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nmz-archiv
nmz 2000/11 | Seite 19
49. Jahrgang | November
Deutscher
Kulturrat
EU-Grundrechtscharta weiterentwickeln
Charta erst nach öffentlicher Diskussion verabschieden
Die Staats- und Regierungschefs der EU-Mitgliedsstaaten planen
anlässlich des EU-Gipfels in Nizza die EU-Grundrechtscharta
zu verabschieden. Die EU-Grundrechtscharta wurde ohne öffentliche
Beteiligung von einem Expertengremium entwickelt und im Sommer diesen
Jahres der Öffentlichkeit vorgestellt. In seiner Stellungnahme
EU-Grundrechtscharta weiterentwickeln fordert der Deutsche
Kulturrat eine öffentliche Diskussion zur EU-Grundrechtscharta.
Weiter vertritt er die Auffassung, dass wesentliche Aspekte noch
ihren Niederschlag in der Charta finden müssen.
Dr Deutsche Kulturrat, der Spitenverband der Bundeskulturverbände,
begrüßt, dass mit einer Charta der Grundrechte der Europäischen
Union ein Diskussionsanstoß über grundsätzliche
Fragen gegeben wurde. Als großen Mangel sieht der Deutsche
Kulturrat, dass mit der vorgesehenen Verabschiedung noch in diesem
Jahr eine Diskussion abgeschlossen werden soll, die jetzt erst beginnen
muss. Der Deutsche Kulturrat setzt sich mit Nachdruck für die
in der Präambel formulierten Grundsätze der Würde
der Person, der Freiheit, der Gleichheit und der Solidarität
ein. Er tritt für die Wahrung der kulturellen Eigenständigkeit
der Mitgliedsstaaten sowie die Intensivierung der Zusammenarbeit
und des Austausches auf dem Gebiet der Kultur und der kulturellen
Bildung ein. Außerdem plädiert er für die Wahrung
der kulturellen Eigenständigkeit der Mitgliedsstaaten sowie
die Intensivierung der Zusammenarbeit und des Austausches auf dem
Gebiet der Kultur und der kulturellen Bildung.
Eine Charta der Grundrechte der Europäischen Union stellt
für den Deutschen Kulturrat ein hohes Gut dar. Damit wird das
Fundament des künftigen Zusammenwirkens in Europa und der Rechte
und Pflichten der Staatsbürger der Europäischen Union
gelegt.
Der Deutsche Kulturrat versteht die EU-Grundrechtscharta als Selbstbindung
der Staats- und Regierungschefs, auf der Grundlage des vorliegenden
Entwurfs eine Debatte in den nationalen Parlamenten und auch öffentlich
zu initiieren. Ebenso sieht der Deutsche Kulturrat das Europäische
Parlament aufgefordert, sich mit der EU-Grundrechtscharta ausführlich
zu befassen.
Die EU-Grundrechtscharta ist der ers-te wichtige Schritt für
eine europäische Verfassung. Dabei darf aber in entscheidenden
Fragen kein Rückfall hinter bereits besser fundierte Positionen
wie zum Beispiel hinter Artikel 27 Absatz 2 der Menschenrechtserklärung
der Vereinten Nationenzum geistigen Eigentum oder Artikel 2 des
Zusatzprotokolls der Europäischen Menschenrechtskonvention
zur Bildung stattfinden. In der vorliegenden Fassung ist der Entwurf
nach Auffassung des Deutschen Kulturrates nicht verabschiedungsreif.
Der Deutsche Kulturrat fordert, dass in einer EU-Grundrechtscharta
insbesondere folgende Aspekte Berücksichtigung finden:
die Verankerung des Rechts auf Kultur,
die Präzisierung der Meinungs- und Informationsfreiheit,
der Freiheit des Wortes und der Literatur,
die offenere Definition des Rechts auf Bildung,
die Konkretisierung des Schutzes des geistigen Eigentums
und seiner Schöpfer,
die Sicherung der Partizipationsmöglichkeiten der Bürgerinnen
und Bürger im Sinne der Bürgergesellschaft.
Recht auf Kultur
Europa baut auf einem gemeinsamen kulturellen Fundament auf. Europa
hat ein gemeinschaftliches kulturelles Erbe und vielfältige
kulturelle Landschaften.
Der Deutsche Kulturrat fordert, dass, ebenso wie das Recht auf
Bildung in der EU-Grundrechtscharta verankert wurde, das Recht auf
Kultur festgeschrieben wird. Bildung setzt Kultur voraus, ebenso
erschließt sich die Kultur erst durch Bildung. Kultur umfasst
dabei die gesamte Vielfalt künstlerischer Ausdrucksformen,
die aktive Rezeption, die Kultureinrichtungen sowie die Einrichtungen
der kulturellen Bildung. Für die weitere Entwicklung der Gesellschaft
ist die Kultur ein unverzichtbarer Humus, Anstoß und Wirtschaftsfaktor.
Aufgrund der herausragenden Bedeutung der Kultur in der Vergangenheit
des Europas der Nationalstaaten und der künftigen Entwicklung
eines gemeinschaftlichen Europa unter Wahrung der kulturellen Identität
muss das Recht auf Kultur in der EU-Grundrechtscharta verankert
werden
Meinungsfreiheit
Durch Artikel 11 der Grundrechtscharta wird die Freiheit der Meinungsäußerung
und der Informationsfreiheit gesichert.
