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nmz-archiv
nmz 2000/11 | Seite 4
49. Jahrgang | November
Cluster
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Netzbeschmutzer
Hätte es bei irgendeiner politischen oder vereinsrechtlichen
Wahl eine Wahlbeteiligung von 0,025 Prozent gegeben und hätten
daraufhin 0,002 Prozent der abgegebenen Stimmen zur Erlangung eines
Mandates ausgereicht, wäre das Geschrei groß gewesen.
Fast
ganz ohne Geschrei wurde das Ergebnis der Wahlen der Internet
Corporation for Assigned Names and Numbers (ICANN) zur Kenntnis
genommen, obschon es ebenso grotesk ist. Bei weltweit 300 Millionen
wahlberechtigten Netznutzern lag die Wahlbeteiligung bei besagten
0,025 Prozent und knapp sechstausend der insgesamt 76.000 Stimmen
reichten bei den größten Online-Wahlen der Geschichte
aus, um Andy Müller-Maghun zum Europa-Direktor
der ICANN zu machen.
Der Vorgang könnte als spaßgesellschaftlicher Beitrag
im Guiness-Buch der Negativ-Rekorde abgelegt werden, ließe
er nicht böse Folgen erwarten. Andy Müller-Maguhn ist
kein virtuelles Cyberspace-Wesen, sondern der ehemalige Sprecher
des Hamburger Chaos Computer Clubs. Der zum Gärtner gemachte
Hacker-Bock wird künftig weltweit über die Vergabe von
Webadressen-Endungen mitbefinden und ein gewichtiges Wort bei Entscheidungen
haben, an welchem Punkt die bereits erreichte Unmenschlichkeit der
Netzfreiheit endet. Freiheit für Faschisten, Kinderschänder
und Börsengauner im virtuellen Parallel-Universum
des Netzes?
Die Ideologie vom Kollektiven
Netzeigentum
Unser besonderes Interesse gilt denjenigen Passagen seiner am 17.
Oktober 2000 in der FAZ veröffentlichten Regierungserklärung,
in denen er in Fortentwicklung der These Proudhons (?), Eigentum
sei Diebstahl die Rechtssysteme von Copyright und Urheberschaft
attackiert. In seinem herrschaftsfreien Raum, führt Müller-Maguhn
aus, werde Geschenk-Kultur herrschen. Was die
Juristen Geistiges Eigentum nennen, ist nichts weiter
als ein Diebstahl an öffentlichem Raum. Und da wir die
Netzbenutzer jetzt keine Lust haben, uns den öffentlichen
Raum durch diese Diebe kaputt machen zu lassen, mussten wir ein
wenig provokativ werden. Blöde Krawattis
seien es, die da bürgerlich-altmodisch das Klonen von Dateien
schlicht Raubkopieren nennen. Nicht der beraubte ist das Opfer,
sondern der als solcher verfolgte Räuber, weil ihm im öffentlichen
Raum des Netzes netzrechtswidrig das vorenthalten wird, was doch
allen gehört.
Diese Ideologie vom Kollektiven Netzeigentum, die
die Vernetzung nicht als neues Kommunikationsmittel in dieser, sondern
als öffentlichen Raum in einer anderen parallelen
Welt betrachtet, in der zivile Regeln aufgehoben sind, ist alles
andere als etwa von rührender Lächerlichkeit. Sie ist
ernst zu nehmen, leistet sie doch und sei es subkutan
den vielerorts ausmachbaren Tendenzen Vorschub, die Rechte am geistigen
Eigentum und die Wertigkeiten künstlerischer Leistungen schrittweise
zu demontieren.
Alle Inhaber von Rechten an geistigem Eigentum, seien es Autoren
oder Künstler, seien es Verleger oder Verleiher, sollten den
ihnen von einem der wichtigsten Männer des Internet
(so die FAZ) im Namen der Göttin des Streits
(so Müller-Maguhn) hingeworfenen Fehdehandschuh beherzt aufnehmen
und sich nicht von dem obskuren Internet-Wahlverfahren und -ergebnis
einlullen lassen. Andernfalls bildet sich Müller-Maguhn noch
ein, er sei eine Art Schinderhannes oder Robin Hood des Internets.