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nmz-archiv
nmz 2000/12 | Seite 4
49. Jahrgang | Dez./Jan.
Cluster
Böse Onkels und die Leitkultur
Die Welt ist rund. Da ist es ein unerträglicher Anachronismus,
plötzlich von einer Tradition zu reden, die man sich im Gewirr
der universalen Netze einfach erfindet: deutsche Leitkultur schallt
es da aus den politischen Provinzhirnen. Und dabei ist man sich
ja nicht einmal im Klaren, wie es denn um unsere Kulturlandschaft
bestellt ist. Da gibt es zum Beispiel sogenannte national
befreite Zonen, Versuche deutsche Musik im Radio
über die Quote zu emanzipieren. Kann eine so verdorbene
Kultur zur Leitkultur avancieren? Wohl kaum.
Es sind übrigens die gleichen Leithammel, die voller Angst
und Schrecken auf die letzten Worte des Staatsministers für
Kultur Michael Naumann reagieren, der den Begriff der Kulturhoheit
der Länder als Verfassungsfolklore bezeichnet hat. Und von
wem lässt sich unsere Bravo-Jugend leiten: Von der Kelly-Family,
von Lara Croft und zu einem nicht geringen, aber gewalttätigen
Teil von einer enthirnten braunen Brut. Napster macht es möglich,
partiell den musikalischen Geschmack dieser Jugend quasi zu scannen.
So fand man bei einem User mit dem Namen Megavolt99
neben Otto, den Toten Hosen, den Guano Apes und Mike Oldfield, Fury
in the Slaugtherhouse und den Cranberries auch die Nationalhymne
der DDR und eine ganze Menge Material von Bands wie Kraftschlag
(New White Order, Racemixer, Rasse
und Nation, Klansmen) oder Störkraft (Mein
Opa war Sturmführer), aber auch den rechten Liedermacher
der NPD, Frank Rennicke (Und Adolf ist immer dabei).
Ist das nicht ein realistischerer Blick auf die aktuelle deutsche
Kultur?
Aber die Lösung ist ja auch typisch deutsch: Katze in den
Sack und weg ist sie. Was man nicht sieht, das gibt es auch nicht.
So einfach kann das Leben sein, wenn man will. Und ganz nebenbei
Leitkultur hin oder her nach Deutschland zieht es
sowieso keinen aus dem Ausland. Die Greencard (oder wie unsere deutschen
Leitkulturmacher sagen: die grüne Karte) ist ein
eher schlechter Witz, eine peinliche Sache. Gastfreundschaft gehört
nun mal nicht zu den Tugenden der Deutschen, leider.