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nmz-archiv
nmz 2000/11 | Seite 1
49. Jahrgang | November
Leitartikel
Netzwerke statt Seilschaften
Unter den Künsten ist Musik die am hierarchischsten gegliederte:
Da blickt man noch zum Maestro hinan, bejubelt den Primarius, die
Primadonna und entwickelt viel Verständnis für notwendige
Disziplin im Orchester bis in die letzte Verästelung
von Kleiderordnung und Tarifvertrag hinein. Dabei will niemand die
natürliche Autorität wahrer musikalischer oder musikantischer
Meisterschaft je bekritteln. Es sind erstarrte Rituale, die solche
Meisterschaft mangels innovativer Potenziale und Mut zur Identität
formal vorspiegeln wollen und die uns letztlich daran zweifeln machen.
Sie erzeugen Schwellenangst wie Bibliotheks-, Museums- oder Kirchen-türen.
Sie erzeugen Persönlichkeiten, die es selbst schwer haben,
den Wert ihres zu Recht geliebten Gegenstandes Musik
überhaupt noch zu benennen oder gar weiter zu vermitteln. Sie
nehmen der Musik den freien Atem.
Wie
an Marionettenfäden einer künstlichen und deshalb unkünstlerischen
Grundhaltung gefangen agieren leider nicht selten auch die Exponenten
unseres Musiklebens in den Feldern Bildung und Verbandswesen. Da
wird mit viel zuviel Respekt Abstand gehalten zu den gewählten
und bestallten Vertretern des öffentlichen Lebens. Man wartet
auf die huldvolle Anerkennung durch Banausen und erstarrt in Ehrfurcht
vor der scheinbaren Macht.
Auch der Umgang miteinander ist bestimmt durch Distanzverlangen,
resultierend aus der Sorge um eigenen Profilverlust. Einer Sorge,
die nahtlos in Angst vor dem Schrumpfen der hart errungenen häuslichen
Pfründe übergeht. Aggressiv geschnappt wird nur in Momenten,
da dieses Fell vermeintlich in Gefahr gerät. Ansonsten sucht
man den Frieden nach dem Motto: Tust du mir nichts, tu ich
dir nichts. Und so entstehen bestenfalls kraftlose Koalitionen,
harmlose Seilschaften mit dem Verlauf: Reaktion, Resolution, Frustration.
Musikpolitik im Schuhkarton.
Gut, dass sich die Zeiten ändern: Mit Zaghaftigkeit und Klüngelwirtschaft,
mit taktischen Mätzchen oder Eigenbrötelei ist heutzutage
nichts mehr zu erreichen. An die Stelle der kleinen Karos auf dem
Planungs-Papier ist längst Fuzzy-Logik getreten. Kreative Planung,
planvolle Assoziation, sinnvolle Vernetzung.
Die konstruierten Autoritäten, die zwanghaften Ordnungen haben
ausgedient auch in unserem Musikleben. Schön zu erleben,
wie sich so glaubwürdige und zukunftsträchtige neue Projekte
formen; wie gleichberechtigte, interessenorientierte und projektbezogene
Kooperationen entstehen. Wie sich alte Konkurrenzen im Dienst an
der Sache in Luft auflösen: Gute Musik für Kinder,
Konzerte für Kinder und vielleicht ja bald
auch noch eine umfassende Hauptsache: Musik.