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nmz-archiv
nmz 2000/11 | Seite 49-51
49. Jahrgang | November
Musiker und Musikerzieher
Berufe im Wandel
Zwischen Bildungsauftrag und Markt
Musikschulen auf der Suche nach dem gesellschaftlichen Standort
· Von Reinhart von Gutzeit
Der folgende Text basiert auf einem Grundsatzreferat, das Reinhart
von Gutzeit, Mitte Oktober auf dem Musikschultag des Verbandes Bayerischer
Sing- und Musikschulen (VBSM) in Bad Wiessee hielt.
Solange ich mit Musikschulen zu tun habe, beobachte ich den Versuch
und beteilige mich daran, die Musikschulen in der Gesellschaft klarer
zu positionieren. Wo gehören sie hin? Schule? Jugend? Kultur?
Erziehung? Bildung? Freizeitmarkt? Geht es um die Sache selbst
um die Musik und die musikalischen Fertigkeiten? Oder geht es um
Transfer die berühmten Schlüsselqualifikationen?
Geht es darum, dass Musik klüger macht (??), konzentrierter,
leistungsorientierter und sozialer? Oder geht es wie die
Rheinländer sagen einfach um den Spass an der
Freud? Von allem etwas? Aber was steht dann im Vordergrund,
was macht das Profil und das Wesen der Musikschulen aus?
Bildungsauftrag und Markt
Man kann nur sehr Oberflächliches über die Beziehung
zwischen Bildungsauftrag und Markt sagen, ohne sich wenigstens in
gröbsten Umrissen auf den Bildungsbegriff einzulassen, und
genauer zu überlegen, wie speziell der Bildungsauftrag der
Musikschulen zu fassen ist. Es sind drei Begriffe, mit denen das
Feld ausgeleuchtet werden soll: Unterricht, Erziehung und Bildung.
Keineswegs Synonyme, sondern Begriffe mit deutlich unterschiedlichen
Inhalten. In ihnen liegt eine Entwicklungsrichtung vom Einzelnen
zum Ganzen oder vom Besonderen zum Allgemeinen. Ein Zitat des großen
deutschen Philosophen Johann Friedrich Herbart (17761841),
Nachfolger Kants auf dessen Königsberger Lehrstuhl, geht auf
den grundlegenden Unterschied zwischen Unterricht und Erziehung
ein:
Bei weitem nicht aller Unterricht ist pädagogisch,
sagt er, was des Erwerbs und Fortkommens wegen ... gelernt wird,
dabei kümmert man sich nicht um die Frage, ob dadurch der
Mensch besser oder schlechter werde. Wie er nun einmal ist, so
hat er, gleichviel ob zu guten, schlechten, gleichgültigen
Zwecken, die Absicht, solches und anderes zu lernen; und für
ihn ist derjenige Lehrmeister der rechte, der ihm tuto, cito,
jocunde (sicher, schnell und vergnüglich) die verlangte Geschicklichkeit
beibringt.
Um des Erwerbs- und Fortkommens wegen solches und anderes zu lernen:
Einen Einführungskurs in Windows 2000 können wir dieser
Rubrik zuordnen, oder den Unterricht in der Fahrschule wenngleich
man sich dort schon erziehende Anteile wünschen
muss. Ich greife schon ein gutes Stück vor, wenn ich nur andeute,
dass ich mir bei solchen Arten von Unterricht (der um des Erwerbs
und Fortkommens willen schnell und sicher die verlangte Geschicklichkeit
beibringt) ganz gut eine Orientierung an Prinzipien des Marktes
vorstellen kann, ohne schlimme Folgen zu befürchten.
Von solchem Unterricht wird hier nicht geredet, sondern vom erziehenden
Unterricht, fährt Herbart fort. Er und seine Nachfolger vertraten
die Auffassung, dass erziehender Unterricht über die Entwicklung,
den Aufbau von Gedankenkreisen der Gesinnungsbildung
und der Charakterbildung zu dienen habe. Gesinnungsbildung
und Charakterbildung Begriffe, aber auch Denkansätze,
mit denen wir uns außerordentlich schwer tun. Einmal mehr
spürt man hier, wie wir zwischen zwei brutal wirksamen Kraftfeldern
unserer jüngeren geschichtlichen Entwicklung eingeklemmt sind:
auf der einen Seite die Nachwirkungen der Nazizeit, wo idealistische
Begriffe wie Gesinnung oder Charakter schrecklich pervertiert wurden.
