[an error occurred while processing this directive]
nmz-archiv
nmz 2000/11 | Seite 53
49. Jahrgang | November
Musiker und Musikerzieher
Berufe im Wandel
Musikschule heute und morgen
Veränderungen im Berufsbild des Musikerziehers
Wenn man für die Berufswahl Musikschullehrer/-in* als gegenwärtige
Ausgangssituation die Einstellungsrichtlinien, den Tarifvertrag
Musikschullehrer, zugrunde legt, so finden sich dort
mehrere Möglichkeiten der Qualifizierung von der Fachschule
bis zur Hochschule, vom Musiklehrer für Singschulen bis zum
Diplom-Musiklehrer, von den unterschiedlichen Stufen eines Abschlusses
als Kirchenmusiker bis zur künstlerischen Reifeprüfung
in einem Instrumental- oder Vokalfach. Und natürlich auch die
Qualifikation als Musiklehrer an einer allgemein bildenden Schule.
Dazu kommen noch Seiteneinsteiger, die aufgrund längerer
künstlerischer Praxis und einer entsprechenden pädagogischen
Eignung und Erfahrung als Musiklehrer in Fächern gelten können,
für die es bisher keine oder nur begrenzte Ausbildungsmöglichkeiten
an Hochschulen gibt oder gab: so zum Beispiel im Jazz, in der Rock-
und Popular-Musik, im Musical und in den Fächern mit Musik
aus anderen Kulturen oder interkulturellen Angeboten.
D er Verband deutscher Musikchulen (VdM) präferiert natürlich
den Diplom-Musikschullehrer mit einer fundierten instrumentalen
oder vokalen Ausbildung, die zweckentsprechend durch die notwendigen
pädagogischen und didaktischen Anteile, sowie möglichst
ein Zweit- und/oder Dritt-Fach ergänzt wird. In der 1993 vom
VdM herausgegebenen Broschüre Musikschule Meine
Sache werden die gewünschten Fähigkeiten eines Musikschullehrers
wie folgt beschrieben:
Er soll die Fähigkeit besitzen,
einen qualifizierten Unterricht in seinem studierten
Instrumental- oder Vokalfach im Einzel- und Gruppenunterricht
beziehungsweise im Fach Elementare Musikerziehung, Chor-/Ensembleleitung
und anderes zu erteilen,
in möglichst zwei Unterrichtsfächern zu unterrichten
(zum Beispiel Violine und Musikalische Früherziehung/Musikalische
Grundausbildung; Viola und Streichensemble-Leitung), Lehrbefähigung
vorausgesetzt,
mit Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen einen interessanten
(spannenden, fröhlichen, Stress vermeidenden)
und leistungsorientierten (niveauvollen, konzentrierten, verbindlichen)
Unterricht zu gestalten,
besonders musikalisch veranlagte Schüler auf ein Berufsstudium
(beziehungsweise für eine Aufnahmeprüfung an einem Ausbildungsinstitut)
vorzubereiten,
auch ehrgeizigen Eltern von Musikschülern die wichtigste
Aufgabe einer Musikschule verdeutlichen zu können: Freude
am gemeinsamen Musizieren auf gutem Niveau,
sich und sein Instrument bei öffentlichen Veranstaltungen
vorzustellen,
Fachkonferenzen als belebenden Arbeitsimpuls anzusehen,
gern mit anderen Kollegen zusammenzuarbeiten, seine eigenen
Beiträge, Meinungen und Hypothesen durch andere in Frage
stellen zu lassen, zuzuhören und Kompromisse mittragen zu
können,
seine bisher praktizierten Unterrichtsmethoden in speziellen
Fortbildungstagen, bei denen neue Wege aufgezeigt werden, in Frage
stellen zu lassen,
die notwendigen administrativen Anforderungen zu akzeptieren
und die Kollegen als Partner zu sehen.
auch zu ungewöhnlichen Arbeitszeiten aktiv am positiven
Bild der Musikschule in der Öffentlichkeit mitzuwirken.
Er soll, so ein Zitat aus einem in der gleichen Broschüre
wiedergegebenen Erfahrungsbericht einer Musiklehrerin, mit
Fantasie und Selbstständigkeit mit den (nicht immer idealtypischen)
Arbeitssituationen an Musikschulen umgehen können.
Wenn man davon ausgeht, dass die vorgenannten Punkte als Selbstverständlichkeiten
für eine gut funktionierende Arbeit und Zusammenarbeit in der
Musikschule angesehen werden können, so muss auch sofort gefragt
werden, ob die Musikschullehrer während ihrer Ausbildung genügend
auf die reale Situation an den Musikschulen vorbereitet werden?
