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nmz-archiv
nmz 2000/11 | Seite 39
49. Jahrgang | November
Oper
& Konzert
Selbstverwandlung
Festival June in Buffalo 25 Jahre jung
Ein weltweit einzigartiges Festival feierte vom 5. bis 15. Juni
2000 seinen 25. Geburtstag: June in Buffalo, ein Seminar
für den Komponistennachwuchs an der Musikabteilung der State
University of New York at Buffalo, war 1975 von Morton Feldman initiiert
worden. Ihm ging es vorrangig darum, jungen, noch studierenden Komponis-ten
die geistige Auseinandersetzung und Konfrontation mit eminenten
Kollegen zu bieten.
Feldmans
Grundsatz hielt der hier tätige Kompositionsprofessor David
Felder die Treue, als er 1985 die künstlerische Direktion von
June in Buffalo übernahm. Er scheute nicht zurück,
den einheimischen Nachwuchs selbst mit solch ext-remen Persönlichkeiten
wie Gerhard Stäbler, Vinko Globokar oder Kevin Volans aus seiner
häufig introvertierten Campusmentalität wachzurütteln.
Die morgendlichen zweistündigen Referate der jeweiligen Gastdozenten
zu ihrer Arbeit und Denkweise dienen gleichzeitig einem intensiven
Dialog mit den Studenten. Den Nachmittag über folgen dichtgedrängte
Meisterklassen; sie bieten einem kleinen Kreis von Schülern
die Möglichkeit, ein jüngstes Werk auf Tape oder CD der
Kritik des Meisters auszusetzen, wobei zusätzlich auch die
übrigen Anwesenden aufgefordert sind, Fragen zu stellen und
ihre Meinung zu äußern.
22 angehende Komponisten erlebten während des Jubiläums
die hochkarätige Aufführung eines eigenen kammermusikalischen
Werkes. Dabei war von einer individuellen, zukunftsorientierten
Sprache vorerst nur selten die Rede; vielmehr sah man sich in der
Regel der Lösung technischer Probleme und gelegentlich auch
einer wenig gesunden Portion Arroganz ausgeliefert. Zu den vielversprechenden
Ausnahmen zählten Adrienne Elisha (Inner Voices
für Bratsche), Jonathan McNair (Galapagos Lions
für Fagott), Moiya Callahan (Sequence für
Klavier) und Brooke Joyce (Piano Music, 3. Satz, für
Klavier); sie alle hatten auch in den Meisterklassen mit einer bereits
erstaunlich geformten, eigenen und vielversprechenden Stimme auf
sich aufmerksam gemacht.
Illustre Runde (v.l.n.r.):
Jesse Levine, Jan Williams, Lukas Foss, David Felder beim
Eröffnungskonzert.
Foto: I. Iknes-Haupt
In diesem Jahr lag es Felder vorrangig daran, mit einer Fakultät
aufzuwarten, die nicht nur June in Buffalo über
die Jahre geprägt hatte, sondern die zugleich die ganze Bandbreite
progressiver moderner Musik in den USA widerspiegelte. Eine unerwartet
entspannte, kollegiale Atmosphäre vereinte George Crumb, Lukas
Foss und Donald Erb, Charles Wuorinen, Bernard Rands, Nils Vigeland
und David Felder, Roger Reynolds und Harvey Sollberger, Steve Reich
und Philip Glass, sowie die vitale und dem Or-chester verschriebene,
gerade 36-jährige Augusta Read Thomas und mit Joji Yuasa (71)
den gegenwärtig bedeutendsten japanischen Komponisten. Felders
Bemühen, dem Nachwuchs die Vielfalt musikalischer Erfahrungen
an Hand selten aufgeführter Werke zu ermöglichen, führte
immer wieder zu begeisternden Höhepunkten. Als Auftakt beeindruckte
David Felder mit der Uraufführung des gleichermaßen dem
Solisten Daniel Druckman (Schlagwerk) und der Erinnerung an Feldman
gewidmeten Konzerts In Between (1999); zukunftsorientierte,
visionäre Substanz und explosive Kraft, wie sie vor 100 Jahren
einen Gustav Mahler oder Charles Ives auszeichneten, bewiesen, dass
Felder zu den wenigen Komponisten unserer Zeit gehört, die,
ohne zurückzublicken, auf der Basis von Vergangenheit und Gegenwart
ein neues Jahrhundert vorbereiten. Er verstand es, mit dem wesentlich
erweiterten June in Buffalo Chamber Orchestra Musiker
um sich zu scharen, die ohne Blick auf die Uhr neuen Intentionen
folgen. Ob Morton Feldmans The Viola in My Life IV (1971),
eine zarte, ja beinahe romantische Liebeserklärung (mit Jesse
Levine) oder dessen Crippled Symmetry (1984) mit den
Solisten der Uraufführung Eberhard Blum (Flöten), Nils
Vigeland (Klavier/Celesta) und Jan Williams (Schlagwerk), ob die
das Unendliche berührenden Klangvisionen Makrokosmos
III (1974) und Images I (1970) von Crumb
all dies bleiben letztlich nur Beispiele einer faszinierenden Vieldimensionalität.
Leider war es kaum möglich, sich ein klares Bild von Augusta
Read Thomas zu machen, griff sie in ihrem Referat doch lediglich
auf interessante Ausschnitte zurück. Hingegen animierte die
Aufführung ihres Funken sprühenden Violinkonzerts Spirit
Musings (1996). Sahen sich bis auf den Eröffnungsabend
die Konzerte aus finanziellen Gründen einem variierbaren Kammerensemble
(das New York New Music Ensemble, die Slee Sinfonietta und das June
in Buffalo Chamber Orchestra) angepasst, so boten die Referate den
Komponisten die Möglichkeit, auch Orchesterwerke vorzustellen.
Unvergesslich bleiben die Symphonie von Bernard Rands, Donald Erbs
The 7th Trumpet (die Bewältigung des von ihm miterlebten
Atomterrors über Hiroshima) und George Crumbs universales symphonisches
Weltbild Star-Child.
Philip Glass und Steve Reich war jeweils ein Abend gewidmet, wobei
Glass vorrangig mit dem Concerto for Saxophones in der komprimiertern
Version für ein Saxophonquartett (1985) und Reich mit Sextet
(1984), sowie mit City Life (1995) unter Bradley Lubman
für Furore sorgten. In seinem abschließenden Resümee
zitierte David Felder seinen Kollegen Charles Wuorinen: Es
gibt sicherlich viel zu lernen, doch gibt es nach der Schulzeit
auch Vieles, das man schnell wieder verlernen sollte. Weiter
wies er die Studenten eindringlich darauf hin, dass der Prozess
des Komponierens letztlich ein Prozess der Selbstverwandlung und
des Bewusstwerdens sei und sie sich im Klaren sein müssen,
dass sie nicht das sind, was sie von sich denken. Technik und Handwerkszeug
seien nur der Anfang.