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nmz-archiv
nmz 2000/12 | Seite 33
49. Jahrgang | Dez./Jan.
Oper
& Konzert
Auszug aus dem Turm
Die Donaueschinger Musiktage 2000
Donaueschingen 2000, das war ein Rundlauf durch Stilarten, Ausrichtungen,
Suchbewegungen, Verirrungen, Verwirrungen und Ausblicke. Auch etwa
die Debatten vor dem europäischen Parlament wurden, in einer
Installation von Thomas Schulz, künstlerisch verwertbar. Das
freilich ist es, was ein Festival zeitgenössischer Musik leisten
soll, das sich anschickt die Scheuklappen ästhetischer Enge
endgültig abzustreifen. Pluralismus heißt ja nicht das
Kuddel-Muddel der Unsicherheit, er ist Zustandsbeschreibung einer
Gegenwart, die die sichere Bank nicht mehr kennt. Musste man vor
Jahren noch befürchten, dass sich Donaueschingen gewissermaßen
einen eigenen künstlichen Klang züchtet, so durchbrachen
diesmal zumindest die stärksten Arbeiten jegliche Vorgefasstheit.
Und davon gab es manch höchst Beachtliches.
Klänge von allen Seiten
und aus der Mitte: Mark Andrés neues Werk Modell
für fünf Orchestergruppen erhielt bei den Donaueschinger
Musiktagen viel Beifall. Die Komposition ähnelt eher
einer Klanginstallation, in der man umher wandern müsste,
um sie komplett zu erfassen. Foto: Charlotte Oswald
Der Organisator der Musiktage Armin Köhler hatte diesmal im
Gegensatz zu den vorangegangenen Musiktagen kein Motto ausgegeben.
Doch er sprach davon, dass sich dennoch Hierarchien im gegenwärtigen
Musikschaffen gleichsam von selbst herausgebildet hätten. Als
maßgeblichen Punkt benannte er hierbei die Rolle des Raums,
also das Ausloten dieser Dimension im kompositorischen wie interpretatorischen
Prozess. Nun ist dies freilich längst keine sich selbst genügende
Kategorie mehr. Auch wenn immer wieder die Dimension des Raumes
im schöpferischen Prozess Berücksichtigung findet, nimmt
sie doch gerade in den stärksten Arbeiten den Stellenwert des
Akzessorischen ein. Und die beiden Kompositionen, die mit besonderer
Intensität darauf rekurrierten, nämlich Mark Andrés
Orchesterkomposition Modell und Jörg Mainkas großdimensioniertes
Werk Tutti, zählten keineswegs zu den Kompositionen,
denen man den Charakter eines Durchbruchs zu neuen Dimensionen,
zu neuen Hörweisen bescheinigen wollte. Beide wirkten leicht
angegilbt, technisch verbraucht was wieder einmal nachdrücklich
auf die längst eingesehene Tatsache verwies, dass nur materiales
Denken (auch wenn es sich an Äußerem, etwa atomaren Zerfallsprozessen
bei André oder architektonischen Strukturen bei Mainka, reibt)
nicht mehr hinreicht, neue Musik aus ihren Engen hinaus zu führen.
Doch ein anderer, mindestens ebenso nachdrücklich auf sich
aufmerksam machender Punkt, charakterisierte weit nachhaltiger die
diesjährigen Donaueschinger Musiktage. Hier wurden für
mein Dafürhalten wirklich neue Pforten aufgestoßen. Musik
nämlich wird geschrieben, die nachdrücklich den Kontakt
zu gesellschaflichen Bedingungen, zu Formen gegenwärtiger Existenz
sucht. Neue Musik findet sich nicht mehr ab mit dem Status quo von
Unhinterfragbarkeit, sie bringt sich ein, stellt sich, treibt an
eigene existenzielle Grenzen (das ist wohl auch so bei den meisten
starken Arbeiten der letzten 50 Jahre, doch eine Woge von technizistischen
Binnendebatten war darüber hinweg geschwappt und klemmte häufig
die Luft zu solcher Befreiung ab). Der Klang ist Mittel, er transportiert
Haltung und Stellungnahme. Das tut gut in der immer noch dünnen
Luft der Moderne.
Direktheit und Härte
Direktheit und Härte bis jenseits der psychischen Schmerzensgrenze
boten zum Beispiel Olga Neuwirth zusammen mit dem Filmemacher Michael
Kreihsl im Projekt The Long Rain nach einer Science-Fiction-Erzählung
von Ray Bradbury. Belastung durch unaufhörlich prasselnden
Regen, quallig aufweichende Gestalten und Gehirne, die nicht mehr
mit wollen. Hierzu trat die Musik attackenartig in Korrespondenz.
Klang und Bild entwarfen eine packende Probe des Aushaltbaren, sie
gingen der Frage nach, wie viel eines Reizes verarbeitbar ist, wann
er umschlägt in Mechanismen der Abwehr oder der Verweigerung.
Und dass immer wieder, wie durch Fenster Ausblicke auf Regionen
der Stille, des sanften Erlebens, der Trockenheit geworfen wurden,
vertiefte nur die Situation der existenziellen Auswegslosigkeit.
Olga Neuwirth hat fraglos eine ihrer beklemmendsten Partituren vorgelegt.
