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nmz-archiv
nmz 2000/12 | Seite 37
49. Jahrgang | Dez./Jan.
Oper
& Konzert
Es gilt, weiße Kultur-Löcher zu füllen...
Zu den 14. Dresdner Tagen der zeitgenössischen Musik
Da staunte man nicht schlecht. Eines der letzten Relikte aus der
DDR-Vergangenheit, das nahezu unbeschadet alle Wendemanöver
überstanden hat, absolvierte im Oktober sein 14. Festival-Jahr.
Und ein Ende dieser Veranstaltung scheint nicht abzusehen, obwohl
das Geld in der sächsischen Landeshauptstadt Dresden immer
knapper wird und man sich wegen gigantischer Autobahn- und Brückenbauprojekte
und allerlei anderem Größenwahn die vorgebliche Liebe
zur Neuen Musik schön längst nicht mehr leisten kann.
Dank Direktor Udo Zimmermann, bekanntermaßen auch eine große
Nummer in Leipzig, München und Berlin, bleibt am Dresdner Zentrum
für Zeitgenössische Musik fast alles wie gehabt. Selbst
der drohende Umzug hinaus aus einer idyllischen Elbhangvilla (die
die Stadt zu Geld machen will) hinein ins stickige Dresdner Zentrum
ist zumindest vorerst abgewendet.
Nichtsdestotrotz war inmitten all der außermusikalischen
Turbulenzen die Kunst und Musik, die beim diesjährigen Festival
offeriert wurde, von ausgemachter Güte. Ein beeindruckender
Konzertreigen, zu dem sich noch die hehre Musikwissenschaft mit
einem dreitägigen Kolloquium nebst einer hochwichtig besetzten
Rundtisch-Diskussion gesellte, wo über die besten Strategien
zur Vermittlung Neuer Musik gestritten wurde. Der musikalische Auftakt
ging allerdings erst einmal haarscharf daneben: die Performance
Syrene von H.-J. Hespos litt an allzu großer Spitzfindigkeit
und Abgehobenheit, die von einem eher handfesten Publikum, das sich
veralbert vorkam, nicht goutiert wurde. Mit dem Prolog II konnte
das Dresdner Publikum schon eher etwas anfangen. Im Alten Schlachthof,
wo sich üblicherweise Rockbands tummeln, jazzte die NDR Big
Band und rezitierte, da der Meister Ernst Jandl bekanntermaßen
nicht mehr unter uns weilt, der großartige Schauspieler Dietmar
Mues die Worte voller erheiternder Erbauung, die einem urplötzlich
bitter schmeckten. Der Wiener Schmäh, dem biederen sächsischen
Humor eher unähnlich, ist tückisch, zumal wenn es summt,
gurgelt, grummelt und aus der Grabestiefe verräterisch vibriert.
Georg Katzer gilt als einer der Heroen der (ost-)deutschen
Komponistenschaft, und seine multimediale Performance Der
Maschinenmensch, im Sommer in Rheinsberg uraufgeführt,
war mit dem Kontrabassisten Matthias Bauer als überragendem
Musiker-Schauspieler einer der Höhepunkte des Festivals. In
seiner Umsetzung der berühmten La Metterieschen Schrift Lhomme
machine (1748) benutzte Katzer vorzugsweise elektronische
Klänge (der Komponist saß selbst an den Reglern), montierte
Zitate, fabrizierte eine Lichtshow und spielte Filmausschnitte ein.
Es geht so aber es geht auch ganz anders, wie das Ensemble L´art
pour l´art in einem sogenannten Experimentalkonzert
(eines von vier Konzerten des Deutschen Musikrates) bewies, wo allerlei
Gerätschaften zum Klingen gebracht wurden, die ursprünglich
nicht dafür vorgesehen waren. Der Erfinder des Wäscheständers,
gewiss ein Deutscher, aber leider unbenamt, hatte anderes im Sinn,
denn als Klangerzeugungsgerätschaft nebst Geigenbogen und Geige
herzuhalten. Aber es geht, es hatte sogar irgendwie Witz, als sich
Holger Klaus in der szenischen Aktion ZIP präsentierte.
Seine Unternehmung, die hart an der Kippe eines Spontan-Schabernacks
balancierte, erwies sich als ein pfiffig durchchoreografiertes Aktions-Werk.