Der Deutsche Kulturrat ist der Überzeugung, dass die Freiheit
der Presse, des Rundfunks, des Films sowie der sonstigen an die
Allgemeinheit gerichteten Kommunikation gesichert sein muss. Die
Sicherung und Weiterentwicklung der Demokratie ist zwingend mit
der Freiheit der Presse und des Rundfunks verbunden.
Der Deutsche Kulturrat schließt sich Forderungen an, dass
Artikel 11 der Grundrechtscharta um folgenden Passus geändert
werden soll:
Das Recht der freien Meinungsäußerung wird gewährleistet.
Ebenso wird das Recht gewährleistet, sich aus allgemein zugänglichen
Quellen umfassend zu informieren. Dies schließt insbesondere
den Zugang zu kulturellen Angeboten und Angeboten der Bildung ein.
Die Freiheit der Presse, des Rundfunks, des Films und der sonstigen
an die Allgemeinheit gerichteten Kommunikation wird gewährleistet.
Der Rundfunk dient der Information durch umfassende und wahrheitsgemäße
Berichterstattung und durch die Verbreitung von Meinungen. Er trägt
zur Bildung und Unterhaltung bei. Er ist Medium und Faktor des Prozesses
freier Meinungsbildung. Er trägt der kulturellen Vielfalt in
Europa Rechnung und fördert die europäische Integration.
Er nimmt damit eine öffentliche Aufgabe wahr und ist darum
unabhängig in der Programmgestaltung. Unbeschadet des Angebots
privatwirtschaftlichen Rundfunks werden Bestand und Entwicklung
des Rundfunks in öffentlicher Trägerschaft gewährleistet.
Auf rundfunkähnliche Mediendienste sind diese Bestimmungen
entsprechend anzuwenden. Eine Zensur findet nicht statt.
Recht auf Bildung
Bildung ist eine der Grundvoraussetzungen zur Partizipation an
der modernen Gesellschaft. Der Deutsche Kulturrat begrüßt
daher die ausführliche Behandlung des Rechts auf Bildung in
der EU-Grundrechtscharta mit Nachdruck.
Mit Blick auf Absatz 1 Artikel 14 (Recht auf Bildung) fordert der
Deutsche Kulturrat, dass jede Person (...) das Recht auf Bildung
(hat) sowie den Zugang zur beruflichen und kulturellen Aus- und
Weiterbildung.
Kulturelle Bildung ermöglicht die aktive Auseinandersetzung
des Menschen mit sich, seiner Umwelt und mit anderen. Angesichts
der globalen Wirtschaftsverflechtungen und der Entwicklung der Informationsgesellschaft
wird die kulturelle Bildung an Bedeutung gewinnen. Die Verankerung
des Rechts auf berufliche Aus- und Weiterbildung verkürzt das
Spektrum und trägt den Anforderungen des lebensbegleitenden
Lernens nicht Rechnung.
Schutz geistigen Eigentums
Der Schutz des geistigen Eigentums hat in allen europäischen
Ländern einen hohen Stellenwert. Der Schutz des geistigen Eigentums
ermöglicht Investitionen in Forschung und Entwicklung. Der
Schutz des geistigen Eigentums ist eine der Voraussetzungen für
ein lebendiges kulturelles Leben.
Der in Absatz 2 Artikel 17 formulierte Satz Geistiges Eigentum
wird geschützt wird nach Auffassung des Deutschen Kulturrates
der Bedeutung, die dem Schutz des geistigen Eigentums zukommt, nicht
gerecht. Durch die unmittelbare Anknüpfung an das in Absatz
1 von Artikel 17 behandelte materielle Eigentum umfasst die Formulierung
nur die vermögensrechtliche Seite des geistigen Eigentums.
Es kann nicht angehen, dass das ebenso wichtige Urheberpersönlichkeitsrecht
(droit moral) unberücksichtigt bleibt.
Bereits in der allgemeinen Erklärung der Menschenrechte vom
10.12.1948, Artikel 27 Absatz 2, wurde formuliert: Jedermann
hat das Recht auf Schutz der geistigen und materiellen Interessen,
die sich für ihn als Urheber von Werken der Wissenschaft, Literatur
oder Kunst ergeben. Der Deutsche Kulturrat ist der Auffassung,
dass eine Europäische Grundrechtscharta hinter dieser allgemeinen
Erklärung der Menschenrechte durch die Vereinten Nationen nicht
zurückfallen darf. Darüber hinausgehend hält es der
Deutsche Kulturrat für geboten, den im oben erwähnten
Passus der allgemeinen Menschenrechte verwendeten Begriff des Urhebers
durch des Schöpfers zu ersetzen. Damit würde
dem heutigen Stand der Diskussion Rechnung getragen.
Sicherung der Partizipation
Die Europäische Union ist bislang noch ein Zusammenschluss
von Staaten, bei dem die wirtschaftliche Zusammenarbeit im Vordergrund
steht. Zur weiteren Entwicklung der Europäischen Union und
zur Demokratisierung ist es erforderlich, dass ein Europa der Bürgerinnen
und Bürger erwächst. Dieses Europa der Bürgerinnen
und Bürger geht mit einer aktiven Bürgergesellschaft einher,
zu deren Entwicklung jeder nach seinen eigenen Kräften beiträgt.
Damit eine aktive Bürgergesellschaft in Europa entsteht, müssen
die Partizipationsmöglichkeiten der EU-Bürgerinnen und
-Bürger über die Tätigkeit in den politischen Parteien
hinausgehend entwickelt werden.