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nmz-archiv
nmz 2000/11 | Seite 25
49. Jahrgang | November
Bücher
Forderung nach humanistischer Bildung
Innsbrucker Hochschulschriften mit Beitrag zur Lehrerbildung
in Tirol
Monika
Oebelsberger: Die Musik in der Lehrerbildung Tirols von der Maria-Theresianischen
Schulreform bis zum Reichsvolksschulgesetz (17741869). Innsbrucker
Hochschulschriften Serie A: Musikpädagogik, Band 2, Josef Sulz
(Hrsg.). Verlag Müller-Speiser, Anif/Salzburg 1999.
Einen wichtigen Beitrag zur musikpädagogischen Fachgeschichte
Tirols liefert die hier vorgelegte Untersuchung Monika Oebelsbergers,
die 1993 als Dissertation an der Hochschule für Musik und darstellende
Kunst Mozarteum in Salzburg/Innsbruck angenommen wurde
und jetzt im Rahmen der Innsbrucker Hochschulschriften erschienen
ist. Eingehend untersucht die Autorin die Stellung des Schulfaches
Musik oder wie es damals hieß des Schulgesanges
oder Singens innerhalb des damals entstehenden Volksschulwesens
und in der Lehrerbildung und analysiert dabei sehr genau das komplexe
Netzwerk staatspolitischer und kirchenpolitischer Interessen mit
ihrem jeweiligen Menschenbild auf der einen, das an der Entwicklung
des Individuums orientierte rein humanistische Ideengut auf der
anderen Seite.
Ende des 18. Jahrhunderts beschränkte sich der Singunterricht
auf die Vermittlung religiöser Inhalte, insbesondere katechetischer
Texte. Abt Felbinger beispielsweise maß dem Singen keine eigenständige,
fachspezifische Funktion bei und duldete die Musik lediglich in
der ihr zugewiesenen Funktion. In seiner Allgemeinen Schulordnung
von 1774, dem Ausgangspunkt der Maria-Theresianischen Schulreform,
allerdings war Felbinger sehr reformerisch: Er führte die Volksschule
für alle Bevölkerungsschichten ein, verbunden mit einer
allgemeinen Schulpflicht, und installierte eine effiziente Lehrerbildung
und Schulaufsicht.
Anfang des 19. Jahrhunderts wurde Tirol von Bayern politisch regiert.
In dieser Zeit war der Einfluss der damals fortschrittlichen bayerischen
Schulpolitik sehr stark: So entstanden etwa erste öffentliche
Singschulen im Sinne einer Pestalozzischen Volksbildung,
Musik wurde in den Fächerkanon der Präparanden aufgenommen
und sollte als Fach Singen auch in den Volksschulen
unterrichtet werden. Nach 1814 allerdings kehrte Tirol unter die
österreichische Herrschaft zurück, und in diesem bewusst
starr gehaltenen politischen System des Neoabsolutismus wurden die
meisten Schul- und Lehrerbildungsreformen rückgängig gemacht.
Nur dem Entstehen einer bürgerlichen Musikkultur mit ihrem
Interesse an privat organisierter, musikalischer (Aus-)Bildung und
dem Kämpfen vieler engagierter Pädagogen ist es zu verdanken,
dass das musikdidaktische Niveau in der Zeit der Restauration (18161848)
erhalten blieb.
Besonders nach der Revolution des Jahres 1848 zeichnete sich ein
Umdenken vieler Lehrer ab, die sich intensiv mit der Sinnhaftigkeit
und Legitimierung eines Singunterrichts an den Volksschulen auseinander
setzten. Hier findet sich etwa die Forderung nach einer humanistischen
Bildung, die den ganzen Menschen umfasst und eine einseitige Vermittlung
kognitiver Inhalte ablehnt. Erst mit dem Reichsvolksschulgesetz
von 1869 wurde der Gesangsunterricht im Lehrplan der
Volksschulen und in dem der Lehrerbildung verankert, die Kirche
verlor ihren direkten Einfluss auf die Bestimmung der Lehrinhalte,
und die Lehrer wurden zu Pädagogen/-innen, die auch Musik
zu lehren hatten, ausgebildet und nicht mehr zu Lehrern, die gleichzeitig,
oder bisweilen vor allem, Kirchenmusiker zu sein hatten (S.
157). Aufschlussreiche Einblicke in die soziale Situation der Lehrer
und didaktisch-methodische Konzepte der Zeit ergänzen diese
historisch ergiebige Studie, insbesondere auch das Faksimile der
hier erstmals veröffentlichten Schulgesänge
von Gregor Kraemer, einem Schulliederbuch aus dem Jahre 1800 mit
hundert Liedern.