Auf der anderen Seite das amerikanisch geprägte Erfolgs- und
Durchsetzungsdenken, in dem ethische Orientierungen eher hinderlich
erscheinen. Vor diesem Hintergrund ist wohl unsere Zurückhaltung
zu verstehen, uns um die Gesinnungs- und Charakterbildung der jungen
Generation aktiv zu kümmern wohin das führt, können
wir jeden Abend in den Nachrichten sehen.
Der Autor: Reinhart von Gutzeit.
Foto: Inken Kuntze
Zurück zu dem so wesentlichen Unterschied zwischen Unterricht
und Erziehung! Unterricht kann als die Vermittlung und Erarbeitung
von Kenntnissen, von Fähigkeiten, Fertigkeiten und Einsichten
beschrieben werden. Erziehung ist dagegen zu verstehen als: Aufbau
eines Selbst- und Weltbildes, Erwerb von sozialen Einstellungen
und Verhaltensweisen, von geistiger Offenheit, vielleicht auch von
optimistischem Lebenssinn und Tatkraft.
Bildung ist mehr als umfassendes und vertieftes Wissen. Bildung
stellt sich einerseits als eine Summe aus Unterricht und Erziehung
dar, geht andererseits aber auch über beides hinaus. Denn der
Bildungsbegriff, wie er in der Romantik in den Vordergrund tritt,
weist auch auf ein gänzlich verändertes Verständnis
hin. Die vorher herrschende Sichtweise sah Erziehung eher in Analogie
zum handwerklichen Tun. Wie der Handwerker nach einem vorgefassten
Plan aus einem vorhandenen Material mit einem geeigneten Handwerkszeug
seinen Gegenstand herstellt, so bringt der Erzieher nach dem ihm
vorschwebenden Ziel eine bestimmte Formung des ihm anvertrauten
Menschen hervor. Durch planmäßige Anwendung der richtigen
Methoden wird bei hinreichender Ausdauer und Materialkenntnis schließlich
das gewünschte Ergebnis erzielt.
In der Romantik wandelt sich diese Betrachtungsweise entscheidend.
Nun wird der Mensch nicht mehr als ein beliebig zu formendes Material
gesehen, sondern als ein Wesen, das sich von Innen her nach dem
ihm eigenen Gesetz zu dem in ihm angelegten Ziel entfaltet. Bildung
wird nun eher als das Ergebnis eines organischen Wachstums gesehen.
Das führt zu einem ganz anderen Begriff von Erziehung: als
eine Kunst des Pflegens und Wachsenlassens. Rousseau bezeichnet
sie als negative Erziehung negativ im Sinne des Nicht-Störens
eines Naturvorgangs.
Auch wenn man sich einer so radikalen Sichtweise nicht anschließen
möchte eines scheint klar: dass der Schüler oder
Student sehr viel mehr Eigenverantwortung übernehmen muss,
wenn aus Unterricht und Erziehung Bildung werden soll. Die Weisheit
der Sprache hat dies wie so oft erkannt: Ich unterrichte dich,
ich erziehe dich den Satz Ich bilde dich
kennt sie nicht. Du bildest dich! (Hingegen gibt es
den Satz Ich bilde dich aus aber der hat eben
eine ganz andere Bedeutung.)
Wenden wir uns von der allgemeinen einer spezielleren Betrachtung
zu und versuchen wir, Musik-Unterricht, Musik-Erziehung und musikalische
Bildung in dieses Tableau einzufügen. In einer tabellarischen
Übersicht habe ich versucht, die allgemeinen Ziele beispielhaft
um Inhaltliches und um besondere Ziele zu ergänzen und den
Begriffen Unterricht, Erziehung und Bildung zuzuordnen.
Die Details eines musikalischen Unterrichtes sind uns geläufig
und brauchen nicht erläutert sondern allenfalls ergänzt
zu werden. Musikalische Erziehung zielt im engeren Sinn auf Musikliebe
und Freude an musikalischer Tätigkeit, hat aber auch allgemeine
Ziele wie die Fähigkeit zum Engagement, Leistungsbereitschaft
und ähnliches im Blickpunkt. Auf der Bildungsebene sind allgemeine
Ziele und Teilziele in einer unauflösbaren Weise miteinander
verschränkt. Hier geht es um musikalische Bildung als Teil
einer ästhetischen Bildung; es geht um Maßstäbe
und Proportionsgefühl; um Sensibilität; um Respekt gegenüber
anderen Ordnungen, also die Fähigkeit, eigene Überzeugungen
und Wertvorstellungen zu relativieren; um Brückenschläge
zur Vergangenheit. Aus derlei Komponenten geformte Bildung konstituiert
gemeinsam mit Klugheit und Erfahrung letztlich eine Eigenschaft
wie Weisheit, die auch in unserer gegenwärtigen
Welt noch benötigt wird, wenn es darum geht, Ratschläge
zu geben und Entscheidungen zu treffen, die nicht nach Faktoren
und Kennzahlen berechnet, sondern abgewogen werden müssen.
