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nmz-archiv
nmz 2000/11 | Seite 35
49. Jahrgang | November
Jugend
musiziert
Das gibts nur einmal, das kommt nicht wieder
Jugend musiziert-Preisträger-Konzerte auf der
EXPO 2000
200.000 Gäste täglich besuchen mittlerweile die Weltausstellung
EXPO 2000 in Hannover. Vom Besucherstrom profitiert auch das Kulturprogramm
im Deutschen Pavillon: Seit Wochen erfreuen sich die Jugend
musiziert-Konzerte Junges Forum: Auftakte einer
wachsenden Zuhörerschaft. 164 Preisträger bei Jugend
musiziert haben vom 10. Juni bis 24. Oktober in insgesamt
27 Konzerten einen Einblick in die aufstrebende deutsche Musikkultur
gegeben. Welche Wirkung zeitigten 35 Stunden Musik in den Köpfen
der EXPO-Besucher? Schlaglichtartig sei an den optimistischen Auftakt
des Events EXPO 2000 erinnert:
A n 153 Tagen von morgens bis abends, manchmal auch in der Nacht,
werden wir ein Programm anbieten, in dem der Mensch im Mittelpunkt
steht keine technische Präsentation, sondern Künstler,
die den Besuchern aus aller Welt etwas von dem vermitteln, für
das unser Land oft beneidet wird, nämlich unsere vielfältige,
lebendige Kulturlandschaft.
Ein ambitionierter Anspruch, den der damalige künstlerische
Leiter August Everding formuliert hatte, und den das engagierte
und am Rande der Selbstausbeutung arbeitende Team um den künstlerischen
Leiter Peter Baumgardt im Deutschen Pavillon mit nachgerade übermenschlicher
Kraft täglich aufs Neue realisierte.
Auf der EXPO in Hannover geben
junge Künstlerinnen ihr Bestes.
Foto: Jugend musiziert
Währenddessen schallte den Kulturschaffenden der versammelte
Chor der EXPO-Skeptiker entgegen: Zu teuer, defizitär, nicht
repräsentativ, dem Zeitalter der Globalisierung nicht mehr
angemessen. Ein See aus demotivierenden Argumenten, in dem man wahrhaftig
hätte Gefahr laufen können, unter zu gehen.
Für die Dauer der EXPO 2000 hatte man im Deutschen Pavillon
ein eigenständiges Kulturprogramm erarbeitet und unter anderem
drei Konzertreihen generiert, die sich aus Mitteln des Bundes finanzierten.
Musik¦20 unter der künstlerischen Leitung
Alicja Mounks, Lied:Strahl unter Yaron Windmüller
und Axel Bauni und Junges Forum in der künstlerischen
Verantwortung von Prof. Gerd Albrecht und Hans Peter Pairott.
Podium für den Nachwuchs
Junges Forum wiederum gliederte sich in die Reihen
Auftakte, Zeitensprung und Debut.
Alle drei Konzertreihen gestalteten aktuelle und ehemalige Jugend
musiziert-Preisträger aller Bundesländer. Gemäß
der Aussage Gerd Albrechts, dass nirgendwo in der Welt in solcher
Konzentration die Förderung begabter Nachwuchsmusiker betrieben,
Deutschland um die Vielfalt und den Reichtum des Musiklebens von
der Welt beneidet werde und ein Großereignis wie die EXPO
2000 deshalb besonders geeignet sei, Deutschland durch Konzerte
mit jungen, hochbegabten Musikern zu präsentieren.
So veranstaltete der Deutsche Pavillon in der Reihe Junges
Forum: Auftakte vom 10. Juni bis 24. Oktober 27 Jugend
musiziert-Konzerte: 17 Konzerte im Rahmen der sogenannten
Länderwochen, fünf zusätzliche Themenkonzerte
und fünf Konzerte im Rahmen der Woche Grenzgänge,
für die der Bund verantwortlich zeichnete.
