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nmz-archiv
nmz 2000/11 | Seite 37
49. Jahrgang | November
Oper
& Konzert
Sehnsucht nach den verbotenen Bildern
Zum diesjährigen Musikprotokoll im Steirischen Herbst
Seit nunmehr fünf Jahren zeichnet Christian Scheib für
das Musikprotokoll im Steirischen Herbst programmatisch verantwortlich.
Und er hat viel bewegt. Das oft sterile Umfeld zeitgenössischer
Festivals wurde, bisweilen sogar mit der Brechstange, aufgebrochen.
Experimente hin auf Bereiche der improvisierten Musik, hin zu avantgardistischen
Ansätzen aus dem Pop-Bereich, hin zum Sound-Design wurden groß
geschrieben.
Man
zog aus den Konzerträumen aus und verlagerte Projekte in Fabrikhallen,
in Disco-Bunker oder in stillgelegte Cafés. Mit dem Ortswechsel
ging gleichzeitig ein Werte-Wandel einher. Die alten Besucher des
Steirischen Herbstes, ausgestattet mit dem Rüstzeug von E-Avantgarde-Kriterien,
verspürten die Einseitigkeit, die Stumpfheit ihrer Wertmaßstäbe.
Wie auch sollte man zum Beispiel ein einstündiges Kratz-Rauschen
bewerten, das während der Zerstörung eines Tonabnehmers
mittels Sandpapier kreischend entsteht? Und gleichzeitig mit dem
Kurswechsel wurden auch die alten Interpreten, die standardisierten
Ensembles für Neue Musik an den Rand gedrückt.
Schon seit Jahren ergeht es dem Beobachter, der ein oder zwei Wochen
später dann die Donaueschinger Musiktage besucht, gerade so,
als würde er aus einer quirlig schlammigen, unausgegorenen
Ursuppe in wohlanständige Regionen einer aseptisch abgeklärten
Avantgarde auftauchen. Klammheimlich spürt auch der verbohrte
Avantgarde-Idealist, dass Graz mehr Fühler zumindest in die
nahe Zukunft ausstreckt, von der ja längst nicht ausgemacht
ist, ob es eine gute ist. Werke mit Ewigkeitswert darf man hier
kaum erwarten, dafür aber Konzepte, Projekte, irrsinnige Gedankensplitter,
Verdrehtes, Verhackstücktes.
Ganz dürfte diese Entwicklung Peter Oswald nicht gefallen.
Er hatte bis in die 90er-Jahre hinein das Musikprotokoll zum populären
Tummelplatz des Neuen entwickelt, nun aber hat er die Federführung
für den gesamten Steirischen Herbst übernommen. Er wird
sich fortan gewiss auch in die Programmatik des Musikprotokolls
einmischen. Das letzte Festival, das noch ohne seine Zuständigkeit
programmiert wurde, wirkte denn auch in seiner Radikalität
wie ein Verteidigungswall gegen seine wohl runderen, konventioneller
avantgardistischen Fortsetzungen.
Nur eine Beobachtung: Wirkte bislang das Konzert des Radio-Sinfonieorchesters
Wien, das es in diesem Jahr gar nicht gab, zumeist wie ein mumifiziertes
Fossil im Rahmen des Musikprotokolls, so musste sich diesmal das
allen E-Musik-Avantgardismen aufgeschlossene Klangforum
Wien mit freilich eher spröden Werken von Wolfgang Suppan,
Wolfram Schurig und noch am spannendsten von Misato
Mochizuki völlig an den Rand der Ereignisse gedrängt fühlen.
Denn in der neu erschlossenen Waagner-Biro-Halle in einem vom Hauptbahnhof
gnädig verdeckten Industriekomplex herrschten keine Bedingungen,
die den ohnehin eher stillen Arbeiten angemessen waren. Zudem hatten
sie zum diesjährigen Thema des Bilderverbots, respektive der
Bebilderung von Musik allenfalls in Reflexion gewendete Argumente
aus zweiter Hand anzubieten. Gehört wurde das Konzert nur unter
erschwerten Bedingungen, also kaum. Zu sehen außer dem fleißigen
Dirigenten Johannes Kalitzke und den Musikern gab es gar nichts.
Bilderverbot
Viel vom mosaischen Bilderverbot war beim Musikprotokoll im Steirischen
Herbst die Rede, vom Verbot, die Welt abbildend zu verdoppeln. Kunst
machen aber ist ohnehin Sünde, zumindest Hybris: So drehten
die Organisatoren das statuarisch asketische Gebot um und verwandelten
es dem Takt heutiger Zeit gehorchend um in (sounds + visuals):
Bilderverbot. Audiovisuelle Konzerte & Experimente in Kino,
Bad, Industrie- und Medienraum. So rutschten die Besucher
vom guten Alten ins schlechte Jetzt, in Konzepte, bei denen freilich
zumeist Hören und Sehen verging.