Es scheint doch noch immer so zu sein, dass in den Haupt- und Nebenfächern
eine hohe Qualität angestrebt und auch meistens erreicht wird,
die auf das Umfeld der Berufspraxis bezogenen Fragen aber eher eine
nebensächliche Rolle spielen. Dadurch ist der Einstiegsschock
vorprogrammiert und vieles wird erst durch learning by doing
erworbener Teil des Berufsalltages.
Nur ein sehr geringer Anteil der Musikschüler (23 Prozent)
wird auf ein Studium, auf einen späteren Musikberuf vorbereitet.
Die Statistiken weisen dieses eindeutig aus. Trotzdem gehen viele
Musiklehrer aufgrund einer im Schwerpunkt solistischen Instrumental-
und Vokal-Ausbildung mit der Erwartungshaltung an die Musikschule,
nun lauter kleine und größere Virtuosen ausbilden zu
können. Diese Erwartungshaltung wird im Unterrichtsalltag durch
immer wiederkehrende regionale und überregionale Leistungs-Wettbewerbe
(nicht Musizier-Wettbewerbe) mit Jugend musiziert
an der Spitze unterstützt. Dass der überwiegende Teil
der Musikschüler die erfreulicherweise sehr umfangreiche Laienmusikszene
bereichern wird, wissen eigentlich alle gesprochen wird aber
im Wesentlichen über die Preisträger und dem damit verbundenen
(vermeintlichen) Image-Gewinn für die jeweiligen Lehrkräfte.
Das statische Verharren in Unterrichtsformen und -methoden ohne
Berücksichtigung der sich rapide veränderten und verändernden
Rahmenbedingungen im gesellschaftlichen Kulturverständnis im
Allgemeinen und im Musikverständnis und der Musikrezeption
im Besonderen kann auf Dauer die Position der Musikschulen und damit
auch der Musikschullehrer nicht stärken. Um nicht missverstanden
zu werden: Es geht nicht darum, bewährte Traditionen der instrumentalen
und vokalen Musikvermittlung über Bord zu werfen.
Es geht vielmehr um eine neue Positionierung des Berufsbildes des
Musikschullehrers in Richtung einer Offenen Musikschule,
die nicht anstrebt, ein Ersatzkonservatorium zu sein, sondern die
unter dem Leitgedanken einer hohen Qualität des Unterrichts
für alle musikalischen Interessen und in jeder Leistungsstufe
Angebote bereit hält. In den von der Bundesanstalt für
Arbeit herausgegebenen Blättern zur Berufskunde,
Ausgabe Musikschullehrer/Musikschullehrerin, habe ich dazu formuliert:
Die Forderung nach einer Chancengleichheit beim Zugang zur Musikausbildung
für Alle setzt voraus, dass musikalische Informationen und
Instruktionen auf breitester Basis verfügbar gemacht werden.
Hörfunk, CD/Schallplatte, Internet, Film und Fernsehen haben
zu einer Verbreitung und Vielfalt musikalisch-akustischer Reize
beigetragen, die eine sich selbst isolierende und einem echt verstandenen
Leistungsanspruch nicht genügende Musikausübung welt-
und zeitfremd erscheinen lassen. Die in den 50er-Jahren als Allheilmittel
gegen geistige und seelische Verarmung des Volkes
gepriesene Musische Erziehung hat sich inzwischen
zu sachbezogenem und allseits offenem Engagement des Musikmachens
gewandelt. Durch die Aufdeckung und Lösung der Verflechtung
von Musik, Gesellschaft, Politik und Erziehung der Wortführer
war Theodor Adorno wurde Musikunterricht frei von ideologischen
Bindungen, die sich als Nachwirkung der musikalischen Jugendbewegung
hemmend auf die schöpferische Entfaltung des Unterrichts
in Lehrstoff und -methode auswirkten. Es sind neue Wege zum Verständnis
des musikalischen Erbes und der Vielfalt des zeitgenössischen
Musikschaffens beschritten worden, die Einseitigkeit vermeiden
und eine ganzheitliche Bezogenheit der Unterweisung anstreben.
Damit ergibt sich in Aktualisierung der von Fritz Jöde apostrophierten
Musikschule für Alle eine Beschreibung der Offenen
Musikschule wie sie der VdM in der schon zitierten Broschüre
Musikschule Meine Sache veröffentlicht hat:
Sie wartet nicht auf besonders begabte und besonders
motivierte Schüler, sondern sie will durch lebendigen Unterricht
und vielfältige Angebote des Zusammenspiels ihre Schüler
begeistern und deren Leistungsbereitschaft herausfordern.
Sie fühlt sich nicht nur der Musikerziehung, sondern
auch allgemeinen erzieherischen Zielen verpflichtet, soweit ihnen
mit Musikunterricht gedient werden kann. Sie ist bereit, Kindern
und Jugendlichen, die es schwerer haben als andere, Behinderten,
Kindern aus sozialen Brennpunkten, aus Aussiedlerfamilien, besonders
zu helfen.
