert, solange es in der Bundesrepublik eine
prosperierende Wirtschaft gab und ein politisches System,
das mit dem Einsilber Kohl hinlänglich umschrieben
ist. Dabei soll dem Musikrat weder die kriminelle Energie noch die
politische Korruptheit dieses Systems auch nur annähernd unterstellt
werden. Aber man agierte in einem politischen Klima, das Grauzonen
geradezu förderte. Da ist für eine Kultur-Organisation
besondere Empfindlichkeit Pflicht. Und so erinnert man sich mit
geteiltem Vergnügen an die launigen Rechenschaftsberichte des
bestallten Kassenprüfers Bruno Tetzner während vergangener
Generalversammlungen: Sie hatten die überaus sympathische Musikalität
einer albanischen Buffo-Arie und auch ihre Transparenz.
Dies enthält keinerlei Vorwurf gegen den zutiefst kulturbewussten
Berichterstatter Tetzner, der es im Rahmen seiner ehrenamtlichen
Prüfungs-Tätigkeit bestimmt nicht leicht hatte, aus dem
ihm vorgelegten Klavierauszug die komplette Finanz-Partitur des
Musikrates zu bewerten. Eher soll ein Beispiel für die Problematik
aufgezeigt werden, die ein Mischbetrieb aus Ehrenamtlichen und Profis
immer mit sich bringt. Es stünde dem Deutschen Musikrat gut
an, auch im Sinne seiner Mitgliedsverbände akzeptable Lösungsvorschläge
für dieses Konfliktfeld zu entwickeln und im eigenen Haus umzusetzen:
Soviel Professionalität wie nötig soviel Ehrenamt
wie möglich, wobei am Verständnis des Ehrenamtes gearbeitet
werden muss und an der Professionalität nicht gespart werden
darf.
Die Ära Eckhardt
Womit wir bei dem Schlagwort sind, das die Arbeit des Musikrates
in den letzten fünf Jahren der Amtszeit Andreas Eckhardts auf
schmerzliche Art definiert hat: Jetzt will Theo Waigel die
Musik abschaffen übertitelte die nmz 1993 ein
langes Gespräch mit dem damaligen Generalsekretär zu Sparplänen
des ebenso damaligen Finanzministers. Doch da war es eigentlich
schon zu spät für eine öffentlichkeitswirksame Kampagne.
Denn der DMR präsentierte sich traditionell als graue Maus.
Bis in die letzten Jahre des verstrichenen Jahrtausends hatte man
es bewusst vermieden, das Label Deutscher Musikrat in
der Öffentlichkeit zu positionieren. Das mochte werthaltige
Gründe haben, aber zumindest auch einen ganz pragmatischen:
Man hatte sich in Bonn mit der dritten, allenfalls der zweiten Entscheidungsträger-Garde
zusammengeschmust. Da lief viel auf informellem Wege. Restmittel,
Sondermittel, Mittelmaß, mittelmäßige Mittel
aber immerhin. Ministerialräte durften bescheiden entscheiden
wenn es nicht zu laut wurde. Dann wäre der Neid von
Ministern geweckt worden. Solche Beziehungen wirken immer beidseitig.
Im Maß der Beschränkung auf die zweite Stimme
blieb der Musikrat bei aller materiellen Absicherung zweitklassig
im öffentlichen Konzert.
Ein
weiteres Merkmal der Ära Eckhardt, das mit der vorgenannten
Bescheidenheit eng verbunden ist, bestand in einem auf den ersten
Blick sehr vernünftigen Zustand. Die Projektleiter Geschäftsführer
im ungenauen DMR-Vokabular genossen alle erdenklichen Freiheiten.
So entstanden, befördert durch hochmotivierte Mitarbeiter,
jedes für sich vorzügliche Maßnahmen-Pakete. Nur
mit dem Dach, dem Musikrat, werden diese sinnreichen Aushängeschilder
in der Öffentlichkeit bis heute selten in Verbindung gebracht.
