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nmz-archiv
nmz 2000/12 | Seite 36
49. Jahrgang | Dez./Jan.
Oper
& Konzert
In den Abgründen klaustrophobischer Beengung
Zu Aribert Reimanns Oper Bernarda Albas Haus in München
Es ist fraglos eines der bittersten Stücke des spanischen
Dramatikers Federico Garcia Lorca. So bitter deshalb, weil es illusionslos
die Gesellschaft auf den Seziertisch legt und gleichsam in isolierter
Versuchsanordnung betrachtet, wie sie sich unter gegebenen Voraussetzungen
entwickelt.
Dass es sich bei den Protagonisen ausschließlich um Frauen
handelt Mutter, fünf Töchter, irrsinnige Großmutter
und zwei Bedienstete , verstärkt im Grunde nur die analytische
Schärfe. Eingeschlossen in einem Haus zu achtjähriger
Trauer um den eben verstorbenen zweiten Mann der Hausherrin Bernarda,
kulminieren schon von Anbeginn an die Widersprüche aus sozialen
Schieflagen, Hierarchien und einlösbaren und uneinlösbaren
sexuellen Sehnsüchten. Nur die infantil wahnsinnige Großmutter
weiß von Beginn an, dass alles ins unerfüllt Desaströse
laufen wird. Denn ihr ins Schmale fokussierter Verstand sieht klarer
die Verhältnisse, die Versuchsanordnung ist ihr obendrein wohl
aus eigener Erinnerung nicht fremd. Und Garcia Lorca analysiert,
dass eine Gesellschaft in eng gemachten Verhältnissen, in festgeschriebenen
Machtstrukturen unweigerlich Formen der Erniedrigung, des Hasses,
der Ellbogenmentalität, schlicht also faschistoide Formen produziert.
Gefangen zwischen allen Stühlen:
Bernarda Alba und ihre Töchter. Foto: Winfried E. Rabanus
Aribert Reimann hat diesen Stoff finden müssen. Alles, was
ihn immer schon in Beschlag nahm, ist hier brennpunktartig versammelt:
psychische Ausnahmesituationen, klaustrophobische Engen, verdrängte
und zum Ausbruch losgelassene Triebe, Herrschaftsstrukturen, die
wie ein Damoklesschwert über den Köpfen hängen, Abgründe.
Noch eines muss auf ihn ein besonderes Faszinosum ausgeübt
haben: die Fülle unterschiedlich zu differenzierender weiblicher
Stimmen. Schon seine Troades waren eine Oper fast einzig
aus der Perspektive der unterjochten Frau. Jetzt gab ihm Lorca ein
Stück an die Hand, bei dem alles auf die Frau in der Spannweite
zwischen 20 und 80 Jahren hinausläuft. Versteht man den Begriff
des Musiktheaters oder der Oper so, wie es Reimann tut, dann konnte
ihn dieser Stoff nicht mehr loslassen.
Denn Reimann bleibt sich treu, vielleicht kann man auch sagen,
er bleibt konventionell. Musiktheater ist ihm immer schon das vertiefende
Ausbreiten psychischer Spannungskonflikte auf der Bühne, wobei
der Musik die maßgebliche Rolle eben dieses Vertiefens zukommt.
Sie schärft die Charaktere, sie legt untergründige Seelenstrukturen
offen, sie übernimmt die Aufgabe, das nicht Auszusprechende,
gleichwohl hintergründig Spürbare klanglich zu illuminieren
und abzuschmecken. Und hierfür hat sich Reimann ein technisches
Reservoir der Ausdrucksmittel angelegt oder erarbeitet wie kaum
ein zweiter Komponist heute. Und es ist ihm hoch anzurechnen, dass
er diese Mittel nie mechanisch abruft, sondern sie stets am neuen
Sujet wetzt, sie ganz frisch und neu erobert. Jedes Mal liegen die
Dinge anders, und Reimann ist demgegenüber wach geblieben.
Bernarda Albas Haus ist eine karge Oper. Schon der
Klangapparat zeichnet sich durch Verzicht aus. Harte Klavierklänge
herrschen vor, unterminiert und ausgeweitet hauptsächlich von
klanglich vielschichtig strukturierten Holzbläsern. Das Blech
setzt allein schroffe Akzente, die Streicher sind auf zwölf
Celli zusammengestrichen, das Schlagwerk als zeitgemäßer
Kitt des Klangs ist eliminiert. Die Anforderungen an die Solisten
ist extrem. Der Sprung weit über die Oktave hinaus wird zur
Regel fast jeder melodischen Führung, die körperliche
Anspannung dabei korrespondiert zur seelischen. Merkwürdigerweise
nähern sich solch angespannte Gesangslinien auch wieder einem
exaltierten, gleichsam verzerrten Sprachgestus an. So trägt
Reimanns Musik durch die zwei Stunden (ohne Pause), hält die
Spannung und wagt damit einen Rettungsversuch der Handlungsoper,
die gleichwohl ihr Zentrum in der Zeichnung extremer Spannungszustände
und weniger in der Ausbreitung des dramatischen Fortgangs hat. Freilich
wirft Reimann ein anderes Licht auf Lorcas Intentionen, weg von
der seziermesserartigen Gesellschaftsanalyse, hin zu den fraglos
damit verknüpften psychologischen Binnenereignissen.
Zur Regie Harry Kupfers ist nur wenig anzumerken. Das Bühnenbild
(Franz Schlößmann) mit seinen grellen Weißtönen
und mit Stühlen an allen fünf Bühnenwänden zeichnet
Enge und verstuhlte Verstellung; die Idee ist hübsch
ohne größere Tiefendimensionen zu entwerfen. In der Personenführung
der dunkel gekleideten Frauen beschränkt sich Kupfer auf wenige
markante Zeichen, er weiß, dass eine Uraufführung von
der Inszenierung her noch offen zu halten ist. Hervorzuheben ist
freilich die exorbitante sängerische Leistung (insbesondere
eine herbe, etwas angestrengt wirkende Helga Dernesch als Bernarda,
Claudia Barainsky als aufbegehrende Martirio, Anna Korondi als sinnlich
ausbrechende Adela und die Sprechrolle Inge Kellers als fahl irrlichternde
Mutter Bernardas) vor allem aber die orchestrale Präsenz des
Staatsorchesters unter seinem Chef Zubin Metha. Reimanns Partitur
klingt.