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nmz-archiv
nmz 2000/11 | Seite 40
49. Jahrgang | November
Oper
& Konzert
Perspektiven für die Operntheorie
In Essen fand eine Tagung zur Zukunft der Oper statt
Wenn in Berlin über ein Haus der Geschichte nachgedacht wird
und gleichzeitig über Sparpläne, was die Opernlandschaft
der Stadt angeht, dann wird dabei vergessen: Auch Opernhäuser
sind Häuser der Geschichte. Und die sollte man nicht kaputt
sanieren. Wenn schon sparen, dann beim teuren name dropping. Wie
man mit Teamwork bessere Ergebnisse erzielen kann als mit ausgeprägtem
Starkult macht derzeit die mit Ehrungen überhaufte Staatsoper
Stuttgart vor. Die Pläne von Berlins Kultursenator Christoph
Stölzl zur Erhaltung der drei Berliner Opernhäuser sind
jedenfalls auf scharfe Kritik der deutschen Opernintendanz und ihres
Vorsitzenden und Generalintendanten der Deutschen Oper, Götz
Friedrich, gestoßen. Die Zukunft der Berliner Häuser
ist weiter ungewiss. Was die Kulturwissenschaft zur Zukunft der
Oper sagt, berichtet Georg Beck für die nmz von einer Tagung
in Essen.
Als
alles eigentlich schon zu Ende war, wurde es doch noch einmal spannend.
Erst die Podiumsdiskussion zur Tagung über die Zukunft der
Oper, ausgerichtet vom Kulturwissenschaftlichen Institut und vom
Aalto-Theater Essen, konnte der Brisanz des hochsubventionierten,
künstlerischen Großunternehmens Oper gerecht werden.
Im Gegensatz zur Besetzung der Wissenschaftstagung hatte die Dramaturgie
hier eine glückliche Hand. Das machte die Mischung. Komposition
(Luca Lombardi, Gerhard Stäbler), Intendanz (Peter Ruzicka,
Klaus Zehelein), Journalismus (Gerhard R. Koch) und Wissenschaft
(Gertrud Koch) brachten zumindest die Themen auf den Tisch, die
die Zukunft dieser Gattung zwischen Skylla und Charybdis, zwischen
Medialisierung und Musealisierung (Tagungsunterthema) tatsächlich
umschreiben. Zuvor hatte sich eine Phalanx von anglo-amerikanisch-europäischen
Opernakademikern zwei Tage lang erhebliche Mühe gegeben, ihr
Thema in einen wissenschaftlichen Kokon zu verpuppen und vor den
Augen des lauernden lieben Kollegen unangreifbar erscheinen
zu lassen. Ob die meisten Referenten an der Zukunft der Oper wirklich
interessiert waren oder nicht vielmehr an der Zukunft ihrer Theoriebildungen
über die Oper, wollte als Frage aus dem Essener Luftraum einfach
nicht verschwinden.
Musealisierung ?
Dass vor allen Dingen die Musealisierung die Wirklichkeit
des Operngeschehens landauf landab ziemlich genau beschreibt, ging
einmal mehr aus den immer noch erstaunlich konziliant vorgetragenen
kritischen Anmerkungen der Komponisten Lombardi und Stäbler
hervor, die beide am vorangegangenen Abend im Aalto-Theater eine
Opernpremiere (Gounods Faust in der Regie von Michael
Schulz) mehr oder weniger durchlitten hatten.
Lombardi befand seine eigene Faust-Oper verständlicherweise
um Längen zeitgenössischer, Stäbler äußerte
sein Unbehagen angesichts der Verkleidungsbemühungen des Premierenpublikums
und hätte sich am liebs-ten unter den Bühnenchor gemischt.
Das alte Lied. Wir gehen in die Oper das klingt immer noch
muffig, steif, musealisiert eben. Ob der (wieder einmal) angestimmte
Grabgesang auf die Literaturoper schon die Wende anzeigt? Auf jeden
Fall sorgte die Ankündigung des Stuttgarter Intendanten Klaus
Zehelein für Aufmerksamkeit, demnächst ein Forum Neues
Musiktheater aus der Taufe heben zu wollen. Mehr davon möchte
man dazwischenrufen. Denn auch wenn die Experimentierbühne
keine wirklich neue Idee ist sie bleibt wohl immer noch das
beste Gegengift gegen die Null-acht-fünfzehn-Inszenierungsgewohnheiten,
die den Tod aller Kunst bedeuten wie Zehelein einräumte. Dem
schickte Ruzicka die Anmerkung hinterher, dass für die nächste
Münchner Biennale eine Internetoper geplant sei.