Wie bewältigt nun die Schule als Institution Nr. 1 für
Unterricht, Erziehung und Bildung diese Aufgabenstellung? Mir scheint,
dass sie sich in bedrückender Weise auf das Feld Unterricht
konzentriert. Zum Aspekt der Erziehung haben sich viele Lehrerinnen
und Lehrer von einer persönlichen Verantwortung abgemeldet.
Und Bildung? Es ist sicher sehr schwer, ein objektives Bild zu gewinnen;
aber wenn man die Schullandschaft von Nord bis Süd anschaut,
dann entsteht nicht der Eindruck, dass wir uns in einem konjunkturellen
Hoch befinden.
Bei der Suche nach den Ursachen drängt sich der Verdacht auf,
dass es mit der übertriebenen Kennzahlen-Orientierung des schulischen
Unterrichts zu tun hat. Was anderes wären denn die Schulnoten
von 1 bis 6 oder von 0 bis 15? Je stärker aber die Macht der
Kennzahlen wird (denken Sie an den Druck aus dem numerus clausus)
um so mehr werden sie sich verselbstständigen. Das heißt:
umso mehr geht es nur noch darum, die Kennzahlen zu erfüllen
gleichgültig, ob sich darin ein tatsächlicher Lern-
oder Bildungserfolg widerspiegelt.
Ich will nun nicht die Arbeit der Musikschule hochstilisieren und
behaupten, dass sie leicht und weit über das Unterrichten hinaus
gelangt und regelmäßig die erzieherischen und bildnerischen
Ziele erreicht. Und doch habe ich den Eindruck, dass unsere Bilanz
ganz besonders im Bereich der Erziehung eine erfreulich
positive ist.
Der Bildungsauftrag der Musikschule, wie er in der grafischen
Übersicht aufgefächert ist, kann nicht auf eine einfache
und unveränderliche Formel gebracht werden, sondern ist als
ein veränderbarer Organismus zu sehen. Ohne die Grundgedanken
in Frage zu stellen, können Akzente an verschiedenen Stellen
gesetzt werden und so ist es auch in der noch relativ kurzen Geschichte
der Musikschulen zu beobachten.
Die Gründerjahre der Nachkriegs-Musikschule, für die
die Namen Fritz Jöde und Wilhelm Twittenhoff stehen, sahen
sich in der Nachfolge der musikalischen Jugendbewegung und hätten
das Schwergewicht auf Singen, auf Freude an musikalischer Tätigkeit,
Sensibilität und Gemeinschaftssinn gelegt. Die große
Expansion des Musikschulwesens, die in den sechziger Jahren begann,
vom VdM stark geprägt und insbesondere von Diethard Wucher
vorangetrieben wurde, legte deutlich mehr Wert auf ein leistungsorientiertes
Musizieren, auf einen am Hochschulmodell orientierten Instrumentalunterricht
und auf qualifizierte Ensemblearbeit. Leicht sind die Begriffe zu
definieren, die mit dieser veränderten Sichtweise in den Vordergrund
rücken.
In den 90er-Jahren kommt es zu einer spürbaren Öffnung
der Musikschulen. Allen Insidern sind die Unterrichtsfelder geläufig,
die nun Einzug in die Musikschularbeit halten von der Behindertenarbeit
zum Erwachsenenunterricht, von der Rockgruppen-Betreuung zu multikulturellen
Angeboten. Immer mehr Kinder und Jugendliche und Erwachsene beschäftigen
sich im Rahmen der Musikschule mit Inhalten, die im Wettbewerb Jugend
musiziert aus guten Gründen bis heute noch nicht repräsentiert
sind.
Dabei versuchten die Musikschulen energisch, auch in diesen neuen
Unterrichtsfeldern einen hohen Anspruch aufrecht zu erhalten und
nicht das Prinzip wer kann der darf zum Durchbruch kommen
zu lassen. Wird das gelingen? Oder werden neue Fächer und damit
verbundene neue Kundenwünsche (!) nicht nur einen Stilwandel,
sondern letztlich eine grundlegende Korrektur des Bildungskonzeptes
erfordern?
Der Markt kommt ins Spiel
Das Wort Kundenwunsch deutet in der Tat einen Paradigmen-Wechsel
an. Seit einigen Jahren kommt in der Musikschularbeit ein am Markt
orientiertes Denken ins Spiel. Natürlich haben die Musikschulen
niemals außerhalb des Marktes gestanden, wie sollte das möglich
sein. Aber sie haben wenig Gedanken an die Forderungen des Marktes
oder auf eigene Marktstrategien verwendet, bis man vor
ein paar Jahren begonnen hat, ihnen ein neues Denken aufzudrängen.
