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nmz-archiv
nmz 2000/12 | Seite 51
49. Jahrgang | Dez./Jan.
Das aktuelle Musikbuch
& neue Noten
Musik, die sich zum Unerhörten aufschwingt
Dokumentationsbände der Schriften von Hans-Joachim Hespos
und Nicolaus A. Huber
Hans-Joachim Hespos: ...redeZeichen...;
Texte zur Musik 1969 1999. Herausgegeben von Randoph
Eichert und Stefan Fricke. Pfau-Verlag, Saarbrücken 2000.
Von zwei der wichtigsten deutschen Komponisten aus der sogenannten
mittleren Generation (Hespos, geboren 1938, Huber, 1939) sind fast
gleichzeitig Dokumentationsbände ihrer Schriften erschienen.
Beide sind kritisch, widerständig, im Wirken unerschütterlich,
radikal. Die Radikalität aber äußerte sich bei beiden
unterschiedlich. Hespos stürmte und stürmt weitgehend
autodidaktisch von den Wurzeln auf die Gipfel, gnadenlos sich, die
Interpreten und die Zuhörer aus allen Reserven fordernd, Huber
studierte hingegen, dem eigenen politischen Antrieb gehorchend,
bei Nono und übersetzte dessen Anspruch auf musikalischen Ausdruck,
auf musikalische Aussage ins eigene Ideom. Beide ziehen an einem
Strang, in manchem verwandt, in vielem grundverschieden. Die beiden
Bände fordern zum Gegenlesen geradezu heraus.
Hespos ist nicht nur Komponist, er ist auch Sprach-Künstler.
In seinen Partituren wimmelt es von Wortanarchien, die in ihrer
Verschraubung die Intention punktgenau einzukreisen versuchen. Diese
verbalen Kaskaden ziehen auch in seine erläuternden Texte,
in Kommentare, in Repliken. Und fast immer steuern sie auf einen
Fixpunkt zu: auf die Mobilität, auf die Beweglichkeit des Geistes,
auf die Intensivierung der Sinne. Stillstand hier heißt für
Hespos Beerdigung menschlichen Seins. Ihm ist immer zu entkommen
in unserer klebrigen Gesellschaft. Alle Anstrengung dafür schafft
neue Überlebenspunkte.
Und so liest sich auch die ganze Textsammlung. Hespos schürft
nicht in theoretischen Grundsatzerörterungen, er will es nicht,
er kann es nicht. Immer begreift er das erläuternde Wort als
Anschub hin zum Ungedachten, als Partner seiner Musik, die sich
zum Unerhörten aufschwingt. Worte sollen Mut machen, dem faulen
Alltag Paroli zu bieten. So kann man den ganzen Band gleichsam quer
lesen, hier einen Splitter auflesen, dort eine widersinnige Wendung
mit Tiefsinn. Was man erfährt? Nichts weniger als den Mut,
sich nichts vormachen zu lassen. Das Lesen wird zum Abenteuer, zum
Spürgang für immer frischen Antrieb, für An-Stiftungen
jeglicher Couleur. Hin auf die Offenheit des Unendlichen. Wider
die Sesselfurzer und die blank herausgeputzten Administratoren der
Allerwelts-Bequemlichkeit. Ein Band der Lese-Lust.
Nicolaus A. Huber: Durchleuchtungen;
Texte zur Musik 1964 1999. Herausgegeben von Josef
Häusler. Breitkopf & Härtel, Wiesbaden 2000.
Nicolaus A. Huber ist da anders, vielleicht befangener, sicherlich
bemühter. Seine Texte lassen sich ein auf die eigenen Schwierigkeiten,
auf das Ringen um Musik, die Sinn macht, Sinn stiftet. Vor die Explosion
setzt er die Reflexion, das theoretische Tasten im Gedachten von
Bach bis in die Gegenwart. Und vieles davon trägt den Stempel
eigener Zweifel, den des permanent Unfertigen. Sprache ist ihm Mittel,
diese Widersprüche offen auszutragen. So verfolgen wir in den
Texten einen Menschen, der nichts frischwärts über die
Kante bricht, der die Erörterung sucht, der Ergebnisse an-
und ausspricht, zu denen er später gewiss Revisionen angebracht
hätte (zum Beispiel, wenn er 1978 Bergs Violinkonzert in einer
Einführung zu einem Arbeitersinfoniekonzert nach genauer Erörterung
des Begriffs Moderne, des hässlich falschen Klingens, eine
fragwürdige Versöhnung mit dem Tod attestiert). N.A. Hubers
Texte spiegeln ein schöpferisches Individuum, das unablässig
dem Machbaren nachforscht, das sich einlässt auf Hördefizite
der Gesellschaft, das die eigene Radikalität als Notwendigkeit,
damit als begreifbar, analysiert. Fraglos liest sich dieser Band
im Vergleich zu Hespos beschwerlicher. Assoziatives Springen zwischen
den Texten ist weniger möglich, da sie sich auf die Gegenstände
aus historischer und auch aus individueller Sicht heraus einlassen.
Sie breiten einen immer wieder beschwerlichen, auch schwer gemachten
Entwicklungsweg aus. Die Genauigkeit, mit der sich Huber stets auf
das von ihm Erörterte einlässt, hält immer auch die
Offenheit gegenüber neuem Überdenken wach. Die Texte geben
auf spannende Art Zeugnis von Etappen, auch von zeitbedingten Vor-Urteilen.
Vermutlich gibt gerade das Gegenlesen dieser beiden wohl eher
zufällig parallel erschienenen Dokumentationsbände ein
genaueres Bild über Sicherheiten und Unsicherheiten der Moderne,
als dies jegliche erörtende Draufsicht in einem geschichtlichen
Abriss leisten könnte.