Theo
Geißlers Leitartikel hat Widerspruch ausgelöst, den wir
hier gern dokumentieren. Leider hat die Generalsekretärin des
Deutschen Musikrates, Marlene Wartenberg, ihre uns vorliegende Erwiderung
kurzfristig zurückgezogen. nmz-Redaktion.
De nmz hat in ihrer jüngsten Ausgabe wieder einmal und traditionsgemäß
vor einer Generalversammlung den Dachverband des deutschen Musiklebens
gegeißelt. Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft des Deutschen
Musikrates werden in einem journalistischen Wühltischangebot
von Unterstellungen, Vermutungen, Halbwahrheiten und Verdrehungen
in einem Aufmacherartikel dargestellt, der stilistisch alles in
sich vereinigt: Bericht, Kommentar, Glosse, Satire und Invektive.
Zugegeben: der provokante Überschuss ist zumindest für
die Auflagenhöhe von Nichtfachzeitschriften wichtig.
Darüber hinaus kann Provokation für den Leser auch durchaus
vergnüglich sein, falls sie geist- und stilvoll serviert wird.
Dieser Artikel ist jedoch ein Lehrstück für das genaue
Gegenteil. Alles ist steigerungsfähig, selbst die Geschmacklosigkeit
in der Publizistik: Den Deutschen Musikrat beziehungsweise sein
Präsidium mit dem Namen des Stasi-Chefs Mielke in eine wenn
auch formulierungsmäßig verschlungene Verbindung zu bringen,
ist der bisherige Gipfelpunkt der Verbalinjurien in dieser Zeitung.
Für wie geistig unterbemittelt hält der Verfasser eigentlich
die rund 100 Delegierten bei den Generalversammlungen des Deutschen
Musikrates, die sich offenbar Jahrzehnte lang den Entscheidungen
im vordemokratischen Feld unterworfen haben, die offenbar
eine perverse Lust empfunden haben, viel Zeit, Kraft und Geld in
eine ehrenamtliche Mitarbeit ohne eine echte Mitwirkung und Mitentscheidung
einzubringen? Was besagen Begriffe wie Opportunismus und Klüngelwirtschaft,
wenn in 25 Gremien rund 200 Fachleute und Vertreter der Mitgliedsorganisationen
in Förderprojekten und Fachausschüssen verantwortungsvoll
mitarbeiten und die Richtlinien der jeweiligen Einrichtung
bestimmen? Fühlen sich denn zum Beispiel die Hauptausschussmitglieder
der Wettbewerbe Jugend musiziert oder des Deutschen
Musikwettbewerbs den sogenannten freundschaftlichen Absprachen zwischen
Generalsekretär und Präsidenten unterworfen? Völlig
unverständlich ist die Bemerkung über einen Proporz
zwischen Profis und Laien. Meint der Autor Proporz bei der Besetzung
der Gremien? Die Laienmusikszene mit instrumentalen, vokalen und
pädagogischen Aktivitäten bildet in Deutschland nach wie
vor das Fundament des Musiklebens. Der Deutsche Musikrat hat im
Präsidium, in Bundesfachausschüssen und Projektausschüssen
Repräsentanten des Laienmusikbereiches einbezogen, da Laienmusikthemen
schlechterdings nicht ohne die Betroffenen behandelt werden können.
Soll die Planung des Deutschen Chorwettbewerbs oder des Deutschen
Orchesterwettbewerbs ohne die Beteiligung der Laien vollzogen werden?
Die inhaltliche Qualität dieser Mitarbeit ist vielmehr
entgegen der Meinung des Autors hoch einzuschätzen.
Die Verantwortlichen im Deutschen Musikrat sollten dem Autor dankbar
sein, dass dem Deutschen Musikrat weder die kriminelle Energie
noch die politische Korruptheit des Systems Kohl auch nur annähernd
unterstellt werden soll. Warum wird dann diese gedankliche
Verbindung überhaupt geäußert, und welche Grauzonen
wurden demnach dennoch vom Deutschen Musikrat gefördert? Auch
hier werden Mutmaßungen und Verdächtigungen aus der geistigen
Grauzone des Autors ausgebreitet, die dem Leser klare Fakten vorenthalten.