Im Gegensatz zu den vorher geschilderten historischen Schritten
der Musikschule ist dies keine Entwicklung, die sich selbstbestimmt
von innen heraus ergeben hat. Es ist ein neuer Ansatz, der als Raster
über viele öffentliche Einrichtungen gelegt wird. Ich
kann mich noch genau erinnern, wie Alexander von Maravic, dem früheren
Verwaltungsdirektor des Bochumer Schauspielhauses, bei einer Institutsleitertagung
der Kragen platzte. Er erregte sich leidenschaftlich darüber,
dass die Bemühungen seines Hauses um lebendige Kunst, um Ästhetik
und Wahrheitsfindung auf der Bühne zukünftig als ein Produkt
zu gelten habe und nach Kennzahlen bemessen und eingeschätzt
werden sollte.
Vielen von uns ist eine solche Betrachtungsweise unserer Arbeit
aus den gleichen Gründen von Herzen zuwider. Wir wollen eine
Mission erfüllen und nicht Nachfrage bedienen.
Wir möchten uns aktiv und lehrend mit Kunst beschäftigen.
Wir suchen unseren Erfolg in der Entfaltung der Begabungen unserer
Schüler; im Entfachen eines Feuers in ihren Köpfen und
Herzen und auch in der Zuneigung, die sie uns entgegen bringen;
in der Zustimmung ihrer Eltern oder im Applaus eines Publikums
aber nicht in der Erfüllung von Kennzahlen auch dann
nicht, wenn wir sie selbst definiert haben.
Das neue Denken gesteuert von Finanznot und
Sparsamkeitszwang hat den Musikschulen Gäste ins Haus
gebracht, die man seinem ärgsten Feind nicht wünschen
möchte: Unternehmensberater. Berater haben gelernt, profitable
und nicht profitable Bereiche von einander zu unterscheiden und
Vorschläge zur Gewinnmaximierung oder Verlustvermeidung zu
machen. Das ist in Anbetracht der Übersichtlichkeit der Musikschulstrukturen
und der Gebührenordnungen kein Kunststück. Das wirkliche
Kunststück wäre, aufzuzeigen, wie man den Zuschussbedarf
minimieren kann, ohne den pädagogischen, künstlerischen
und sozialen Auftrag der Musikschule zu beschädigen.
Es tut weh zu beobachten, wenn Träger einen nicht geringen
Teil des jährlichen Zuschussbedarfs der Musikschule für
ein Gutachten ausgeben, das eigentlich nur einen bestimmten Zweck
zu erfüllen hat: eine schmerzhafte Teilamputation mit der Autorität
einer teuren Untersuchung zu legitimieren und die Hände der
Verantwortlichen soweit als möglich in Unschuld zu waschen.
Unternehmen Musikschule?
Dennoch sind viele Musikschulleiter überzeugt, dass Werkzeuge,
die für ein erfolgreiches Handeln im wirtschaftlichen Umfeld
entwickelt worden sind, auch den Musikschulen nützen können.
Ist es hilfreich, Musikschulen als Unternehmen und die Schüler
mit ihren Eltern als Kunden zu betrachten? Oder den Auftritt
der Musikschule im Hinblick auf ihre aus Design, Communication und
Culture geformte Corporate Identity neu zu sehen?
Eine kurze Probe aufs Exempel kann zeigen, dass solche Sichtweise
durchaus wesentliche Erkenntnisse erbringen kann. Sie würde
der Musikschule zum Thema Öffentlichkeitsarbeit
die Forderung nahelegen, sich nicht mit einem einzeilig-mageren
Eintrag im Telefonbuch unter der Rubrik Stadtverwaltung-Schulen
zu begnügen (damit unkundige Kunden nicht gleich bei der Musikschule
Lustig landen), sondern auf Dauer eine attraktive Homepage anzustreben
und das Telefon mit einer freundlichen, entgegenkommenden Kraft
zu besetzen.
Daneben würde die Einrichtung einer eigenen Pressestelle
der Musikschule nahegelegt. Wie anders könnten sonst ein so
umfangreiches Angebot und hunderte von Veranstaltungen erfolgreich
vermarktet werden?
Programme wären nicht nur kreativ und liebevoll, sondern
hochprofessionell mit einem wiederkehrenden Erscheinungsbild zu
gestalten. Sollen die Namen der Lehrer erwähnt werden? Pädagogische
Überlegungen der Schüler im Mittelpunkt
sind gegen Marketing-Strategien die Lehrer als wichtigstes
Kapital einer Schule bekannt machen abzuwägen.
