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nmz-archiv
nmz 2000/11 | Seite 21
49. Jahrgang | November
Rezensionen
Klang-Rausch
Erstveröffentlichungen von Franz Schreker
Um die mit Verve begonnene Wiederentdeckung Franz Schrekers an
den Bühnen ist es recht still geworden. Dies mag daran liegen,
dass der Reiz der Wiederentedeckung im neuen Alten lag,
denn in den vergangenen zwei Dezennien wurden sämtliche seiner
Bühnenwerke einer Neubefragung unterzogen. Schrekers erste
Oper Flammen erlebte 1901 in Wien nur eine konzertante
Uraufführung, erst 1980 erfolgte daselbst die szenische Uraufführung;
die auch auf CD (Marco Polo 8.223422) festgehaltene Produktion gab
es in den Folgejahren auch als Gastspiel in Berlin, Basel und Hamburg
zu sehen. Nun aber kündigen die Städtischen Bühnen
Kiel für diese Spielzeit erneut die Uraufführung
dieser Oper an. Die erneute Klassifizierung als Uraufführung
setzt hinsichtlich publizistischer Beachtung offenbar auf den ungeprüft
größeren Effekt einer solchen Behauptung. Auf CD hingegen
erschienen kürzlich einige Werke Franz Schrekers tatsächlich
erstmals auf Tonträgern.
Von
den drei Erstveröffentlichunchungen des Labels Capriccio ist
Schrekers frühe Symphonie für großes Orchester in
a-Moll gar eine veritable Uraufführung. Auch im Konzert ist
bislang (beim Schreker-Festival in Basel 1988) nur die vierhändige
Klavierfassung des Komponisten erklungen. Leider ist der auf dem
Vorsatz der Partitur als Allegro vivace bezeichnete
Schlusssatz verschollen; die verbleibenden drei Sätze (Allegro
non troppo Presto Andante) sind von mitreißender
Verve und Jugendfrische. Diese in der Spätromantik verwurzelte
Komposition zeigt Schreker trotz seines Bekenntnisses zum Antagonismus,
Brahms zu verehren und Bruckner zu lieben, deutlich als einen bereits
in seinen Anfängen der Neudeutschen Schule verbundenen Komponisten.
Der zum Abschluss seiner Studien bei Robert Fuchs komponierte Psalm
116 mag an Brahms Deutsches Requiem gemahnen, seinen
Lehrer Fuchs aber muss auch diese vorwärts treibende Komposition
im Innersten schre(c)klich verunsichert haben. Die Interpretation
durch Chor und Orchester des WDR ist erstklassig.
Das im Auftrag der Tochter Max Halbes, der Schauspielerin Toni
Halbe-Halberstamm im Jahre 1932 in Estoril komponierte Melodram
Das Weib des Intaphernes ist Schrekers letzte vollendete
Komposition, die postum 1934 in Wien uraufgeführt wurde. Die
Auftraggeberin, die bei der Machtergreifung der Nationalsozialis-ten
nach London emigrierte, hat das Melodram nie interpretiert, und
szenisch wurde Das Weib des Intaphernes erst im vorletzten
Dezennium zur Uraufführung gebracht, inszeniert von Jacobo
Romano im Frankfurter TAT und dann in einer Neuinszenierung
dieses Regisseurs im Berliner Hebbel-Theater. Eduard Stuckens
Ballade von König Daritis und seiner Leidenschaft zur Frau
seines gefangenen Erzfeindes Intaphernes enthält all die Schrekerschen
Topoi von Eros und Vernichtung, die für seine eigenen Libretti
symptomatisch waren, die Tragödie des hässlichen Mannes
ebenso wie die alle Leidenschaften erstickende Feuersbrunst. Im
Spätstil, der nach Einflüssen der neuen Sachlichkeit,
erneut den für Schreker typischen Klangrausch aufbranden lässt,
interpretiert Peter Gülke dieses dramatische Konzertwerk mit
dem Kölner Rundfunkorchester. Der häufig selbstgefälligen
Interpretation Gert Westphals setzt die Koch-Edition mit der sprecherischen
Interpretation der Filmschauspielerin Lena Stolze eine weibliche
Sicht auf die Geschichte entgegen; Gerd Albrecht lotet die Partitur
mit dem Deutschen Symphonie-Orchester Berlin nach ihrer klanglichen
Seite aus und interpretiert sie expressiv. Die Kompilation beider
Einspielungen aus den Sichtweisen des Darius und der des
Objektes seiner Begierde, in verteilten Rollen böte
die ideale Vision eines Bühnenwerkes im Kopf des Hörers.
