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nmz-archiv
nmz 2000/11 | Seite 27
49. Jahrgang | November
Noten
Über jeden Zweifel erhaben
Neue Klavierauszüge von Instrumentalkonzerten bei Henle
erschienen
Johann
Sebastian Bach: Violinkonzert a-Moll BWV 1041, Klavierauszug,
G. Henle Verlag (HN 671)
Ludwig
van Beethoven: Klavierkonzert Nr. 5, Es-Dur op. 73, Ausgabe für
zwei Klaviere (HN 637)
Joseph
Haydn: Klavierkonzert G-Dur Hob. XVIII:4 (mit einem Satz Streicherstimmen)
(HN 683)
Wolfgang Amadeus Mozart: Flötenkonzert G-Dur KV 313, Klavierauszug
(HN 673)
An der Schnittstelle von Musikwissenschaft und Musikpraxis, also
dort, wo Forschergeist sich mittels Notendruck zu handfester Klangmaterie
konkretisiert, sind Urtext-Ausgaben wie diejenigen des
Henle-Verlages angesiedelt. Die Ergebnisse, welche die im eigenen
Haus erscheinenden, ebenso renommierten wie kostspieligen Gesamtausgaben
etwa Haydns und Beethovens zeitigen, finden so den direkten Weg
zu den Ausübenden, Schlampereien der Überlieferung verschwinden
nach und auch aus der Repertoirepflege. Aber auch bei Komponisten,
deren historisch-kritische Ausgaben bei anderen Verlagen herauskommen,
beanspruchen die Henle-Ausgaben das Etikett Urtext.
Über Sinn und Unsinn dieser Bezeichnung ist ausführlich
diskutiert worden, unbestritten sind jedoch die Verdienste des gleichnamigen
Henle-Programms, das in diesem Jahr mit dem Sonderpreis des Deutschen
Musikverleger-Verbandes ausgezeichnet wurde.
So sind auch die Texte der neuen Klavierauszüge von Bachs
a-Moll-Violinkonzert und Mozarts G-Dur-Flötenkonzert über
jeden Zweifel erhaben. Zuverlässig geben die Solostimmen Auskunft
darüber, was uns die Quellen erzählen und
bieten mit dem Klavierauszug der Orchesterbegleitung die solide
Basis fürs häusliche und professionelle Studium.
Bachs a-Moll-Konzert, eherner Bestandteil geigerischer Grundversorgung,
besticht in der Ausgabe Hans Eppsteins zunächst einmal durch
das klar und großzügig gesetzte Notenbild der Solostimme.
Dem ersten Satz sind fast drei, dem dritten Satz vier (jeweils aufzuklappende)
Seiten gewidmet, so dass es mit zweimaligem Umblättern getan
ist. Bei den im Autograph inkonsequent gesetzten Artikulationsbögen
herrscht wohltuende Zurückhaltung im Editorischen: Der im abschließenden
Allegro assai sicherlich intendierte, an den rhythmischen Gestus
des Mittelsatzes anknüpfende luftige 3/8-Grundpuls bleibt mit
nur zwei gebundenen Achteln erhalten und wird nicht zum permanenten
Legato eingeebnet. Kurt Guntners Fingersätze und Strichbezeichnungen
sind größtenteils plausibel, zu anderen Ergebnissen könnte
man höchstens an Stellen kommen, die wie der jeweils erste
Soloeinsatz im ersten (Strichart) und im zweiten Satz (Fingersatz)
unnötig unruhig erscheinen. Der Klavierauszug Johannes Umbreits
ist bewusst schlicht gehalten, verzichtet also auf die ein oder
andere Mittelstimme zugunsten klarer Les- und unproblematischer
Spielbarkeit.
Ähnliches gilt bei insgesamt naturgemäß
größeren Anforderungen für den Auszug, den
Siegfried Petrenz aus der Orchesterbegleitung von Mozarts G-Dur-Flötenkonzert
destilliert hat. An András Adorjáns makelloser Ausgabe
sind vor allem die stilsicheren Kadenzen und Eingänge des auch
als Hammerflügel-Spezialist ausgewiesenen Mozart-Forschers
Robert D. Levin hervorzuheben. Aus seinen in nummerierte Abschnitte
gegliederten Vorschlägen kann man sich durch Springen zwischen
zwei Grundversionen eine Kadenz zusammenstellen oder auch nur einzelne
Bausteine für eine eigene verwenden.
Non si fa una Cadenza, ma sattacca subito il seguente
lautet bekanntlich Beethovens Anweisung an der Kadenzfermate des
ersten Satzes im Es-Dur-Klavierkonzert. Nicht nur den Solisten,
auch den zukünftigen Herausgebern praktischer Ausgaben hat
Beethoven mit seiner ausgeschriebenen Kadenz viel Kopfzerbrechen
erspart. Hanns-Werner Küthens vier Jahre alte, exemplarische
Edition im Rahmen der neuen Beethoven-Ausgabe erfährt mit der
von Hans Kann zuverlässig besorgten Version für zwei Klaviere
nun nach der Veröffentlichung als Studienpartitur weitere Verbreitung.
Das Layout ist hier noch das bewährte alte, aber auch an das
behutsam modernisierte Erscheinungsbild der neuen Titelblätter
wird man sich schnell gewöhnen. Zum Musizieren sind hier übrigens
zwei Ausgaben nötig.
Mit der Popularität von Beethovens fünftem Klavierkonzert
kann Haydns G-Dur-Konzert Hob. XVIII:4 bei weitem nicht mithalten.
Das liebenswürdige, bisweilen auch etwas schlichte Opus eignet
sich eben kaum für den großen Konzertsaal, viel eher
handelt es sich hier um konzertante Kammermusik, zu der die vorliegende,
auf dem Text der Gesamtausgabe fußende Edition Horst Walters
und Bettina Wackernagels animieren könnte (Fingersatz: Klaus
Schilde, Kadenzen: Axel Ruoff). Dem Klavierpart beigefügt ist
ein Satz Streicherstimmen, deren Schwierigkeitsgrad von jedem Nachwuchs-
oder Laienensemble zu meis-tern sein dürfte. Nötig wäre
dann nur noch ein/e Solist/-in (möglichst am Cembalo) mit Gespür
für perlende Feinmotorik, geschmackvolle Verzierungen und Lust
auf Erkundungen abseits der Klassik-Hauptstraße.
Weitere neue Klavierauszüge von Instrumentalkonzerten
bei Henle:
Johann Sebastian Bach: Violinkonzerte E-Dur BWV 1042 (HN 670) und
d-Moll (Doppelkonzert) BWV 1043 (HN 672)
Wolfgang Amadeus Mozart: Violinkonzert A-Dur KV 219 (HN 679),
Flötenkonzert D-Dur KV 314 (HN 674), Andante für Flöte
und Orchester C-Dur KV 315 (HN 675), Hornkonzert Nr. 3 Es-Dur KV
447 (mit Es- und F-Stimme) (HN 703)
Antonio Vivaldi: Flötenkonzert C-Dur op. 44,11 RV 443 (HN
689)