Ein Faktum ist zum Beispiel, dass die Förderprojekte Jugend
musiziert, Kammermusikkurs, BJO, BuJazzo und DMW, ebenso wie
der Musik-Almanach, ohne die Unterstützung der Deutschen Stiftung
Musikleben mit jährlich rund einer halben Million Mark nicht
hätten durchgeführt werden können.
Natürlich haben sich die Rahmenbedingungen für Verbände
geändert, aber eben auch die für Stiftungen, besonders
für solche, die nicht auf regelmäßige Zinserträge
aus einem Kapitalstock zurückgreifen können, sondern jedes
Jahr erneut Einzelspenden einwerben müssen. Auch hier sind
modernes Management mit Öffentlichkeitsarbeit und marketingbezogenes
Handeln angesagt. Die Leistungen dieser Stiftung in den vergangenen
Jahren sind außerordentlich hoch zu schätzen und haben
zusätzliche Möglichkeiten zum Beispiel für das Bundesjugendorchester
geschaffen. Die am Anfang des Artikels wiedergegebene Story
dürfte, falls sie richtig recherchiert wurde und nicht nur
auf fragmentarischen Zuflüsterungen beruht, das Publikum so
wenig bewegen wie Personalquerelen in der nmz-Redaktion.
Der Hinweis auf den Führungsstil des ehemaligen Generalsekretärs,
die Geschäftsführer der einzelnen Förderprojekte
mit allen erdenklichen Freiheiten (sic!) auszustatten,
geht an der Sache vorbei. Die Geschäftsführer hatten vielmehr
innerhalb des vorgegebenen inhaltlichen Rahmens (vom jeweiligen
Hauptausschuss festzulegen) und der zur Verfügung stehenden
Haushaltsmittel weitgehende Gestaltungsfreiheit und Entscheidungskompetenz.
Die so erreichte hohe Motivation führte zu nachprüfbaren
guten Arbeitsergebnissen. Ob eine Änderung dieses Stils
größere Erfolge zeitigt, wird die Zukunft zeigen.
Nach Meinung des Autors kann es schon allein satzungsgemäß
keine Geschäftsführung im wirtschaftlichen
Sinne geben. Du lieber Gott welch umwerfende Erkenntnis!
Natürlich kann eine e.V.-Geschäftsführung nicht wie
eine GmbH-Geschäftsführung praktiziert werden. Dies ist
aber keine regressive Regelung des Deutschen Musikrates, sondern
Kernbestandteil des Vereinsrechts. Allerdings sieht das Vereinsrecht
die besondere Kompetenzausstattung des Geschäftsführers
nach § 30 BGB vor, und diese ist dem Generalsekretär des
Deutschen Musikrates laut Satzung zugewiesen. Nicht mehr und nicht
weniger, aber genug, um dennoch mit Verantwortung und Kompetenz
den Haushalt planen und durchführen zu können. Warum sollte
es ausgerechnet im Rahmen der Verwendung öffentlicher Gelder
eine Einengung bedeuten, wenn der Geschäftsführer eines
Dachverbandes einem Präsidenten und dem Verwaltungs- und Planungsbeirat
mit den Vertretern der öffentlichen Hand Rede und Antwort stehen
muss? Ausgerechnet in finanziellen Angelegenheiten sollte die Entscheidung
allein beim Geschäftsführer beziehungsweise Generalsekretär
liegen? Dies ist verwaltungs- und haushaltsrechtlich eine absurde
Vorstellung.
Ebenfalls von einer erschreckenden Unkenntnis zeugt der Textabschnitt
über die Kontakte zur Regierung und zur Beschaffung von Haushaltsmitteln.
Das Haushaltsvolumen des Deutschen Musikrats konnte in den letzten
20 Jahren auf rund 17 Millionen vervierfacht, die Anzahl der Projekte
verdreifacht werden.
Ein solches Volumen soll man sozusagen als jovialen Gnadenerweis
von der zweiten oder gar dritten Ebene erhalten oder,
wie der Autor meint, in Behörden zusammenschmusen
können vorbei am Haushaltsreferat des Fachministeriums,
vorbei am Finanzministerium, vorbei an den zuständigen Berichterstattern
des Haushaltsausschusses? Welche absolut amateurhafte Vorstellung
hat der Autor vom Regelwerk der Haushaltsaufstellung in Exekutive
und Legislative, von der enormen Verantwortung und Sachkompetenz
der Referatsleiter, die alle Vorschläge und Planungen mit ihren
vorgesetzten Unterabteilungsleitern und Abteilungsleitern absprechen
müssen? (Preisfrage: Sind Ministerialräte, Ministerialdirigenten
und Ministerialdirektoren dritte oder zweite Ebene?
