[an error occurred while processing this directive]
nmz-archiv
nmz 2000/12 | Seite 53
49. Jahrgang | Dez./Jan.
Das aktuelle Musikbuch
& neue Noten
Musik zum Lesen und Durchblättern
Robert Adzerballs Hannibal Verlag unter neuer Führung
Nach 20 Jahren harter Arbeit unter dem Motto Musik zum Lesen
verabschiedet sich Robert Adzerball, Begründer und Verfechter
von Pop-, Rock- und Jazz-Büchern, in den Ruhestand und übergab
im August 2000 den Verlag an Koch International und an seinen Nachfolger
Manfred Gillig-Degrave, der dem Hannibal Verlag bereits seit Jahren
als Lektor und Berater zur Seite stand. Aus dem umfangreichen Verlagsprogramm,
das pünktlich zur Buchmesse präsentiert wurde, seien nachfolgend
ein paar Beispiele herausgegriffen.
Lucy
Ellis/Bryony Sutherland: Tom Jones. Der Tiger aus Wales, aus
dem Englischen von Ingeborg Schober/Harald von Wieckowski, geb.,
320 Seiten, 60 S/W-Fotos, Diskografie, 49,80 Mark.
Er ist einer der wenigen seiner Generation immerhin ist
er seit 1964 als Sänger unterwegs , der es immer noch
schafft, dass 16- und 60-Jährige anfangen zu tanzen, sobald
seine sexy Stimme ertönt, und am liebsten ihre Höschen
auf die Bühne werfen würden. Die Rede ist natürlich
vom Tiger aus Wales: Tom Jones, der an der Schwelle zum neuen Jahrtausend
mit seinem Album Reload und dem Hit Sex-Bomb ein weltweites
furioses Come-Back einfahren konnte. Ich erfinde mich für
jede Generation neu, kommentiert The Voice diese
Entwicklung mit Stolz.
Die Londoner Journalistinnen Lucy Ellis und Bryony Sutherland
hatten es nicht leicht mit ihrer Biografie, denn beharrlich entzog
sich Tom Jones allen persönlichen Befragungen, dafür konnten
sie aber zahlreiche Mitarbeiter, Familienmitglieder, alte Freunde
und Größen aus dem Showbiz für sich gewinnen. Entstanden
ist ein farbiges, glamouröses und spannendes Porträt eines
Junggeblieben, der trotz allen Ruhmes im Grunde seines Herzens noch
tief in der kleinen Bergarbeiterwelt seiner Heimat verwurzelt ist.
Die Fotos geben ebenfalls tiefe Einblicke in die Welt zwischen Glitzer-Stars
und Familienleben (Jones ist immer noch mit seiner ersten Frau Linda
verheiratet) und zeigen Tom etwa mit Elvis Presley, den Supremes,
den Blossoms oder Robbie Williams. Ein definitives Werk, das unterhaltsame
Klatschgeschichten mit detailliertem zeitgeschichtlichen Info-Material
verbindet.
Stuart
Maconie: Blur. 3162 Tage die offizielle Biografie, aus
dem Englischen von Kirsten Borchardt, 350 Seiten, 8 S/W, 8 farbige
Abbildungen, Diskografie, 35,- Mark.
Sie sind neben Oasis die berühmteste und umschwärmteste
Britpop-Band der Neunziger: Blur. Ihr Album Parklife
und ihre Hits Song 2 oder Girls And Boys
machten sie zu Vorreitern und Chart-Stürmern. Die Presse stilisierte
den Wettkampf zwischen Oasis und Blur zum Bandenkrieg
hoch: Oasis als böse Buben in der Nachfolge der Stones und
Blur als die künstlerisch anspruchsvolleren, sonnigeren Beatles-Nachfolger.
Doch aus diesem Korsett konnten sie sich mit ihren letzten beiden
rockigeren Alben erfolgreich befreien. Der Journalist Stuart Maconie
verfolgte den Werdegang der vier Jungs von Anfang an, und hat es
geschafft, dass neben Kollegen, Managern und Freundinnen auch die
Musiker selbst mit eigenen Worten von ihrer Karriere und dem Privatleben
erzählen, was diese Biografie authentisch und lebendig macht.
Sehr private Fotos vervollständigen die Chronik.
Ira
Nadel: Leonard Cohen. Ein Leben für die Poesie, aus dem
Amerikanischen von Bernd Oehler, geb., 200 Seiten, 20 S/W-Fotos,
Diskografie, 34,- Mark.
Düster und melancholisch, erfüllt von Todessehnsucht
und einer unstillbaren Sehnsucht nach Leben und Lust, so könnte
man kurz und unzureichend den Gedichte- und Lieder-Kosmos
des kanadischen Poeten Leonard Cohen beschreiben. Ira Nadel zeichnet
in seiner Biografie die Entwicklung dieser Kunst nach, von den Anfängen
als Kind wohlhabender, gläubiger Juden in Montreal über
seine ersten Erfolge als Dichter bis hin zum umschwärmten Pop-Star,
der inzwischen in einem buddhistischen Kloster in Kalifornien lebt.
Cohen kommt dabei selbst zu Wort: Zitate glücklicherweise
im Original aus dem dichterischen Werk und Liedtexte ergänzen
Cohens Nachforschungen und vermitteln aufschlussreiche Einblicke
in die Gedankenwelt dieses Dichters der gebrochenen Gefühle.
Christopher
Sandford: Sting. Die definitive Biografie, aus dem Englischen
von Mark Bloemeke, 300 Seiten, 16 Seiten S/W-Fotos, Diskografie,
35 Mark.
Sting zählt unbestritten zu den wichtigsten Pop-Ikonen aller
Zeiten. Sein Biograf Christopher Sandford, bereits bekannt geworden
durch seine Bücher über Mick Jagger, Eric Clapton, Bruce
Springsteen und David Bowie, zeichnet seinen Werdegang vom armen
Milchmann-Sohn über den unzufriedenen Lehrer aus Newcastle
bis zum The Police-Mitglied und Solo-Star minutiös
und sorgfältigst recherchiert nach.
Das Bild, das dabei entsteht, ist nicht immer sonderlich sympathisch,
doch durchzogen von bewundernswertem Mut und dem unbedingten Willen,
Musik zu machen und aus der Enge der nordenglischen Küstenstadt
in den Olymp des Pop aufzusteigen. Frei nach Stings Motto: Arbeit
definiert dich. Arbeit ist dein Selbstwert. Sie ist du. Finde diese
Arbeit und du wirst glücklich. Dass dabei private Freunde
und Begleiterinnen zurückstehen müssen, scheint unvermeidlich...