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nmz-archiv
nmz 2000/11 | Seite 51
49. Jahrgang | November
Musiker und Musikerzieher
Berufe im Wandel
Balancieren zwischen Bildungsauftrag und Marktgeschehen
Beruf Musikschullehrer: von den historischen Ursprüngen
hin zu aktuellen Trends und Forderungen
Der Beruf des Musikschullehrers hat sich mit enormer Dynamik entwickelt.
Am Anfang stand neben dem klassischen Privatmusiklehrer der Lehrer
der Sing- oder Jugendmusikschule, der im Klassenunterricht Gesang,
Musiktheorie und weitere Ergänzungsfächer unterrichtete.
Eine Vereinbarung der Leiter der Volksmusikschulen mit dem Reichsverband
Deutscher Tonkünstler und Musiklehrer sah 1927 vor, dass
das Instrumentalspiel lediglich so weit getrieben wird, wie es im
Dienste der Jugendmusikbewegung als einer Singbewegung nötig
ist. [1] Doch diese Vereinbarung entsprach
schon damals nicht den tatsächlichen Verhältnissen. Musikschulen
erteilten Instrumentalunterricht, zunächst ergänzend für
diejenigen Schüler, die sich in den Klassen als besonders begabt
erwiesen, sehr bald jedoch als eigenständiges Angebot. [2]
Unterrichtserlaubnisschein
PMP Diplom
Aber woher sollten die Lehrer für diese Schulen kommen? Albert
Greiner, seit 1905 Leiter der Augsburger Singeschule, schrieb dazu
1924: Ich möchte ebenso wenig befürworten, dass
den schwer und ehrlich um ihre Existenz ringenden Berufsmusikern
durch wirklich Unberufene das Wasser abgegraben wird, als ich die
Betätigung von Idealismus und Begeisterung musikalisch wertvoller
Volksschullehrer gewaltsam unterbunden sehen möchte. Besonders
wenn es sich um eine mit der Volksschule so nah verwandte Anstalt
handelt. [3]
Tatsächlich waren die Lehrer an seiner Singschule zum größten
Teil Volksschullehrer im Nebenamt. [4] Das
lag bei dem vorherrschenden Klassenunterricht nahe. (Auch Fritz
Jöde, einer der Begründer der Musikschulbewegung, kam
ja aus der Schule.) Als der bedeutende kulturpolitische Reformer
Leo Kestenberg die Einrichtung von Musikschulen forderte, begründete
er dies hauptsächlich mit der vielfach unzureichenden Qualität
des Privatunterrichts. [5] Kestenberg war
es auch, auf den die Meldepflicht für Privatmusiklehrer (1922)
und dann die Einführung einer Prüfung für den Unterrichtserlaubnisschein
(1925) zurückging. Maria Leo, eine Mitstreiterin Kestenbergs,
gab 1932 in der Zeitschrift Musikpflege [6]
einen Einblick in die teilweise erschreckenden Ergebnisse der Prüfungen:
Denn gerade die schlechtesten Lehrer begründen ihre Ablehnung,
noch etwas zu lernen damit, dass sie keine Zeit dazu hätten,
weil sie 40 bis 60 Schüler unterrichten, ganz zu schweigen
von denjenigen, die 10 bis 15 Schüler in einer Stunde versammeln
und also ein Vielfaches von obiger Zahl erreichen. Als Entschuldigung
hört man in der Unterhaltung immer wieder: So weit komme
ich nicht mit den Schülern, die bleiben ja immer nur 1 bis
2 Jahre. Fragt man dann, ob nicht darüber nachgedacht
sei, dass das am Unterricht läge, so zeigt sich regelmäßig
großes Erstaunen. Was sollen denn auch die armen Kinder länger
dort? [7]
Im Zuge der Kestenberg-Reformen entstanden Studiengänge für
Musikpädagogen, die Privatmusiklehrerprüfung (PMP) wurde
eingeführt. Die Qualifikationsanforderungen an die Musikschullehrer
sind seitdem ständig gewachsen. Man denke nur an die Mitwirkung
der Musikschulen an dem Wettbewerb Jugend musiziert
(seit 1963) und die Einrichtung der Studienvorbereitenden Abteilungen.
Es erwies sich seit den 60er-Jahren, dass die Ausbildung an den
Musikhochschulen nicht Schritt hielt mit der Dynamik der Musikschulentwicklung.
Immer wieder meldete die Praxis Defizite bei den Lehrangeboten
der Hochschulen.
