[an error occurred while processing this directive]
nmz-archiv
nmz 2000/12 | Seite 52-53
49. Jahrgang | Dez./Jan.
Das aktuelle Musikbuch
& neue Noten
Buchumfrage
Wissenschaft und Forschung
Pamela
M. Potter: Die deutscheste der Künste. Musikwissenschaft und
Gesellschaft von der Weimarer Republik bis zum Ende des Dritten
Reichs. Aus dem Amerikanischen von Wolfram Ette, Stuttgart (Klett-Cotta)
2000, 416 Seiten.
Die gründliche Studie der Amerikanerin Pamela M. Potter liefert
weitere Beweise für die Tatsache, wie sehr das Bildungsbürgertum
dem völkischen Zeitgeist verpflichtet war und welche wichtigen
Vorspanndienste es dem Nationalsozialismus geliefert hat. Wo ihre
Repräsentanten den Lockungen des Systems nicht gänzlich
erlagen, setzte die deutsche Musikwissenschaft durch Mitläufertum
und Anbiederung bereitwillig ihre Integrität aufs Spiel. Prof. Dr. Michael Karbaum, Geschäftsführer der GEMA-Stiftung
Pierre
Boulez: Leitlinien. Deutsch von Josef Häusler, Bärenreiter-Metzler/Kassel
2000; 450 S.; 68 Mark.
Das Buch, Häuslers Übersetzung der Vorlesungen, die Pierre
Boulez seit 1976 am Collège de France gehalten hat und die
1989 in Paris unter dem Titel Jalons erschienen sind,
ist wie seine Musik: Nach außen streng und kompromisslos,
nach innen voller Freiheit. Mit Boulez Worten: Ich glaube,
dass die absolute Notwendigkeit der Sprache ihre Einheit ist... Prof Dr. Cluytus Gottwald, Ditzingen
Gerhard
Scheit: Verborgener Staat, lebendiges Geld. Zur Dramaturgie des
Antisemitismus. Ca ira, Freiburg i. Br. 1999, 587 S.
Ein großer Wurf, der Elemente des Antisemitismus auch dort
findet, wo man ihn kaum vermuten würde. Stofflich im Zentrum
stehen Theaterstücke vom europäischen Mittelalter bis
zur Gegenwart. Aber immer wieder, ob Passionsspiel, Bach-Passion
oder Wagners Bühnenweihfestspiel, kommt Scheit
zu treffenden bis bestürzenden Erkenntnissen, wie weit verbreitet
und selbstverständlich antisemitische Denkfiguren und künstlerische
Gestaltungsmittel waren und sind. Dem Fall Wagner, prominent
durch Ausmaß, Penetranz und Brutalität des Antisemitismus
wie durch Rang und Ausstrahlung des Werks, ist dabei ein ganzes
Kapitel gewidmet. Im Kern steht immer die Personifikation (als Projektion
jeweils eigener negativer Regungen, als Sündenbock u.ä.)
des abstrakten gesellschaftlichen Reichtum, des Geldes, dem in dem
Juden eine im Wortsinn greifbar-angreifbare Gestalt gegeben
wird. Sein Unterfangen nennt Scheit grimmig-paradox eine Kulturgeschichte
der Barbarei. Methoden wie Ergebnisse und Erkenntnisse seines
Überblicks könnten, ernst genommen und weitergedacht,
einen kleinen Beitrag zur Überwindung dieser Barbarei und zur
Entwicklung humaner Zivilisation bilden. Prof. Dr. Hanns-Werner Heister, Hochschule für Musik und
Theater Hamburg
Cornelis
Witthoefft (Hg.): Komponisten in Theresienstadt; 2. erw. Aufl.,
Initiative Hans Krása/Hamburg 1999; 100S.; 24,80 Mark.
Der Stuttgarter Dirigent und künstlerische Leiter der Hans
Krása Initiative, Cornelis Witthoefft, steuerte Beiträge
über Hans Krása und Karel Reiner bei, der Musikwissenschaftler
Ingo Schultz porträtierte Siegmund Schul und Viktor Ullmann,
der Chefdramaturg der Staatsoper Prag, Pavel Eckstein (gest. im
Juli 1999), macht mit Pavel Haas bekannt und der Komponist und Musikwissenschaftler
Milan Slavický stellt Gideon Klein vor. Eine Chronologie
von Theresienstadt mitsamt den wichtigsten musikalischen Ereignissen,
eine Auswahlbibliografie und Werkverzeichnisse der Theresienstädter
Komponisten runden die Publikation ab. Erschütternde Berichte
und die Entdeckung großer Komponisten. Vor allem (für
mich): Gideon Klein (19191945). Ein Muss für alle Musikschulen,
Musikhochschulen und Schulen. Prof. Peter Michael Hamel, Komponist
Rita
Ottens/Joel Rubin: Klezmer-Musik Vom Schtetl nach New York;
Bärenreiter/Kassel; 336 S.; 19,90 Mark.