Kaffee und Kuchen nach dem Konzert dienen zweifellos der Kommunikation.
Aber wie ist es mit der Corporate communication? Tritt nicht das
Inhaltliche die musikpädagogisch-künstlerische
Arbeit in den Hintergrund und wird zum Vorspiel?
Ist es gut, wenn Kirche, Jugendgruppe, Sportverein und Musikschule
sich nur durch das unterscheiden, was vor Kaffee und Kuchen passiert?
Welches Bild der Schule vermitteln die Mitarbeiter in der Öffentlichkeit?
Wie sprechen die Instrumentallehrer über die Elementarerzieher
und umgekehrt? Sieht die Verwaltung in den Lehrern diejenigen,
deren Arbeit unterstützt werden muss, oder die, auf deren Listen
man immer wartet? Und umgekehrt? Unterstützen die Instrumentallehrer
die Arbeit der Ensembles oder unterstellen sie den Ensembleleitern
Profilierungssucht? Demonstrieren die Lehrerinnen und Lehrer in
Konzerten ihre Identifikation mit der Schule?
Brechen wir die Betrachtung hier ab. Die Themen sind vertraut.
Aber es ist sinnvoll, die Arbeit einmal systematisch unter solcher
Perspektive zu prüfen: es ist der Blickwinkel, aus dem jeder
Kunde bewusst oder unbewusst auf die Musikschule schaut.
Kennzahlen
Auch bei den Kennzahlen findet sich so fremd der Begriff
zunächst ist viel Altvertrautes. Der jährliche
Berichtsbogen an den VdM enthält eine Fülle relevanter
Kennzahlen seit Menschengedenken.
Aber die Zusammenstellung neuer Daten unter neuen Fragestellungen
so wie sie jetzt in verschiedenen Projekten erarbeitet werden, ist
sicher eine grosse Chance, das Arbeitsfeld Musikschule besser zu
verstehen, besser zu organisieren, besser zu präsentieren und
in mancher Hinsicht aufzufrischen. Dabei müssen wir uns nur
sehr bewusst sein, dass wesentliche Parameter der Musikschularbeit
sich einer Darstellung in Kennzahlen weitgehend entziehen.
Verhältnis zu den Privaten
Beim Stichwort Markt beschäftigt sich unser Lager fast
ritualartig immer wieder mit unliebsamer Konkurrenz durch private
oder gewerbliche Unterrichtsbetriebe. (Bernd Geith)
Dem stimme ich vollkommen zu und beschränke mich auf wenige
Bemerkungen:
Es gehört zweifellos zu unserem Bildungsauftrag, uns
darum zu bemühen, dass alle musikinteressierten Kinder und
Jugendliche in den Genuss eines hochqualifizierten Unterrichts kommen
und nicht mit Billig-Angeboten abgespeist werden.
Es steht uns zu, aktiv und eindeutig die Interessen der
von uns vertretenen und im VdM zusammengeschlossenen Musikschulen
zu fördern.
Aber ich warne davor, betriebsblind zu werden und Geister,
die wir selbst gerufen haben, loswerden zu wollen. (Wir wissen doch,
wie viele Musikschullehrer und wie viele Musikschulen ihren größten
Erfolg darin sehen, begabte und interessierte Schüler zum Studium
zu führen.
Das sind die oft stolz hervorgezeigten Trophäen in unseren
pädagogischen Jagdgründen.) Wir waren es doch, die diese
jungen Leute besonders ins Herz geschlossen, motiviert und gefördert
haben. Nach dem Studium und Examen finden sie nun zu ihrem großen
Kummer keinen Platz an einer Musikschule und müssen versuchen,
sich auf dem freien Markt ein Überlebensfeld zu schaffen. Damit
können sie doch nicht zu unseren Feinden werden. Ich plädiere
deshalb dafür, dass die Musikschulen und der VdM versuchen,
trotz aller berechtigten Bemühungen um das eigene Revier, die
eigenen Rechte, das eigene Profil, Brücken zu diesen jungen
professionellen Musikerziehern außerhalb der Musikschulen
zu schlagen.
Musikschulen und ihr Markt
Kennzahlen, neue Steuerung, Corporate Identity, private Musikschulen
das alles sind wichtige, zum Teil neue Aspekte, die aus der
Welt des Marktes kommend die Welt der Musikschulen berühren
und verändern. Aber es ist noch nicht der Kern des Problems,
dem sie sich gegenüber sehen, wenn sie von ihrem Bildungsauftrag
ausgehend auf ihren Markt schauen. Es stellen sich Fragen wie diese:
Bedienen wir die Nachfrage? Halten wir krampfhaft an Arten von
Musik fest, die kaum ein junger Mensch mehr hören möchte?