Allmählich setzte sich die Einsicht durch, dass der Beruf
mehr verlangt als nur den hochqualifizierten Instrumentalisten
mit pädagogischer Ausbildung: die Lehrer müssen etwas
von musikalischer Früherziehung verstehen, auch Gruppenunterricht
erteilen können, Kenntnisse in Jazz, Rock, Pop aufweisen, Improvisation
beherrschen, zur Gruppenleitung ausgebildet sein, vielleicht auch
am Computer Arrangements für ihre Gruppen schreiben können.
Ein wichtiger Schritt war die Einführung der Diplomstudiengänge
für Musikschullehrer seit den 70er-Jahren. An die Stelle des
Fachhochschulabschlusses ist ein Hochschulabschluss getreten. Das
Abitur wurde zur Aufnahmevoraussetzung, die Studienzeit wurde verlängert
und bot Raum für die neuen Anforderungen aus der beruflichen
Praxis. Stellenausschreibungen für Musikschullehrer erwarten
oft einen Diplomabschluss und tragen damit den gewachsenen Anforderungen
an die Lehrerausbildung Rechnung. Wenn es aber an die Bezahlung
geht, behandeln die Personalämter das Diplom wie eine Überqualifikation,
die keine entsprechende Eingruppierung rechtfertige...
Eine pädagogische
Umorientierung
Als die Begriffe Selbstfindung und Selbstverwirklichung Anfang
der 70er-Jahre (im Gefolge der Studentenbewegung) die Diskussion
bestimmten, beförderten sie eine entscheidende pädagogische
Neubesinnung. Weiß der Lehrer wirklich schon im Vorhinein,
was gut für seinen Schüler ist? Oder darf der Schüler
erwarten, dass auf seine Interessen, seine Besonderheiten eingegangen
wird? Kommt es nicht auf die Entwicklung seiner Ausdrucksfähigkeit
an, statt nur auf die Aneignung eines von anderen angesammelten
Schatzes an Bildungsgütern? Die Entwicklung der Schülerpersönlichkeit
ist von eigenem Wert nicht nur seine Fähigkeit zur Übernahme
fremder Rollenerwartungen.
Es kommt zu folgenreichen Erweiterungen der Aufgaben des Lehrers.
Auch die seither entstehenden Lehrpläne stellen sich mehr und
mehr dem Anspruch, den Unterricht auf den einzelnen Schüler
einzurichten. Dessen Neigungen und individuelle Entwicklung werden
ausschlaggebend für die Auswahl der Unterrichtsinhalte.
Kulturelle Öffnung und
neue Zielgruppen
Wer die Schülerpersönlichkeit ernst nimmt, muss mit seinen
Lehrangeboten auf die kulturellen Ausdrucksformen der Schüler
reagieren. So wurde es zunehmend selbstverständlich, Jazz,
bald auch Rock- und Popmusik in das Unterrichtsangebot aufzunehmen.
Das Interesse für die Ausdrucksfähigkeit des Schülers
hilft, die starre Entgegensetzung gute Musik
Schundmusik, die die Anfänge der Musikschulbewegung
kennzeichneten, zu überwinden. Nur ein Beispiel für die
seither eingetretenen Änderungen: Zitierte früher mahnend
eine Klavierschule [8]: Robert Schumann:
Klimpere nie! enthalten nun Klavierschulen
Anregungen zur Improvisation! Auch die multikulturelle Gesellschaft
stellt die Musikschule vor neue Herausforderungen. Die Beschäftigung
mit der Musik anderer Völker erweist sich als eine große
Chance, interkulturelle Barrieren zu überwinden und gegenseitiges
Verständnis und Akzeptieren wachsen zu lassen.
Insgesamt ist zu beobachten, dass sich die Aufgabenfelder der
Musikschule und ihrer Lehrer ständig erweitern. Angeregt durch
die positiven Erfahrungen mit Musiktherapien, wächst der Bedarf
nach Musikangeboten für Behinderte. Die Altersbegrenzungen
der Musikschulen sind fast überall gefallen. Die Lehrer erleben
sich in Unterrichtssituationen, in denen ihre Schüler älter
sein können als sie selbst. Die Vielseitigkeit des Lehrers
und seine pädagogische Entwicklungsbereitschaft wird so gefordert
wie wohl noch nie zuvor. Was der Attraktivität des Berufes
nur zugute kommt.