Wie wärs in diesem Zusammenhang mal mit einer Fortbildungsveranstaltung
für Redakteure im Subseniorenalter im Studiengang Kulturmanagement
mit dem Lehrstoff des 1. Semesters?).
Die dem Deutschen Musikrat vorgeworfene Beschränkung
auf die zweite Ebene leugnet die zahlreichen Gespräche
und Verhandlungen mit der verantwortlichen politischen Ebene, obwohl
diese akribisch in der laufenden Chronik des Deutschen Musikrats
Musikforum (Schott-Verlag) wiedergegeben sind.
So haben sich die Bundespräsidenten mit diesem degenerierten
präsidialen Gremium zum wiederholten Gedankenaustausch
getroffen und offenbar in völliger Unkenntnis dieses zweitklassigen
Teilnehmers am öffentlichen Konzert die Schirmherrschaft
über die gesamte Arbeit des Deutschen Musikrats übernommen.
Mehrere konstruktive Gespräche mit Bundeskanzler Kohl
übrigens der erste Bundeskanzler, der das Präsidium empfing
haben Verbesserungen sowohl bei Förderprojekten als
auch für politische Rahmenbedingungen für die Musikkultur
erbracht (ebenfalls in Musikforum nachzulesen!). Zahllose
Gespräche mit Ministerpräsidenten, Kultur- und Wissenschaftsministern,
Staatssekretären und Parlamentariern haben auf der politischen
Ebene durchaus ein klares und wirkungsvolles Bild dieses Dachverbandes
erzeugt. Doch sie werden vom Autor verdrängt, da jeder winzige
Realitätssplitter beim Abfassen der großen Schmährede
hinderlich wird.
Der gesamte Artikel ist ein Elaborat, das nicht nur von einer
markanten Geschmacklosigkeit, sondern auch von imponierender Inkompetenz
in der Sache gezeichnet ist. Wer so wenige Kenntnisse von einem
in sich äußerst differenzierten System hat, sollte sich
mit Bewertungen, gar Urteilen zurückhalten.
Das Recht und die Möglichkeit, eigene Meinungen über
Medien zu verbreiten, bedeutet für den Verleger und Herausgeber
einer Zeitung auch eine Verpflichtung, nämlich die zur Redlichkeit
und zum fairen Umgang mit dem Objekt der Berichterstattung. Aber
dies sind sicher altmodische Vorstellungen, die nur noch in zigarrenduftend
kasino-gemütlichen Runden gepflegt werden.
Andreas Eckhardt, Generalsekretär des Deutschen
Musikrats 19801998
Chance vertan?
Der Chefredakteur einer einer großen deutschen Musikzeitung
setzt dazu an, die Gesamtdarstellung der Musikrats-Leistungen
im politischen Kräftefeld journalistisch zu thematisieren.
Das hätte hilfreich sein und den öffentlichen Dialog über
Möglichkeiten stärkerer Rückwirkung der Arbeit der
größten deutschen Musikorganisation auf Politik und Gesellschaft
befördern können. Leider wurde diese Chance kläglich
vertan. Denn dazu hätte es innovativer und in gemeinnütziger
Absicht in Umlauf gebrachter Ideen bedurft anstelle der Fäkalienkübel,
die Herr Geißler über den Deutschen Musikrat ausgießt.
Welche Absicht mag er damit verfolgt haben, den Musikrat derart
in den Dreck zu ziehen und dessen Präsidium als gelehrigen
kollektiven Famulus von Stasi-Mielke im Fach Mehrheitenbeschaffung
zu apostrophieren? Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit
geht es ihm wohl selbst um Mehrheitenbeschaffung. Ich
sage das als jemand, der von Juni 1991 bis Juni 1999 als Mitbegründer
und Geschäftsführer des Förderprogramms Dirigentenforum
(im DMR, Anm. d. Red.) zum Kreis der von Herrn Geißler vorübergehend
als hochmotivierte Mitarbeiter apostrophierten Personen
gehörte.
(Es folgt ein Leistungsnachweis samt Projektbeschreibungen,
der bei Gelegenheit an anderem Ort einen besseren Platz finden mag,
nmz-Redaktion)