Verschliessen wir uns weitgehend musikalischen Stilistiken, die
für 95 Prozent der jungen Generation die einzig interessante
Musik darstellen? Sind wir auf unsere tradierten Unterrichtsformen
fixiert im Mittelpunkt der jahrelange Instrumental-Einzelunterricht
obwohl die meisten Interessierten sich viel lieber für
ein kurzfristiges Projekt entscheiden würden?
Eine häufig geäußerte Meinung: Die Musikschulen
sind doch vor allem Kinder und Jugendliche gedacht aber alle
aktuellen Formen der Jugendkultur lassen sie höchstens in homöopathischen
Dosen als Alibi ins Haus!
In dieser Kritik ja schon im Begriff Jugendkultur
drückt sich eine Annahme aus, der zu widersprechen ist:
dass nämlich die Jugend selbst sich diese ihre Kultur erwählt
habe. Nein diese Wahl ist zum großen Teil
vom Markt, von den Medien gesteuert und von kommerziellen Interessen
bestimmt. Kann daraus eine quasi-moralische Verpflichtung der Musikschulen
abgeleitet werden?
Natürlich wäre es fatal, wenn die Musikschule links
liegen ließe, was nicht elitären Ansprüchen genügt.
Aber wann hätten die Musikschulen das je getan?
Sie haben sich um nur ein Beispiel zu erwähnen
vor langer Zeit der E-Orgel zugewandt. Das Motiv war klar: Wenn
sich so viele dafür interessieren (Markt!) dann ist es besser,
die Musikschulen kümmern sich darum, als dass ein von Yamatempi
fortgebildeter Gemüsehändler den Schülern zeigt,
wie die Akkordautomatik funktioniert. Aber das neue Angebot gehört
(wie auch alle anderen) auf den Prüfstand. Die Prüffrage
lautet, ob die mühsame Arbeit mit Lehrplan-Weihen und
Akademie-Segnungen versehen wirklich dazu geführt hat,
dass sich Unterricht, Erziehung und Bildung ereignen.
Es stimmt gewiss, dass in manchen Instrumentalklassen eine fatale
Friedhofsruhe herrscht. Und es stimmt sicher auch, dass Projekte
mit überschaubarer Dauer und einem spannenden Ziel Schüler
viel mehr in Bewegung setzen. Aber welche Musikschule
hätte je auf Projekte verzichtet? Nur: Die voraussetzungslose
und folgenlose Projektarbeit mag in der Kreativitäts-Pädagogik
eine Rolle spielen; in der Musikschule kann sie kein Ideal sein.
Einer der großen Trümpfe der musikalischen Bildung
vielleicht das Geheimnis ihrer Wirksamkeit liegt in
der fruchtbaren Wechselbeziehung zwischen Individuellem und Kommunikativem.
Ich arbeite an mir, entwickle mich, trete dann in einen Kreis und
kann dort beitragen. Das Ensemble begeistert mich und entfacht neue
Motivation für persönliches Engagement. In dieses Wechselspiel
sollten die Musikschulen auch weiterhin ihre Projektarbeit stellen.
Es ist sicher so, dass die Nachfrage überwiegend aus der Spaßecke
kommt. Schon die Eltern der jüngsten Schüler betonen bei
der Anmeldung, dass es ihnen vor allem um den Spaß geht.
Das wünschen sich die Musikpädagogen natürlich auch.
Aber wir möchten den Schülern auch zeigen, wie befriedigend
es ist, sich anzustrengen, mittlere und härtere Nüsse
zu knacken. Wie befriedigend es ist, sich mit Kunst auseinander
zu setzen. Ein guter Musikschulunterricht ist nicht nur fachlich
anspruchsvoll, sondern auch farbig, spannend und womöglich
humorvoll. Aber der Musikschullehrer darf nicht selbst wenn
der Markt es honorieren würde zum Edutainer
werden. Wenn sich das Berufsbild des Musikschullehrers und das des
Animateurs bei LTU-Reisen nur noch durch einen musikalischen Background
unterscheidet, der letztlich doch nicht gebraucht wird, wird der
Beruf überflüssig. Dann wären auch Musikhochschulen
und Konservatorien viel zu teure Einrichtungen, um für so billige
Arbeit zu qualifizieren.
Ich bin sicher unverdächtig, die hehre Kunst
wieder in den Mittelpunkt der Musikschule rücken zu wollen.