Öffentlichkeitsarbeit,
Veranstaltungen, Events
Das Interesse der Musikschulträger an öffentlichkeitswirksamen
Veranstaltungen ist so ganz neu nicht. Heinrich Dorn, auf den die
Gründung der Rheinischen Musikschule Köln 1845 zurückgeht,
war nach Köln gerufen worden, weil er sich in Riga mit einem
spektakulären Musikfest der russischen Ostseeprovinzen
einen Namen gemacht hatte. [9] In der Freizeit-Gesellschaft
jedoch nimmt der Anspruch an Veranstaltungen völlig neue Dimensionen
an. Da geht es längst nicht nur um die Präsentationen
der Musikschularbeit in Schülervorspielen und Konzerten. Da
werden große Projekte in Angriff genommen, von der Kinderoper
bis zum Musical, da werden Feste veranstaltet, Tage der offenen
Tür, Kulturfeste, Stadtteilfeste und auch für feierliche
Veranstaltungen der Stadt erwartet man vielfach die musikalische
Umrahmung durch Ensembles oder Solisten der Musikschule.
Das Arbeitsfeld des Lehrers hat sich von dem Wirkungskreis für
die Schüler und deren nächsten Verwandten in die Öffentlichkeit
erweitert. Es genügt nicht, seine Schüler auf Auftritte
vorzubereiten, er muss die Auftritte inszenieren und moderieren
können, mit Medien umgehen lernen, um für die erforderliche
öffentliche Aufmerksamkeit zu sorgen. Auch für die Schüler
spielt diese Art von Aktivität eine wichtige Rolle. Wenn sie
auf ihre Zeit in der Musikschule zurückblicken, steht für
die meisten nicht ein Unterrichtsgeschehen im Vordergrund. Für
sie ist ihre Musikschulbiografie strukturiert durch
die Events, die außergewöhnlichen Veranstaltungen,
an denen sie teilgenommen haben.
Arbeit zur Erhaltung der Arbeitsmöglichkeiten
Die Öffentlichkeitsarbeit erhält für viele Musikschulen
eine zusätzliche Dimension mit dem Kampf um Erhalt und Ausbau
der Arbeitsmöglichkeiten der Musikschule. Eine Musikschule,
deren Lehrer nicht kampagnenfähig sind, ist nur
zu schnell in ihrer Existenz oder mindestens in ihrer Qualität
bedroht. Zusammen mit Schülern, Schülereltern, mit der
Presse und mit den Parteien müssen Lehrer mitziehen beim großen
Tauziehen um die Verteilung öffentlicher Mittel. Hier fallen
auch der gewerkschaftlichen Vertretung in der IG Medien wachsende
Aufgaben zu. Vielen Lehrern fällt das nicht leicht. Sie wollen
sich nicht von ihrer eigentlichen Arbeit abhalten lassen.
Es ist ein bitterer Lernprozess, aber nichts deutet darauf hin,
dass dieser Anteil an der Arbeit eines Musikschullehrers in Zukunft
wenig wichtig werden könnte.
Produktivitätssteigerung
in der Nachkriegszeit
Nach dem Zweiten Weltkrieg unterrichteten die angestellten Lehrer
bei 48-Stunden-Woche 28 Stunden, je nach Kommune à 45 oder
50 Minuten, heute sind wir bei der 38,5-StundenWoche und die Unterrichtsverpflichtung
liegt bei 30 Stunden. Man ist versucht, mit verzweifeltem Humor
auszurufen: Der Himmel behüte die Lehrer vor weiterer Arbeitszeitverkürzung.
Schlägt noch die Umrechnung der ferienbedingten Schließungszeiten
mit zwei Stunden wöchentlicher Mehrarbeit zu Buche, dann kann
man von einer Produktivitätssteigerung pro Arbeitsstunde um
33 Prozent sprechen wohlgemerkt: ohne den Einsatz neuer Maschinen
oder EDV...
So lange es keine tariflichen Regelungen für Musikschullehrer
gab, konnten die Musikschulträger Grund- und Musikschullehrer
immer unterschiedlicher behandeln zu Ungunsten der Musikschullehrer,
deren Eingruppierung und Stundenverpflichtung sich real verschlechterte.
Erst 1982 gelang es, einen (Anschluss-)Tarifvertrag zu erringen,
der für Funktionen wie Leitung, Stellvertretung, Fachbereichsleitung,
in der Studienvorbereitung und der Ensemblearbeit bessere Eingruppierungen
ermöglicht und den Umfang der Unterrichtsverpflichtung festlegt.
Kein Grund zum Jubeln, und doch heute ein wichtiger Beitrag zur
sozialen Sicherung des Berufes, und durchaus nicht ungefährdet.
Trend geht zur
Selbstständigkeit
Der gesellschaftliche Trend geht weg von der festen Stelle. In
manchen Städten ging die Erwartung, dass die Schulen mit geringer
Stellenausstattung erst im Aufbau seien, nur ein paar Jahre, dann
wurden selbst die wenigen Stellen noch abgebaut. Was früher
für richtige Musikschulen nicht in Frage gekommen
wäre, findet sich nun immer häufiger: die Verteilung der
Aufgaben an freie Mitarbeiter, also an qualifizierte Lehrer, die
jedoch nicht in den Betrieb eingebunden sind und kaum die Gelegenheit
zur fachlichen Zusammenarbeit haben.