35 Stunden Musik
164 Nachwuchsmusikerinnen und -musiker, Solisten mit ihren Spielpartnern,
Kammermusikensembles von bis zu zehn Mitgliedern setzten sich auf
Bitten der Bundesgeschäftsstelle im Laufe der kommenden Monate
Richtung Hannover in Bewegung, gastierten wechselweise im Konzertsaal
oder im Foyer des Deutschen Pavillons und musizierten hingebungsvoll!
In eindrucksvoller Professionalität, leidenschaftlich, voller
Heiterkeit und Emphase, während die Besucher sie umstrudelten.
Vermessen wäre die Behauptung, dass allein diese Konzertreihe
das angeschlagene Image der Weltausstellung allmählich zu polieren
begann. Aber: Die Qualität des Kulturprogramms, überhaupt
die Attraktionen der gesamten EXPO 2000 sprachen sich allmählich
in der Republik herum. Und die Zuhörer, so vereinzelt sie sich
zu Beginn der Auftakte im August-Everding-Saal eingefunden
hatten, sie blieben! Lauschten mit wachsendem Respekt beispielsweise
der Virtuosität eines 16-jährigen Cellisten, ließen
sich von den versierten Moderatoren über Absicht, Verlauf und
Geschichte von Jugend musiziert und der Herkunft von
Instrumentenfamilien informieren und setzten sich begeistert mit
Kammermusik aus vier Jahrhunderten auseinander.
Praktische Toleranz
Alle Beteiligten hatten nach maximal neunzig Minuten Konzertdauer
an Erfahrung dazu gewonnen. Nicht zuletzt die jungen Interpreten.
Spontan auftretende Ministerpräsidenten, gleichzeitig angesetzte
Saalproben anderer Musikprojekte oder schlichtweg die wohlmeinende
Hilfestellung mancher Pavillon-Mitarbeiter verlangten ihnen dort
Besonnenheit ab, wo mancher Profi entnervt und gekränkt auf
dem Absatz kehrt gemacht hätte.
So sind die Erfolge des Wettbewerbs Jugend musiziert
für die Verantwortlichen gerade auch dort zu verbuchen, wo
sie von der Öffentlichkeit nur mittelbar wahr genommen werden:
in praktischer Toleranz, im Einüben des Faktors Spaß,
der die hohe Professionalität für Zuhörer überhaupt
erst spürbar macht, der gebündelten Konzentration auf
das eigene Erlernte und das seiner Spielpartner und nicht zuletzt
der unverstellte Eifer, die erarbeiteten Werke einem Publikum vorzuspielen.
Belohnt wurde das Konzept von Jugend musiziert schließlich
durch eine Einladung der besonderen Art: In der Woche vom 2. bis
8. Oktober warb der Bund auf der EXPO 2000 unter dem Titel Grenzgänge
für Toleranz und friedliche Koexistenz in Deutschland. Die
Bundesgeschäftsstelle Jugend musiziert wurde um
die Gestaltung der fünf begleitenden einstündigen Konzerte
mit ersten Preisträgern aus dem Ausland gebeten. Seit Jahren
werden ausländische Nachwuchsmusiker mit festem Wohnsitz in
Deutschland und Schülerinnen und Schüler der deutschen
Schulen im Ausland in das Projekt Jugend musiziert integriert.
So konzertierten in der Woche Grenzgänge Jugendliche
aus der Ukraine, aus Japan, Deutschland, Korea und Russland
neun Musiker, erste Bundespreisträger Jugend musiziert
aus fünf verschiedenen Nationen und alle bedrückten Politikerreden
wurden glaubwürdiger, weil hier auf musikalische Art der Beweis
für die Machbarkeit von Integration geführt wurde.
Das gibts nur einmal, das kommt nicht wieder...
Mit diesem Schlager wirbt die EXPO 2000 um Besucher, bevor
sich die Pforten am 31. Oktober endgültig schließen.
Mag das für eine Weltausstellung auf deutschem Boden gelten,
Jugend musiziert ist zumindest seriell einmalig! In
jedem neuen Wettbewerbsjahr, in jedem seiner Abschlusskonzerte führt
der Wettbewerb diesen Beweis. Wie gut, dass auch die vielen EXPO-Besucher
an dieser friedvollen Idee teilhaben konnten!