Auch das Stück Timpani Ride des Schlagzeugers
und Perkussionisten Matthias Kaul war eigentlich gar keine L´art
pour l´art sondern eben Musik konkret am handfesten
Material. Kaul hat sich mit dem Fahrrad auseinander gesetzt,
dass er mit zahlreichen kleinen Schellen (sogenannten Timpanis)
behangen hat, und auf denen sich recht virtuos musizieren ließ.
Sein Stück war in diesem Sinne eine kleine Weltreise auf dem
Bicycle (und ein Sphärentrip mit der großen Pauke!),
dem eine durchaus erhellende Kausalzusammenhangskette vorangestellt
worden war: Fahrrad frische Luft Luft im Reifen?
Fahrradmechanik Geschwindigkeit Zauberei. Fahrrad
ein Musikinstrument meiner Kindheit. Pauke sinfonischer
Klangkörper gewichtige Tradition. Pauke Sphärenklang?
Pauke + Saite + Fahrrad = überdimensionale Drehleier.
In Dresden und dem umliegenden Sachsenlande herrschen über
bestimmte Phänomene, was kulturelle Welthöchstleistungen
betrifft, etliche weiße Löcher vor, die es nur selten
zu stopfen gelingt. Also waren im Konzert des Ensemble Intercontemporain
die Kenner und Liebhaber unter sich. Schade, denn was die Franzosen
nicht zuletzt auch an Klangsinnlichkeit boten, wäre auch für
Nicht-Spezialisten ein Ohrenschmaus gewesen. Mit dem jungen französischen
Komponisten Yan Maresz lernten wir einen exquisiten Komponisten
kennen, dessen Stück Eclipse, für Klarinette und
Ensemble eine virtuose Musiksprache offerierte, die auf einem
relativ hohen Abstraktionsniveau ganz erdige Dinge wie Jazzsounds,
Rockelemente und Minimal-Patterns ineinander fließen ließ.
Der grandiose Solist André Trouttet hatte alle Hände
voll zu tun, um die phasenweise wie Coltrane- sche Tontrauben
wirkenden Sounds zu realisieren.
Ähnlich ging es auch im zweiten Stück des Abends ab,
das als Solistenkonzert für Schlagzeug und Ensemble unterüberschrieben
war. Der korrekte Obertitel lautete Quatre Variations,
komponiert vom Franzosen Philippe Hurel und im Frühjahr erfolgreich
uraufgeführt in Paris. Auch hier durfte der schlagzeugende
Protagonist Daniel Ciampolini alles zeigen, was er virtuos drauf
hatte. In der Hauptsache verlustierte er sich am Vibraphon, das
er gelegentlich so rigoros traktierte, das man sich in einem Rockkonzert
wähnte. Nach der Pause kam Altmeister Boulez zu Wort, und zwar
mit einem Werk, das eigentlich steinalt war, dass der Meister jedoch,
wie sich das bei ihm schon regelrecht prinzipiell äußert,
in eine Endlosschleife ständiger Umarbeitung und Uminstrumentierung
eingespeist hat. ...explosante-fixe... ist mittlerweile
zu einem Stück für drei Flöten, von denen eine an
einen Computer angeschlossen ist, für Holzbläserensemble,
für Blechbläser und für Streicher mutiert. Es entpuppte
sich als ein starkes Stück, das vom Kopf in den
Bauch gewandert war.
Allerorten mehren sich die Stimmen, dass es nicht gut um unsere
Welt bestellt sei. Die echten Apokalyptiker rechnen stündlich
mit dem Untergang, und der versprengte Rest von Künstlern als
Mahner schaffen Werke, die nichts mehr beschönigen. So der
Dresdner Komponist Wilfried Jentzsch, dessen Apokalyptische
Vision 2000, ein Werk für Chor, Sprechstimme und elektronische
Klänge, unter reger Publikumsbeteiligung in der Kreuzkirche
uraufgeführt wurde. Ein eminent schwieriges Werk, das den jungen
Sängern des Kreuzchores und dem Kreuzkantor Roderich Kreile
jede Menge abverlangte. Aber sie kamen mit den ungewohnten Anforderungen
gut zurecht und absolvierten ihren Part außerordentlich eindringlich,
so dass die beabsichtige Wirkung nicht ausblieb.