Sie wird auch in Zukunft in erster Linie für Kinder
und Jugendliche zuständig sein. Aber sie fühlt sich
aufgerufen, auch für Erwachsene und Senioren, die sich zur
Musikschule hingezogen fühlen, Konzepte zu entwickeln.
Die Vermittlung der Klassischen Musik (im weitesten
Sinn), ist als Schwerpunkt ihrer Arbeit unumstritten. Gleichwohl
sollte es keine musikalischen Erscheinungsformen geben, die von
der Musikschule zur Tabuzone erklärt werden. Auch die Beschäftigung
mit der sogenannten ernsten Musik darf Spaß machen.
Sie beobachtet aufgeschlossen alle Entwicklungen der Musikszene
und prüft, ob sie mit musikpädagogischen Angeboten darauf
eingehen kann. Sie hält an ihrem Bildungsauftrag fest, ohne
sich jedem aktuellen Trend des Musikmarktes anzupassen.
Sie will dazu beitragen, die Gräben zwischen den musikalischen
Stilen und deren Anhängern zu überbrücken. In einem
Musikschulkonzert können ein Blockflötenensemble und
eine Rockgruppe nebeneinander auftreten.
Sie beansprucht selbstbewusst einen gleichberechtigten
Platz im Bildungssystem. Zur allgemein bildenden Schule und zur
Volkshochschule, zu Privatmusiklehrern und musikalischen Laienvereinigungen
strebt sie Partnerschaft statt Konkurrenz an.
Sie möchte erreichen, dass Musik im Leben ihrer Schüler
einen zentralen Platz einnimmt. Aber die Entwicklung zum weltfremden
musikalischen Fachidioten will sie nicht fördern. Darum bemüht
sie sich, ihre Schüler auch mit anderen künstlerischen
Sparten in Kontakt zu bringen, sei es innerhalb oder außerhalb
der Musikschule.
Sie bemüht sich, ihre Lehrer in vielfältiger
Weise zur Kooperation anzuregen. Das bedeutet: sich gemeinsam
fortzubilden, bei der Entwicklung pädagogischer Konzepte
zusammenzuarbeiten, aber auch: miteinander und gemeinsam mit den
Schülern Musik zu machen. Das sind wichtige Mittel, um die
pädagogische Spannkraft zu erhalten, an der Alltagsstress
und Berufsroutine ja ständig nagen. Aber nur, wer selbst
noch für Musik Begeisterung empfindet, kann Schüler
gewinnen und motivieren.
Prof. Dr. Ulrich Mahlert hat im Musikforum, Heft 89 vom Dezember
1998 in seinem Beitrag Zur Ausbildung für musikpädagogische
Berufe im außerschulischen Bereich wesentliche Aussagen
über die Zukunftsaufgaben der Hochschulen bei der Ausbildung
von Musikschullehrern gemacht. Sie ergänzen in vielen Punkten
die vom VdM beschriebenen Aufgabenerweiterungen.
Zukunftsweisende Konzepte zu entwickeln ist das eine, sie umzusetzen
das andere. Dazu bedarf es entsprechend aus- und fortgebildeter
Lehrkräfte, die über ein umfangreiches Können und
Fachwissen hinaus bereit sind, ihren Beruf auch als kulturelle Aufgabe
zu verstehen. Dazu gehört die Bereitschaft, neben inhaltlichen
auch strukturelle und organisatorische Fragen mit zu durchdenken
und zunächst ungewohnte und vielleicht auch unbequeme Veränderungen
wie zum Beispiel Steigerung der Gruppenunterrichtsangebote, interdisziplinäre
Zusammenarbeit über Fachbereichsgrenzen hinweg, eine stärkere
Einbindung der musikalischen Arbeit mit Behinderten als gemeinsame
Aufgabe eines Kollegiums, Zusammenarbeit mit den Einrichtungen der
Jugendarbeit, die Beschäftigung mit anderen Musikkulturen und
die Entwicklung und Umsetzung interkultureller Lehr- und Lerninhalte
mit zu machen.
Einige werden diesen Ausführungen entgegenhalten, das und vieles
andere gibt es ja schon längst (Hinweis: VdM-Broschüre
Neue Wege der Musikschularbeit). Das ist richtig. Aber
in der Mehrzahl der neuen Angebote handelt es sich doch
um Initiativen von Einzelnen. Das allgemeine Bewusstsein, ein allgemeiner
Aufbruch in ausreichenden Dimensionen ist noch nicht feststellbar.