1989 habe ich auf dem Aachener Musikschulkongress Thesen zur offenen
Musikschularbeit formuliert. Darin wurde gefordert, keine musikalischen
Erscheinungsformen zur Tabuzone zu erklären, alle Entwicklungen
der Musikszene darauf zu prüfen, ob mit musikpädagogischen
Angeboten darauf eingegangen werden kann. Da wurde gemahnt, die
Gräben zwischen den musikalischen Stilen und ihren Anhängern
zu überbrücken. Übrigens: Den Begriff Crossover
kannte damals noch kein Mensch. Ich werde gewiss nicht behaupten,
dass die Musikschulen dieses erfrischende anti-sektiererische Musikdenken
erfunden hätten, aber einen kleinen Beitrag zu dieser Entwicklung
dürfen sie sich sicherlich zuschreiben.
Die Gedanken der offenen Musikschule sind vielerorts
weitergeführt worden, sie decken sich auch mit wesentlichen
Inhalten des nordrheinwestfälischen Projekts Musikschule 2000.
Ein gemeinsames Merkmal all dieser Ideen ist es, dass die kommunikativen
und die sozialen Aspekte des Musizierens (die ja immer wichtig waren!)
noch ernster genommen, noch stärker in den Mittelpunkt gerückt
werden.
Daran soll sich nichts ändern. Aber es gilt jetzt mahnend
den Finger zu heben: Die Musikschule würde sich in große
Gefahr begeben, wenn sie dabei ihre Fachlichkeit außer Acht
ließe. Ich treibe es auf die Spitze und sage: Es geht um die
Kunstorientierung in der Musikpädagogik.
Die Auseinandersetzung mit Kunst ist ein vielfältiger, schwer
in Worte zu fassender Prozess. Ein wichtiger Aspekt dieser Auseinandersetzung:
Kunst als Wahrheitssuche, als Wegsuche zu einem menschlichen Idealbild.
Die Nichtachtung und Nichtbeachtung der Künste gerade auch
bei vielen jungen Menschen korreliert mit der Tatsache, dass so
vielen von ihnen jedwede idealistische Weltsicht abgeht. Auch dies
ist ein wichtiges Motiv für eine kunstorientierte Musikpädagogik.
Die Musikschulen haben gelernt, vieles in Einem zu sein: zum Beispiel
Kulturstätte, Schule, Dienstleister. Der Begriff Dienstleistungsunternehmen
ist mir nicht so unsympathisch, weil er auch etwas über das
Verhältnis Schüler-Schule beziehungsweise Schüler-Lehrer
klärt. Die berühmte Formulierung vom schlechten
Schülermaterial, dass man hier bekommt... ist ja nicht
nur ein erschreckendes Beispiel aus dem Wörterbuch des pädagogischen
Unmenschen, sondern signalisiert auch ein kapitales Missverständnis
hinsichtlich der Frage, wer mit seiner Leistung eigentlich wem zu
dienen habe.
Ein Dienstleister ist dem Markt verpflichtet. Die Musikschulen
haben ihre Arbeit immer eng mit der Nachfrage und mit Aspekten der
Wirtschaftlichkeit verbunden. Denken wir nur an die musikalische
Früherziehung: Sicher in erster Linie ein musikpädagogisches
Projekt. Aber auch eine brillante Marketing-Idee: ein Fischernetz
über einen Jahrgang von Kindern auszuwerfen und zu versuchen,
viele von ihnen für die Musik zu begeistern und für die
Musikschule zu gewinnen. Und ökonomisch interessant: Jede Musikschule
weiß, dass dies einer der ganz wenigen Bereiche ist, der sich
Gewinn bringend führen lässt.
Wolfgang König hat zum Thema der Marktnähe einmal beschrieben,
wie die Musikschulen wie von einer Zange eingeklemmt und unter Leistungsdruck
gesetzt werden: Auf der einen Seite die Eltern, die hohe Gebühren
zahlen und deshalb immer wieder überprüfen werden, ob
das Kind noch möchte, noch Fortschritte macht und die hohen
Ausgaben sich lohnen. So werden vor allem die Lehrer
gezwungen, gute Arbeit zu leisten. Auf der anderen Seite das Damoklesschwert
einer fehlenden gesetzlichen Bestandsgarantie. So wird die Musikschule
als Institution ständig genötigt, ihre Leistungsfähigkeit
unter Beweis zu stellen. Wolfgang König meinte: Wenn
es Absicht wäre, könnte es ein genialer Schachzug sein,
die Schulen auf solche Weise zur Bestleistung zu zwingen.