Die Autoren zeichnen eine Entwicklungslinie, die sich durch mehrere
Jahrhunderte zieht und von Europa nach Amerika führt. Dem Leser
bietet sich das facettenreiche, historisch und musikwissenschaftlich
fundierte Bild einer Musik, die wirkliche Weltmusik und nicht nur
World Music ist. Prof. Peter Michael Hamel, Komponist
Curt
Sachs: Eine Weltgeschichte des Tanzes; Olms/Hildesheim New
York 1992.
Langersehnt endlich wieder lieferbar. Hans-Joachim Hespos, Komponist
Boris
Groys: Unter Verdacht; Hauser/München Wien; 232
S.; 36 Mark.
Origineller Denkansatz zur Kunst des 20. Jahrhunderts. Stichworte:
medienontologischer Verdacht, philosophischer Zweifel, Phänomenologie
der medialen Aufrichtigkeit... Der Verdacht ist das
Medium. Prof. Nicolaus A. Huber, Komponist
Hans
Mayer: Gelebte Musik. Erinnerungen und Charakteristik; Suhrkamp
Verlag/Frankfurt a.M. 1999; 39,90 Mark
Hans Mayer erinnert sich als Jahrhundertzeuge: Er hat vieles gehört,
vieles erfüllt, hat alles verstanden und die geliebte Fähigkeit,
Musik dem Leser so nahe bringen zu können, wie Worte dies überhaupt
vermögen. Prof. Dr. Reinhold Kreile, Vorstandsvorsitzender und Generaldirektor
der GEMA
Carl
Dahlhaus/Norbert Müller: Europäische Romantik in der Musik.
Band 1: Oper und sinfonischer Stil 17701820; Metzler/Stuttgart-Weimar
1999; 148 Mark.
Wissenschaftlicher Eros und stimm- und operngläubige Leidenschaft
verbinden sich in diesem faszinierenden Buch über die europäische
Romantik in der Musik: Wer damals dabei sein wollte, ist es, wenn
er Dahlhaus/Müller liest. Prof. Dr. Reinhold Kreile
Axel
Beer: Musik zwischen Komponist, Verlag und Publikum; Hans- Schneider
Verlag/Tutzing 1998; 148 Mark.
Wie fesselnd historische Musikwissenschaft sein kann, zeigt diese
umfassende Darstellung der Rahmenbedingungen des Musikschaffens
in Deutschland im ersten Drittel des 19. Jahrhunderts. Musik muss
aufgeführt werden, ihr Publikum finden. Dabei sind für
den Komponisten des 19. Jahrhunderts die Verlage und Konzertagenturen
unerlässlich; und zwar ebenso für die Großmeister
wie Beethoven wie auch für die unzähligen Kleinmeister.
Prof. Dr. Reinhold Kreile
Nicolaus
A. Huber: Durchleuchtungen, Breitkopf & Härtel, Wiesbaden
2000.
In dieser Textsammlung dominieren präzise und nachvollziehenswerte
Bemerkungen beziehungsweise Dokumentierungen von kompositorischem
Schaffen und damit verbundenen Nachdenkprozessen auf höchstem
und aktuellstem Niveau. Prof. Helmut Lachenmann, Komponist
Susanne
Vill (Hg.): Das Weib der Zukunft. Frauengestalten und Frauenstimmen
bei Richard Wagner; Stuttgart-Weimar/Metzler 2000; 50 Mark.
Erster ernsthafter Versuch, die Frauengestalten in Wagners Opern
vorurteilsfrei und mit Blick auf die Geschichte und Tradition zu
erklären. Die verschiedenen Herangehensweisen machen den Band
lesenswert. Prof. Dr. Eva Rieger, Universität Bremen
Simone
Mahrenholz: Musik und Erkenntnis, Verlag J.B. Metzler
1998.
Einer der wenigen geglückten Versuche, sich dem nonverbalen
Erkenntnisangebot der Musik sprachlich zu stellen und gewachsen
zu zeigen. Prof. Wolfgang Rihm, Komponist