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nmz-archiv
nmz 2000/11 | Seite 28
49. Jahrgang | November
Pädagogik
Prävention und ästhetische Bildung
Saarbrücker Gesprächskreis der Klaviermethodiker tagte
erneut
Anfang Oktober trafen sich einmal mehr die Mitglieder des Saarbrücker
Gesprächskreises, das heißt Professoren und Dozenten
für Klaviermethodik an bundesdeutschen Musikhochschulen und
Akademien, unter der Leitung von Prof. Dr. W. Müller-Bech in
der Musikhochschule Saarbrücken, um wieder interessierende
Fachthemen voranzutreiben und zu diskutieren.
Zum
Thema Metrik/Rhythmik in Klassik und Romantik
referierte K. Meister. Er gliederte seinen Vortrag in drei Blöcke:
Metrik der Taktgruppen, Deklamatorische Akzente
und Die Problematik der Agogik. Mit verschiedenen Klangbeispielen
von Bach bis Berg erläuterte er das Metrum als Gestaltungsprinzip.
Eine Zitatenliste zu Rhythmik-Metrik von K. Börner
wurde an die Mitglieder verteilt und erläutert. U. Hench stellte
vor allem eigene Materialien zur Musiktheorie im Klavierunterricht
vor. Er plädierte dafür, neben den gebräuchlichen
Höreindrücken der Pentatonik chromatische Klangeindrücke
möglichst frühzeitig und vor dem Erlernen der Tonleiter
zu vermitteln. Auch in den Schulen werde die Chromatik zu spät
eingeführt. Das Bauen der Tonleiter mit Legosteinen, zwei Tonleiter-Lineale
in Dur und Moll und Spielkarten sollten den Kindern an die Hand
gegeben werden, ... damit sie auch zu Hause etwas machen können.
Zum immer wieder bewegenden Problemkreis Fokale Dystonie
beim Klavierspiel (Kontrollverlust der Koordinationsfähigkeit)
referierte an Stelle des diesmal verhinderten Musikermediziners
E. Altenmüller H.C. Jabusch. Er führte aus, dass beim
Klavierspiel ein Höchstmaß an zeitlicher und räumlicher
Präzision mit sofortiger genauester Kontrolle durch das Gehör
unumgänglich sei, deren Koordination bei der fokalen Dystonie
gestört sei. Er stellte Therapieansätze vor und befand,
dass die vielversprechendsten der derzeit angebotenen Therapien
in einen interdisziplinären Ansatz unter Einschluss eines Klavierpädagogen
zu verschmelzen seien. An die Pädagogen gerichtet betonte er
die große Wichtigkeit einer Prävention gegenüber
allzu großer Emotionalität, Perfektionismus, Überlastung
durch radikales Üben und Angstzuständen bereits des Schülers,
die bei einem Zusammentreffen mit anderen Trägerfaktoren und
Persönlichkeitsstrukturen in einer Person das Krankheitsrisiko
entscheidend erhöhen. Hier sei der Klavierpädagoge eindeutig
und intensiv mit pädagogischer Analytik und präventivem
Handeln gefordert. Übehygiene und Hellhörigkeit gegenüber
Schüleraussagen seien in Anbetracht dessen, dass falsche Bewegungsmuster
und auch starke Emotionalität im Üben und im Spiel nicht
wieder vergessen werden, das Mindeste, was von Seiten der Klavierpädagogen
zu erwarten sei.
Zum Thema Improvisation im Klavierunterricht
setzte G. Stenger-Stein ihren in der vorangegangenen Sitzung ausführlich
diskutierten Projektbericht mit Videobeiträgen fort. R. Reinhold
stellte zu Beginn seines Referates Autograph als Urtext
fest: Einem authentischen Text nahe zu kommen ist nahezu unmöglich.
Die auf dem Markt erhältlichen Urtextausgaben dokumentierten
zwar Unantastbarkeit, würden jedoch vielfach gar nicht benutzt
und ersetzten auch nicht den Blick in den Autograph. Schon auf dem
Wege zur Urtextausgabe würden sich Aussagen einschleichen,
die aus dem Urtext nicht immer eine echte Urtextausgabe machten.
Hierzu hatte er aufschlussreiche Beispiele von Beethoven, Schubert,
Schumann und Chopin mitgebracht.
P. Heilbut hielt ein Plädoyer zur Aktualität von Margit
Varró: eine der bedeutendsten Klavierpädagoginnen
des 20. Jahrhunderts, und machte sich ebenso wie B.
Vergara-Pink, K. Runze und R.-I. Frey-Samlowski, die sich seit dem
dieser Musikpädagogin gewidmeten Kongress der EPTA Ungarn in
Budapest einmal mehr um die Revitalisierung ihrer für die Klavierpädagogik
wegweisenden Erkenntnisse kümmern dafür stark,
dass Varró in allen Fachlexika präsent sein müsse.
R.-I. Frey-Samlowski wurde beauftragt, für den Saarbrücker
Gesprächskreis eine Empfehlung an die Herausgeber derartiger
Werke zur Verabschiedung in diesem Kreis vorzubereiten.
W. Müller-Bech stellte in seinem Beitrag Gedanken
zur Ästhetischen Erziehung in einer Reihe von Thesen
oder Hypothesen grundsätzliche Überlegungen zur
Musikhochschul-Welt die Forderung nach mehr Bildung, nicht
nur Ausbildung, an den Anfang. Optimale Fähigkeiten
auf dem Spezialgebiet müssten eingebettet sein in ein breites
Bildungsfeld im Sinne polyästhetischer Erziehung unter Einschluss
der Beschäftigung mit Literatur und philosophischen Fragestellungen,
da sonst jene Fähigkeiten ohne weiteres Verständnis oder
gar Kreativität als isolierte Elemente im Netzwerk des
Lebens hingen. Bildung erscheine zwar als fachlicher Luxus,
sei aber notwendig. Im weiteren Verlauf erläuterte er seine
Pyramide des Bildungsprozesses in der Vernetzung von Bildungsziel,
Lehrstoff und Methode in Bezug auf den Lehrenden, den Lernenden
und das Umfeld, in dem der Bildungsprozess stattfindet. In diesem
Zusammenhang verwies er auch auf seinen Beitrag in der Veröffentlichung
der D-A-CH-Tagung 1980 Zur Ästhetik der Musikerziehung
(Bosse-Verlag). Nach der Darstellung weiterer Gedanken zum Thema
entwickelte er 11 Thesen, die zu reger Diskussion im Gesprächskreis
führten.