Die Propagandisten des Trends zur Selbstständigkeit behaupten,
damit sei letztlich den Betroffenen gedient, die nun frei, flexibel
und effizienter arbeiten und wirtschaften könnten. Der Markt
kommt zum entgegengesetzten Ergebnis.
Bundesweit gibt es keine Musikschule, an der die freien Mitarbeiter
auch nur eine gleichwertige Bezahlung erreicht haben, geschweige
denn einen Risikozuschlag für ihre schlechtere soziale Sicherung.
Die Selbstständigkeit bedeutet Vereinzelung und Schwächung
der Musikschullehrer. Und es bedarf eines erheblichen Maßes
an solidarischem gewerkschaftlichen Handeln, um für diese Lehrkräfte
die Arbeitsbedingungen auch nur zu stabilisieren.
Qualität zu Markte tragen
Vier Thesen
1. Zusammenarbeit Vernetzung: Die Arbeit der Musikschullehrer
ist so vielseitig und anspruchsvoll geworden, dass kein Einzelner
alle Anforderungen erfüllen kann. Zusammenarbeit wird wichtiger
denn je. Hier gerät der Trend zur Selbstständigkeit an
eine qualitative Grenze. Die Entwicklung zur Zusammenarbeit oder
Vernetzung wird auch die Privatmusikerzieher erreichen,
um den künftigen Anforderungen gewachsen zu sein.
2. Bildungsanspruch: Musikschullehrer müssen ihre
Ansprüche an die Leis-tungsbereitschaft der Schüler legitimieren.
Ein Kanon verbindlicher kultureller Überlieferungen, auch wenn
man ihn modisch erweitert, genügt nicht mehr. Die hohen Ansprüche
unter dem Motto Musik macht Spaß einfach fallen
zu lassen, wäre erst recht nicht zu vertreten. So ist immer
wieder nach einer Balance zwischen Bildungswerbung und marktgerechten
Angeboten zu suchen.
3. Musikalische Kommunikation ästhetische Qualität:
Viel zu sehr wurde das Musizieren der Vereinzelung überlassen,
wurde die Ensemblearbeit hintangestellt. Die Kommunikation, die
der Ensemble-fähige Spieler erlebt, erschließt eine ästhetische
Qualität der Musik, auch der solistisch interpretierten. (Randbemerkung:
Neue Unterrichtsformen sollten gerade unter diesem qualitativen
Vorzeichen gründlicher diskutiert werden als in der Vergangenheit.)
4. Persönlichkeitsentwicklung: Die Musikschulen profitieren
von der Entwicklung zur Freizeitgesellschaft. Sie haben
in dieser Freizeitgesellschaft etwas zu bieten, was ansonsten selten
wird: Ein Angebot, das den Konsumenten ernst nimmt, ihm zumutet
und zutraut, sich zu entwickeln sich so intensiv mit etwas
zu beschäftigen, dass er in der Begegnung mit der Kunst aus
der Rolle des Konsumenten heraustritt.
Andreas Eschen, Fachgruppe Musik der IG Medien
Anmerkungen:
[1] zit. nach: Hemming, Dorothea (Hrsg.): Dokumente zur Geschichte
der Musikschule (19021976). Regensburg 1977, S. 53.
[2] vgl. z.B. Armin Clasen/Engelhardt Barthe: Volksmusikschule Hamburg,
Hamburg, Januar 1933, zit. nach Hemming, a.a.O., S. 96: Die
innere Arbeit der Schule zerfällt in zwei Teile, den Fach-
und den Gemeinschaftsunterricht.
[3] Albert Greiner, Die Augsburger Singschule in ihrem inneren und
äußeren Aufbau. Augsburg 1924, S. 16.
[4] Greiner, a.a.O., S. 16.
[5] Leo Kestenberg: Musikerziehung und Musikpflege. Leipzig 1921,
S. 56.
[6] Leo, Maria: Der Unterrichtserlaubnisschein. In: Die Musikpflege,
1. Jg. 1932, S. 2737.
[7] Leo, a.a.O., S. 34.
[8] Schneider, Willy: Die Klavier-Fibel. Wilhelmshaven 1952 (2.
Aufl.), S. 7. Ich danke Stefan Gretsch für diesen Hinweis.
[9] Lindlar, Heinrich: Die Geschichte des Musikschulwesens in Köln
seit 1815. In: Lindlar, H. (Hrsg.): 130 Jahre Rheinische Musikschule
Köln. Erbe und Auftrag. Köln 1975, S. 11.