Es sollte auch nicht gelten: Während meiner Ausbildung
wurde dieser Lehrstoff nicht vermittelt; Ich habe und
bekomme genügend Schüler, die sich nur mit Bach, Mozart
und Beethoven beschäftigen wollen (...und schon gar nicht
mit Neuer Musik!); Jazz, Rock und Pop ist etwas für Kollegen,
bei denen es für die wertvolle Musik nicht gereicht
hat und so weiter.
Auch der Begriff Ensemble-Leiter bekommt vor dem Hintergrund
einer immer mehr medial beeinflussten Jugendmusikszene eine ganz
andere Bedeutung, wenn es zum Beispiel darum geht, in Bereichen
wie Rap, HipHop, Punk, Techno und weiteren sich immer neu entwickelnden
Trends Angebote für die Jugendlichen zu machen, für die
der Begriff Musikschule inzwischen schon ein Fremdwort ist.
Der Musikschullehrer an der Offenen Musikschule muss
seine musikalischen und künstlerischen Fähigkeiten den
Aufgaben anpassen, die gefragt sind und zum Beispiel Rhythm- oder
Harmonie-Patterns aus einem Rocktitel mit ebenso viel Akribie vermitteln
wie eine Etüde von Villa-Lobos.
Ob es uns gefällt oder nicht: Zu den Instrumenten
nicht nur in den Bereichen Jazz, Rock und Pop gehören immer
mehr die Computer. Ein Musiklehrer muss lernen damit umzugehen und
die dadurch gegebenen Möglichkeiten der Unterstützung
seines Unterrichts zu nutzen. Nicht nur das Schreiben von Einladungen
und Programmen für Schülervorspiele und Konzerte, sondern
vor allem die Anwendung von Notenschreib- und Arrangierprogrammen
sowie das Einbeziehen der Internet-Angebote sollten vertraut sein.
Ohne diese Kenntnisse wird in absehbarer Zeit jeder Lehrer von seinen
Schülern nicht mehr ganz ernst genommen.
Festzustellen ist, es gibt genügend Fort- und Weiterbildungsangebote,
sowohl als berufsbegleitende Lehrgänge wie als Kurzseminare,
die Informationen über andere Bereiche vermitteln, beziehungsweise
Zusatzqualifikationen ermöglichen. Es reicht nach meiner Einschätzung
nicht mehr aus, nur im eigenen Hauptfach perfekt zu sein. Die Kenntnis
anderer Musikbereiche und Stile und deren kulturelle und soziologische
Wurzeln und Hintergründe befördern auch die Qualität
der eigenen, sonst vielleicht einseitig ausgerichteten Tätigkeit.
So wird auch das schon erwähnte interkulturelle Musiklernen
einen immer größeren Stellenwert einnehmen. Die Musikschulen
können es sich nicht leisten, die weiter wachsenden Gruppen
von Immigranten mit ihren anderen kulturellen Traditionen in der
Gesellschaft zu ignorieren. An dieser Stelle sind auch die Hochschulen
zu fragen, ob nicht ein Studienziel Musiklehrer mit interkultureller
Qualifikation eingeführt werden kann.
Um intensiver mit anderen Kulturen und ihren Vermittlungsmöglichkeiten
vertraut zu werden, wäre die (vorübergehende) Arbeitsaufnahme
an einer Musikschule im Ausland sinnvoll. Zumal Stellen in Deutschland
knapp sind. Der europäische Arbeitsmarkt steht im Prinzip allen
Arbeitssuchenden, also auch den Musiklehrern offen.
Über gravierende Unterschiede der Angebote und der Strukturen
in den Musikschulen, wenn sie überhaupt bestehen, könnten
Seminarveranstaltungen Einblicke geben. Die größten Schwierigkeiten
sind die unterschiedlichen Sprachen. Hier müssen zunächst
noch durch Eigeninitiative der Studierenden ausreichende Kenntnisse
erworben werden. Eine zukünftige Studienreform könnte
entsprechende Zusatzangebote berücksichtigen. Bei Schaffung
solcher Voraussetzungen werden wir vielleicht einmal den europäischen
Musiklehrer, dazu noch mit interkultureller Qualifikation
haben.
Der Paradigmenwechsel in unserer Gesellschaft wird, auch wenn
manche es sich noch nicht vorstellen können, an den Musikschulen
und damit an den Musikschullehrern nicht ohne Einfluss bleiben können.
Die Zukunft dieser wichtigen und unverzichtbaren musikalischen Bildungseinrichtung
hängt mit davon ab, wie flexibel bei aller notwendigen Traditionspflege
darauf reagiert wird.
Klaus-Jürgen Weber, Verband deutscher Musikschulen
(VdM)
* Um die Übersichtlichkeit zu erleichtern, wird im weiteren
Text stets die Bezeichnung Musiklehrer verwendet. Sie
gilt gleichermaßen für die männliche wie die weibliche
Form.