Aber wir müssen auch wissen, dass wir uns im Markt auf gefährlichem
Terrain bewegen. Der Markt kann für die Kultur eine eminente
Bedrohung sein, wenn die Politik den Bildungsauftrag nicht ernst
nimmt und aktiv verteidigt. Das kann man an vielen Beispielen studieren:
Den Stadt- und Staatstheatern werden im Kulturausschuss die kommerziellen
Musicals vorgehalten: Warum braucht ihr einen so hohen Zuschuss,
wenn andere Theater Gewinne erwirtschaften können? Kein
Wunder, dass so denkt, wer weder bei Schiller noch bei Brecht etwas
über die Bühne als Bildungs- oder Lehranstalt erfahren
hat, sondern Theater für Spaßbuden hält.
Ein weiteres dramatisches Beispiel für die Verflüchtigung
eines Bildungsauftrags erlebten wir mit der Privatisierung des Fernsehens.
Ja die Rundfunk- und Fernsehanstalten fühlten sich dereinst
einem Bildungsauftrag verpflichtet! Wo wir gelandet sind, brauche
ich kaum näher beschreiben: Blödeln als Lebensinhalt;
jeden Nachmittag, wenn Millionen Kinder unbetreut vor dem Bildschirm
sitzen, diskutieren die unsäglichsten Gestalten miteinander
über die unsäglichsten Themen. Inzwischen täglich
und auf allen Sendern, denn die Öffentlich-Rechtlichen sehen
unter dem Quotendruck keine andere Chance als mitzumachen.
Auf Publikumsseite verbinden die neuen Programminhalte alle Bevölkerungsschichten.
Für Thomas Gottschalk noch Anlass zu einer schönen Pointe:
Früher sassen die Intellektuellen im Theater und die
Doofen vor der Glotze. Heute schauen die Intellektuellen ,Wetten
das? und die Doofen ,Big Brother. Politiker, die
den Bildungsauftrag schützen, sind heute sehr schwer zu finden!
Viele gefallen sich in einer Rolle, die ihrer Verantwortung überhaupt
nicht gerecht wird: in der Rolle eines Industriekapitäns des
Staatsunternehmens. Als solche lassen sie sich Kennzahlen liefern,
um über einen profitablen Staatsbetrieb zu entscheiden. Was
macht man bloß mit solchen Politikern?
Die Einschaltquote ist das dramatischste Beispiel für eine
grosse Gefahr, auf die schon aufmerksam gemacht wurde: Zahlen, gerade
Kennzahlen, drohen sich zu verselbstständigen. Jedes Wirtschaftsunternehmen
orientiert sich an den Kennzahlen, die Umsatz und Gewinn darstellen
alles andere ist Tanderadei. In der Schule dominieren
ich habe es erwähnt, die Kennzahlen (Noten) und drängen
in unpädagogischer Weise Bildungsinhalte in den Hintergrund.
Die Einschaltquote ist zu einem brutalen Würgegriff geworden
kein Redakteur in keinem Medium kann sich ihr entziehen.
Vor einer Verabsolutierung der Kennzahlen muss eindringlich gewarnt
werden. Kennzahlen sollen den Verantwortlichen etwas erzählen
und müssen interpretiert werden, ehe über konkrete Schritte
entschieden werden kann. Die große Sorge ist, ob die sachverständigen
Musikschulleiter immer dabei sind, wenn Kennzahlen gelesen und interpretiert
werden.
Bildungsauftrag verpflichtet
Sind also, abschließend gefragt, Bildungsauftrag und Markt
zwei Pole, zwischen denen die Musikschulen sich kompromissbereit
bewegen müssen? Die Antwort heißt eher nein als ja. Es
wäre ein großer Fehler, die Forderungen des Marktes und
die Chancen, die er bietet, außer Acht zu lassen. Aber der
Bildungsauftrag kann nicht zur Diskussion stehen und auch nicht
diminuiert werden, ohne dass die Musikschule sich selbst ad absurdum
führte. Das wäre der größere Fehler.
Wenn Aspekte und Wirkungen des Marktes sich mit dem Bildungsauftrag
der Musikschule verbinden lassen, sollen sie offensiv genutzt werden.
Wo Markt und Bildungsauftrag verschiedene Wege vorgeben, müssen
die Musikschulen dem ihren treu bleiben.
Schule muss den Schülern gefallen, sonst lernen sie nichts.
Ganz besonders muss eine Musikschule gefallen, die ihren Unterricht
teuer verkaufen muss. Dennoch kann die Frage: Was kommt an?
nicht im Mittelpunkt stehen. Die Schlüsselfrage einer Schule
bleibt eine andere. Sie lautet: Worauf kommt es an?