Denn Probleme, überhört oder übersehen zu werden,
wie sie sich dem Klangforum Wien stellten, hatten die Watt- und
Volt-verstärkten anderen Gruppen in dem andersartig-gemütlichen
Ambiente dann nicht mehr. Echtzeit-Computer rechneten wie verrückt
und wurden teilweise in ihren gemütlichen Regelkreisen vehement
aus dem Gleis geworfen. Sie reagierten mit schrillem Aufkreischen,
mit Rückkopplungen, mit bubberndem Absaufen. Dazu gab es Projektionen
auf Leinwände oder andere Reflektoren: Bilder, Grafisches,
die sich ineinander verschoben und wenn es hoch kam surreal brachen.
Unverkennbar war: Hier herrscht Leben, kreative Emphase. Unverkennbar
war aber auch, dass die hervorgelockten Geis-ter längst noch
nicht beherrscht sind.
Die Gruppen nämlich, die unter Namen wie reMI,
E69 oder nur mit einem Projekttitel wie bioplex,
Moment Gelée, Tance Bakxai oder boiled
frogs auftreten, bewegen sich allesamt noch mehr oder weniger
in einer Vorstufen-Bastelschule. Freilich geben die mit Millionen-Beträgen
gefütterten Video-Clips der Pop-Kultur ein Niveau an Ton-Bild-Korrelation
vor, das auf Avantgarde-experimenteller Ebene kaum zu erreichen
ist. So verlässt man sich meist etwas blauäugig auf Effekte
des spontanen Eingriffs.
Schwachstellen
Hierbei entstehen dann aber evidente Schwachstellen. Wie Klang
und Bild auf ganz neue Weise, weit jenseits des Musiktheaters oder
des musikunterlegten Films zu gestalten wäre, was Rhythmus
im Bild und im Ton bedeutet oder bedeuten kann, wie sich Zeitverläufe
musikalisch und in Filmsequenzen generieren, darüber wurde
offensichtlich auf dieser Ebene noch wenig nachgedacht.
Ein einfaches Beispiel: Ein pulsierender Klang vermag erotische
Sinnlichkeit zu evozieren, während eine wiederholte Bildfolge
oft das Gegenteil, den Trend zur egalitären Leere hervorruft.
Koppelt man beides in der Hoffnung auf Verstärkung, so entsteht
oft Verunsicherung durch Ablenkung. In solchem Rahmen aber bewegten
sich die Projekte zumeist.
Zu beobachten ist innerhalb dieser Szene, dass die Vorliebe für
die technische Verfügbarkeit, das Ausprobieren, auch das In-Gang-Halten
von computergesteuerten Prozessen einen Großteil der schöpferischen
Kraft absorbiert. Der Reiz an sich minimalistisch verschiebenden
Soundflächen, an rotierenden Bildsequenzen genügt sich
häufig selbst. Aus den Augen aber wird verloren, dass das Produkt
auch Erkenntnisse, neue sinnliche Erfahrungen zu vermitteln hätte,
Erfahrungen, die über den raumgesteuerten Klangeffekt hinauszugehen
hätten.
So aber ließen die Produkte häufig eine Kraft spüren,
die schnell im Feeling, in der leeren Gewalt des Schalldrucks, im
Spiel von sich gegenseitig verschiebenden Wellen, die die allgegenwärtigen
Computer willig errechneten, hängen blieb. Substanz, Tiefsitzendes
blieben dabei außen vor. Freilich können Konzeptionen
wie etwa der Versuch von reMI, Computer über ihre
Leistungsfähigkeit zu treiben und dabei die Reaktionen zu verfolgen
oder auch heterogen Zusammengewürfeltes der Moskauer Gruppe
E69, die mit Gefängniskleidung, futuristischem
Outfit, verfließenden Bildern und Teremin-Geweine und harten
Klangkaskaden protzte, durchaus das Interesse fokussieren.
Neue Schürfstellen
Bald aber wird der Prozess zum durchschaubaren Selbstlauf und das
Interesse erlischt. Ebenso litt Gerhard E. Winklers Hybrid
V für Frauenstimme, Echtzeitpartitur und interaktive
Klang- und Videosteuerung als Rückkopplungsverfahren zwischen
Stimme und maschinellen Prozessen daran, dass der Betrachter beziehungsweise
Hörer nur undeutlich wahrnimmt, in welche geplanten oder abweichenden
Bahnen das Stück geriet. Ratlosigkeit blieb, die noch am ehesten
von Moment Gelée des Persers Kiawasch Saheb-Nassagh
durchbrochen wurde. Hier gelang auf der Basis einer komponiert/improvisierten,
formal zwingend gebauten musikalischen Form auch ein Videoverlauf,
dessen Rhythmen sich kreativ zum Gehörten brachen. Ein partiell
lustvoller Höhepunkt, der in den weiteren Programmpunkten bald
wieder egalisiert wurde.
Nicht aber so, dass man das ideell Projizierte gleich ad acta
legen möchte. Das diesjährige Musikprotokoll legte Potenziale
offen, neue Schürfstellen. Die Mechanismen ihrer Erschließung
aber darf man sagen hin auf eine humanistische Sicht?
sind noch längst nicht in ihren Möglichkeiten ausgearbeitet.
Auf das Patent aber wartet wohl schon die Kulturindustrie der kommenden
Jahrzehnte. Und dann dürfte es für den gestellten, aber
noch nicht durchgearbeiteten Anspruch schon wieder zu spät
sein.