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nmz-archiv
nmz 2000/11 | Seite 41
49. Jahrgang | November
Jazz,
Rock, Pop
Nachschub
Kopfstand
HipHop war zunächst Straßen-, Nachbarschafts-, block
party-Musik. Er ging aus vom Körper, seinen Erfahrungen
und Bedürfnissen, die in den weißen Medien und Institutionen
nicht zur Sprache kamen. Seine frühen, beinahe exklusiven Themen
waren Sex und (direkt, am eigenen Leib vespürte)
Politik. Die ersten Rapper waren Sexprotze und Rebellen, Verführer
und Aufwiegler. HipHop in den späten 70ern war spontan, auch
fröhlich und vor allem ungeniert. Später, in den 80ern,
als HipHop längst The Next Big Thing, selbst ein einflussreiches
Medium und eine schier unerschöpfliche Quelle von Ruhm, Reichtum
und Macht war, entstanden Sub-Genres, die in ihrer Weltsicht immer
radikaler und beschränkter wurden: Im Gangsta-Rap genauso wie
in der edutainment-Bewegung von Public Enemy oder KRS-1.
De la Soul waren, als sie vor mehr als einem Jahrzehnt auftauchten,
fast schon provozierende Ausnahmen: Nicht rüde, nicht street,
sondern drei schwarze Mittelschicht-Kids, gebildet und verspielt,
deren Heimat weder eine Gang noch die Nation of Islam war, sondern
eher das virtuelle Universum der Pop-history, dieses geglückte
Beispiel friedlicher Koexistenz, wo alles mit allem zusammenhing
man musste nur den roten Faden, den Dreh finden. Three
Feet High And Risin war der De-la-Soul-Klassiker, der
alle HipHop-Möglichkeiten auf Anhieb auszureizen schien: ein
Klassiker für die Ewigkeit und ein dead end. Das
nächste Album hieß konsequenterweise De la Soul
is dead, was aber nur das innig-ironische Label für einen
schier berstenden Recycle- und Re-Sample-Kosmos war. Anno 2000 machen
De la Soul das, was die Zeit, bass erstaunt über
soviel Chuzpe, Bildungsbürger-HipHop nennt: Eine
Konzept-Alben-Trilogie, die ihr business as usual in
den Fokus allgemeiner Aufmerksamkeit rücken soll und mit den
avanciertesten Möglichkeiten, ja sogar den Fehlern
digitaler Technologie genauso virtuos spielt wie mit den sounds
and visions, die der medial Sozialisierte jeder Hautfarbe
und Geschlechtszugehörigkeit in Herz und Hirn hat. Deshalb
gibt es auf dem programmatisch Art Official Intelligence Mosaic
Thumb betitelten ersten Album der Serie (bei EastWest) ein
Summer in the City-Cover, aber auch die respektvolle
Kooperation von Aggresso-Rappern wie Redman, Underground-Ikonen
wie Busta Rhymes oder, schlicht, den Beastie Boys. Aber auch Chaka
Khan, still alive, und Marvin Gaye sind Steinchen im
Mosaik. Diese Platte ist im HipHop-Kontext das, was jemand wie Beck
immer schon gemacht hat und Madonna mit dem Titel ihres neuesten
Albums annonciert: Music, ohne Einschränkungen
ja, sogar entschieden erweitert ins John Cage Geräusch-
und ins elektronische Fieps-Universum.
Extrem: „...And You Will Know
Us By The Trail Of Death“. Foto: Domino
Natürlich glauben auch De la Soul nicht so ohne weiteres an
die daisy world. Aber während die virtuellen HipHopper
das Abgründige und Brüchige nur in vertrackten, immer
auch anders lesbaren Stil-Gebärden andeuten, setzt
...And You Will Know Us By The Trail Of Dead, die Brachial-Combo
aus Austin/Texas, zumindest prima vista ohne alle Einschränkungen
auf das psychotische Potenzial einer ins apokalytische Extrem getriebenen
Rock-Formel. Dass ihr zweites Album ausgerechnet Madonna
heißt (Domino/Zomba) ist freilich schon ein Hinweis darauf,
dass ihr paranoider Authentizismus (Mark David Chapman,
eine Hommage auf den Lennon-Attentäter) weitgehend Fake
ist, selbstbewusstes Spiel mit den Möglichkeiten, die ein nur
vordergründig verbrauchtes Genre noch hergibt. Die Trail
of Dead-Songs sind gesampelter Rock, nur dass man es ihnen
nicht so ohne weiteres anhört. Band-Musik, die das Konzept,
das sie trägt, eher verbirgt: Man braucht nicht unbedingt Maschinen,
um schlüssig zusammenzufassen, was alles schon war. Madonna
ist ein must für Rockisten gerade weil die
Platte die Blödheiten des Genres konsequent meidet.