Deshalb fehlt der starke Hebel einer Gesamtdarstellung der Musikrats-Leistungen
im politischen Kräftefeld. Änderungsversuche stoßen
zwangsläufig auf erheblichen inneren Widerstand. Weshalb sollte
ein erfolgreicher Projektleiter, eine erfolgreiche Geschäftsführerin
auch Teile des hart errungenen Profils abtreten. Mit all diesen
Verwerfungen befindet sich der eingetragene Verein Deutscher Musikrat
in bester Gesellschaft. Ob Rotes Kreuz, ob Sportverband:
Viele der nach dem zweiten Weltkrieg neu- oder wiedergegründeten
Verbände stehen vor einer bedrohlichen Doppel-Problematik.
Die emphatischen Gründer-Persönlichkeiten treten ab. Mit
ihrer Erfahrung und ihrem Charisma hatten sie Beachtliches auf die
Beine gestellt, aber auch manches grundlegende Defizit übertüncht,
manch notwendige Reform (aus verschlossen bleibender tieferer Erkenntnis
oder aus Gründen des Machterhaltes) verhindert.
Schleppende Öffnung
Besonders schmerzlich beim Musikrat ist die schleppende Öffnung
hin zur sogenannten populären Musik, die inkonsequente Auseinandersetzung
mit der Musikwirtschaft, der verzögerte Umgang mit der aktuellen
technologischen Revolution, der in papierenen Resolutionen erstarrte
Kampf um den Erhalt der musikalischen Bildung auf allen Ebenen.
Diese inneren Herausforderungen und Umbrüche allein wären
schon schwer genug zu bewältigen da tritt auch noch
eine Zeitenwende auf den Plan technisch, politisch, wirtschaftlich,
menschlich. Nicht umsonst hat sich postmoderne Beliebigkeit der
Musik bemächtigt als Ausdruck eines Wertewandels im
Verbund mit tiefer Ratlosigkeit. Geistiges und materielles Eigentum
wird neu verteilt. Massenmedien und Computerindustrie definieren
gesellschaftliche Parameter um, fordern legislative und exekutive
Aktionen, die selbst Profi-Politiker ins Schlingern bringen. Eine
Industrie-Kultur greift Raum, die ihre Wertschöpfungs-Kette
in der ersten Schwangerschaftswoche startet. Nicht zuletzt gab es
in der Bundesrepublik einen politischen Machtwechsel, der uns einen
hochintelligenten, der Musik nicht gerade zugewandten Bundeskulturminister
bescherte.
Da ist ein starker, ein geschlossener Musikrat gefragt,
der seine Leistungen selbstbewusst präsentiert, der seine Forderungen
laut und glaubwürdig formuliert. Was bei allem Hoffnung macht,
ist die Tatsache, dass eine ganze Reihe von Mitgliedsverbänden
des Musikrates ihren Strukturwandel erfolgreich hinter
sich gebracht haben. Dass sich handlungsfähige, innovative
Landesmusikräte formierten mit teils sehr fortschrittlichen
inneren Strukturen.
Wenn es diesen Kräften gelingt, bei der Generalversammlung
Ende Oktober in Berlin nicht nur Akzente zu setzen, sondern das
Dach neu zu decken, dann und nur dann wird Deutschlands
musikalischer Spitzenverband in der Lage sein, sich den zeitgenössischen
Herausforderungen zu stellen. Dazu gehört Mut, aber die Chancen
stehen nicht ganz schlecht: Noch nie haben sich in der Geschichte
des Musikrates so viele Präsidiums-Mitglieder freiwillig
verabschiedet wie zum Berliner Termin. Und die immer noch
wachsende Liste der neuen Kandidaten signalisiert nicht nur
einen Generationswechsel, sondern echten Kompetenz-Gewinn. Diese
mutigen Heroinnen und Heroen werden wir Ihnen, liebe Leserinnen
und Leser, in der kommenden nmz-Ausgabe, also kurz vor der Generalversammlung
vorstellen. Und überhaupt: Fortsetzung folgt.