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nmz-archiv
nmz 2000/12 | Seite 51
49. Jahrgang | Dez./Jan.
Das aktuelle Musikbuch
& neue Noten
Liebe, Schuld und Sühne
Der berühmte Sängerstreit als moderne Parabel
Franz Hodjak: Der Sängerstreit,
Suhrkamp, Frankfurt/M. 2000, 192 Seiten.
Unter den Vorzeichen der Moderne hat der rumäniendeutsche
Autor Franz Hodjak den Mythos vom Sängerwettstreit entromantisiert
und die Metaphorik der Musik radikal verändert: Eine kafkaeske
Parabel über die Rolle des Künstlers in der Diktatur ist
daraus entstanden.
Held dieses Romans ist nicht einer der legendären Sänger
wie Heinrich von Ofterdingen, Walther von der Vogelweide, Wolfram
von Eschenbach oder Tannhäuser. Im Mittelpunkt steht vielmehr
Klingsor aus Siebenbürgen, der in der mittelhochdeutschen Überlieferung
die Rolle des Schlichters inne hat. Als er auf die Wartburg kommt,
ist der Sängerstreit längst vorbei und die Burg verfallen.
Sein Gegenspieler ist der Burgherr selbst, ein Tyrann von transsilvanischer
Dämonie. Erst am Ende kommt es zum musikalischen Wettstreit
zwischen Klingsor und Walther, in dem es nur Verlierer gibt
auch die holde Kunst zählt dazu. Klingsors märchenhafte
Existenz ist die Geschichte einer Stimme, die der Sänger als
Ausdruck seines Kampfes ums nackte Überleben begreift. Seine
Wallfahrt zur thüringischen Sängerburg verläuft nicht
minder traumatisch. Wie immer ist bemerkenswert, was zwischen den
Sängerkriegen geschieht. In diesem Fall trifft Klingsor auf
eine groteske Artistenwelt, welche die Morbidität und Grausamkeit
einer dem Untergang geweihten Gesellschaftsordnung zelebriert.
Nur aus Langeweile wird Klingsor zum Sängerstreit mit Walther
herausgefordert. Walther scheint zu siegen, denn er singt das eintönige
Lied des Tyrannen. Klingsor dagegen stimmt die Melodie seiner Heimat
an die Melodie des Ekels: Ekel ist das
einzige Land, in dem es keine Gefangenen gibt, keine Morde, keine
Rache. Sein Ekel ist eine absurde Demonstration der Freiheit
gegenüber der regellosen Omnipotenz politischer Willkür.