Gelungene Alternativen zu den Einspielungen sinfonischer Werke
unter Michael Gielen, Edgar Seipenbusch, Uwe Mund und Karl Anton
Rickenbacher bei Marco Polo und Schwann bietet die neue Chandos-Edition:
Eine interpretatorisch und technisch erstklassige Einspielung mit
dem BBC Philharmonic Orchestra unter der beschwingten, dramatisch
vorantreibenden Leitung von Vassily Sinaisky. Dieser Dirigent verfügt
über ein großes Gespür für den Aufbau der bei
Schreker stets impulsiv gestaffelten Höhepunkte; die sinfonischen
Opernbilder sind ebenso spannend und plastisch ausgedeutet wie die
Sinfonische Ouvertüre Ekkehard oder die Phantastische
Ouvertüre, und selbst der Valse lente wird
zu einer Opernszene en miniature.
Wenig neue Fassetten bietet hingegen Franz Welser-Mösts klanglich
ausgezeichnete Einspielung der Kammersinfonie für 23 Soloinstrumente
mit der Camerata Academia Salzburg. Und Albrechts Interpretation
des Geburtstags der Infantin, der zur Suite verkürzten
Tanz-Pantomime, die Schreker 1908 für die Schwestern Wiesenthal
komponiert hatte, bleibt mit virtuosem Orchesterklang an der Oberfläche.
Die wohl schönste und gleichzeitig preisgünstigste Schreker-Einspielung
gelang Arte Nova, mit 28 Liedern des Komponisten, stimmschön,
textintensiv und mitreißend interpretiert von Noëmi Nadelmann
und Andreas Schmidt. Da die zweite Folge der Schreker-Lieder-Gesamtedition
bei Channel Classics (CCS 12098) auf sich warten lässt, kann
die von Adrian Baianu begleitete Auswahl sogar fünf World
Premier Recordings aufweisen zumindest auf CD, denn
auf LP (Acanta 6823 389) hatte bereits Steven Kimbrough Das
feurige Männlein erstmals eingespielt.
Insgesamt sind Franz Schrekers Werke für den Konzertsaal
in Neueinspielungen auf CD sehr viel besser vertreten als seine
Opern, von denen es zwar Den fernen Klang und Die
Gezeichneten in zwei alternativen Einspielungen, Flammen,
den Schatzgräber und Irrelohe je einmal
gibt, während fünf weitere Bühnenwerke (Das
Spielwerk, Christophorus Der singende Teufel,
Der Schmied von Gent und das von Zulueta fertig gestellte
Memnon-Particell) bislang in keinerlei Gesamteinspielung
vorliegen.
Peter P. Pachl
Diskografie
Franz
Schreker: Symphonie a-Moll op. 1; Psalm 116 op. 6; Das Weib des
Intaphernes; Gert Westphal (Deklamation), Peter Dicke (Orgel), Kölner
Rundfunkorchester, Kölner Rundfunkchor, Peter Gülke Capriccio
10850 (1 CD) DDD
Franz
Schreker: Das Weib des Intaphernes; Der Geburtstag der Infantin,
Suite; Lena Stolze (Erzählerin), Deutsches Symphonieorchester,
Gerd Albrecht
Koch/Schwann 3-6591-2 (1 CD) DDD
Franz
Schreker: Ekkehard, op. 12; Phantastische Ouvertüre, op. 15;
Valse lente; Nachtstück aus Der ferne Klang, Vorspiel
zu einem Drama; Sinfonisches Zwischenspiel aus Der Schatzgräber;
BBC Philharmonic, Vassily Sinaisky
Chandos 9797 (1 CD) DDD
Franz
Schreker: Lieder op. 2, 3, 4, ausgewählte Lieder; Noëmi
Nadelmann (Sopran), Andreas Schmidt (Bariton), Adrian Baianu (Klavier)
Arte Nova 74321 721262 (1 CD) DDD
Franz
Schreker: Kammersinfonie für 23 Soloinstrumente; Symphonie
a-Moll op. 1; Psalm 116; Franz Schubert: Der Tod und das Mädchen,
für Streichorchester orchestriert von Gustav Mahler; Camerata
Academia Salzburg, Franz Welser-Möst
EMI 7243 5 56813 2 4 (1 CD) DDD