Klar, hart, unausweichlich.
Es mag bezeichnend für die ganzen diesjährigen Donaueschinger
Musiktage sein, dass im gleichen Konzert, vor den terroristischen
Attacken Kreihsls und Neuwirths ein Chorstück nach Thoreau
des Pragers Martin Smolka stand, das in seiner Natur- und Schönheits-Begierde
polar entgegengesetzt war: Walden, The Distiller of Celestial
Dews. Smolka merkte an: Das Stück basiert auf David
Thoreaus berühmtem Buch Walden. Es ist eine Art
Manifest über Zurück zur Natur und über
die Vereinfachung der Welt aber nicht nur dies, sondern auch
über die Wiederbelebung der inneren Kraft menschlichen Seins,
über die Verbindungen zu den natürlichen Quellen, zum
Universum. Das ganze Buch spricht davon und meine musikalische Sprache
versucht auch zu vereinfachen, hin zum Singen, zu schönen Klängen,
jedoch ohne musikgeschichtliche Klischees zu wiederholen.
Es waren wunderbar einfache, tonal simple Linien, zugleich horrend
schwer vorzutragen. Denn sie waren mikrotonal leicht verschoben,
zum Beispiel durch Sechsteltöne, die dem SWR-Vokalensemble
unter Rupert Huber alles abforderten. Thoreaus Forderung nach sich
selbst entäußernder Einfachheit, die zugleich ein Extrem
an innerer Kraft verlangen, zog auf diese Art direkt in die musikalische
Sprache ein.
Forderung nach sich selbst
entäußernder Einfachheit
Solche Ansätze mit vielerlei Akzenten und Gewichtungen, weiteten
immer wieder die Donaueschinger Musiktage ins Offene. Zu verweisen
wäre etwa auf Manos Tsangaris Relief oder die Buchstabenrevolte,
ein virtuos witziger Komplex aus Sprachverwirrung, aus Reiz-Reaktions-Mechanismen
zwischen geschriebenem, gesprochenem und klanglich verunsicherten
Texten. Ein Eintauchen in eine Welt der Fragezeichen, die ihre Lichtkegel
immer wieder hinter die Oberflächen-Realität des Vertrauten
richtete. Ähnlich verunsichernd, auch was die Funktion orchestralen
Spiels betrifft, wirkten Peter Ablingers Quadraturen V.
Sie waren computerverdichtete Verhebungen von Phrasen aus Eislers
DDR-Nationalhymne, die die Kontur der Musik wie in einer umgegossenen
Wachsform ablieferten und Fragen nach der Unkenntlichkeit des Kenntlichen
stellten. Schlagworte wie die der Komplexität stellten sich
in dieser merkwürdig andersartigen, fremd-nahen Orchesterkomposition
auf ganz neue Art.
Vinko Globokar, der das große Abschluss-Stück lieferte,
hob diesen Gesichtspunkt auch in seinem Programmtext hervor: Komponieren
heute sucht mehr denn je Halt und Kraft an einem von Außen
kommenden Aspekt. Globokar griff wie übrigens
jüngst auch der Komponist Claus-Steffen Mahnkopf bei der Münchener
Biennale auf Walter Benjamins Deutung von Paul Klees Angelus
Novus zurück und schrieb ein in Collagen und Überlagerungen
verzweifeltes politisches Bild der Zerstörung Jugoslawiens
durch bornierten Rassenhass und wohl nicht nur Jugoslawiens.
Freilich: Manches hier wäre wohl noch aggressiver und härter
in der Darbietung zu wünschen gewesen, Sylvain Cambreling und
das SWR-Sinfonieorchester Baden-Baden und Freiburg zeigten gegenüber
der verbitterten Partitur noch zu viel Zurückhaltung
wie übrigens auch der verschämt über den Köpfen
des Publikums an die Decke gehängte Stacheldraht, der eigentlich
nach Globokars Vorstellung das Publikum in zwei unversöhnliche
Sektionen hätte trennen sollen.
Globokar jedenfalls schrieb eine hochverdichtete Partitur für
zwei Orchester, die mit dem gleichen Vokabular hantieren, zugleich
aber unversöhnlich voneinander getrennt sind. Raumkomposition
ist das schon, aber es ist weit mehr. Soll man sagen, dass die Politik
das eingeholt hat, was die musikalische Avantgarde modellhaft entwickelte?
Das getrennte Nebeneinander von Systemen, die nicht mehr gemeinsam
agieren können; die mit militärischem Schritt, mit Klageliedern,
mit Alarm und Drill ähnliches durchmachen und dennoch keine
Gemeinsamkeit mehr finden? Globokars gnadenloser Engel der
Geschichte jedenfalls nimmt rückhaltlos Bezug auf unsere
Realität. Und die Musik, indem sie von ihr spricht, wächst
zum erschütternden Bild.
Solche Konkretionen sind wichtige Schritte, der Neuen Musik wieder
eine Relevanz zu verleihen, die über das Interesse an der nackten
Struktur hinaus geht. Neue Musik, so konzipiert, so angetrieben,
tritt spürbar aus der Region der ehemals selbstverordneten
Isolierung heraus. Donaueschingen hat in vielseitigem Aufriss diese
Zeichen der Zeit erkannt und nachdrücklich darauf verwiesen.