Die Oper ein Ort der Verwandlungen, der heftigen Verwandlungen
ausgesetzt ist. Dies war die unstrittige Voraussetzung, die der
wissenschaftliche Teil der Veranstaltung zur Gattung machte, um
die Frage nach ihrer Zukunft großzügig zu ignorieren.
Zu beobachten war vielmehr, wie die Oper als Ort und Triebmittel
der Obsessionen auch erhebliche obsessive Wirkungen auf den theoretischen
Geist ausübt. In Essen nutzte ein rundes Dutzend Wissenschaftler
die Oper als Stimulans zur Theoriebildung. Nicht dass jeder dieser
Besprechungsunternehmen für sich genommen reizlos gewesen wäre.
Notwendig war allerdings, die sprießenden Theoreme von den
untergemischten Beobachtungen abzutrennen. Nicht die Schlussfolgerungen,
die Prämissen lohnten, festgehalten zu werden. Sei es nun der
Hinweis eines impulsiv argumentierenden Slavoj Zizek, wonach die
(wagnerischen) Geschlechterpaare, die auf der Bühne von ihrer
Liebe singen, nicht sich anschauen, sondern ihren Blick ins Leere
richten. Wen meinen sie? Meinen sie es ernst? Ist ihr
metaphysischer Blick intermedial zu verstehen
als Umlenkung des Interesses von den Augen auf die Ohren? (Tristan,
sterbend: Wie, hör ich das Licht?)
Zukunft der Oper praktisch
Oder sei es der unter heftiger, zitatcollagierender Anrufung Adornos
zu Wege gebrachte Fingerzeig von Alexander Garcia Düttmann,
der im Sinne des großen Übervaters die publikumstreibende
Kraft in der dramatischen Form der Oper selbst (wieder-) entdeckte.
Von hier aus, im Sein (der Oper) für Anderes bedürfe
es, so Düttmann, auch keiner gesonderten Kommunikations- oder
gar Integrationsbemühungen. Dies war ein polemischer Seitenhieb
auf Udo Bermbachs Forderung nach konsequenter Öffnung der Oper
und Mobilisierung des Publikums, um die in die Oper investierten
öffentlichen Mittel zu rechtfertigen und um andererseits selbst
etwas für die Heranziehung eines Opernpublikums zu tun. Zukunft
der Oper praktisch. In Essen geriet die Selbstverständlichkeit
dieser Anmerkung angesichts der beeindruckend aufgebotenen Metatheorien
(Psychoanalyse, Kritische Theorie, Strukturalismus, Genderstudies,
Übersetzungs-, Filmtheorie und ähnliches) unter den Verdacht
eines theorielosen Simpelzusammenhangs was auch ein Ausdruck
dafür sein mochte, dass Bermbachs politologisches Deutungsinteresse
in den Augen seiner Wissenschaftlerkollegen Patina angesetzt hat
und wenig Anlass für einen die Theoriebildung befeuernden kick
bietet. So gesehen waren die Tipps des Opernfreundes Bermbach (Operncafés,
Opernläden, Opernbesichtigungen mit Blick hinter die Kulissen,
Probenbesuche, Matineen etc.) in diesem Publikum irgendwie under
level.
Viel war in Essen von Wagner die Rede. Am Großmeister der
überwältigenden Bühnenmagie wollte keiner vorbei,
hatte auch keiner etwas zu meckern. So war es schließlich
kein Wunder, dass der Vortrag der erbwilligen Urenkelin Nike Wagner
gerade angesichts der unter heftiger öffentlicher Beteiligung
ausgetragenen Diadochenkämpfe auf dem Bayreuther Hügel
den meisten Publikumszuspruch verbuchen durfte. Ihr Kotau vor Wolfgang
Rihms Musiktheatertheorie und -praxis war als Referat hingegen eher
enttäuschend. Andererseits, warum sollte ausgerechnet auf der
Wissenschaftsbühne nicht gelten, was ansonsten immer gilt?
Geh weg, lass mich ran.