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Als Komponist und Erzähler ist Tal Grafiker. Jedes Erinnerungsbild wird Linie. Die Summe aller Linien ergibt ein Leben. Dessen Anfang liegt in Berlin. Dreh- und Angelpunkte dort sind Musikhochschule und rabbinisches Elternhaus, sprich: Judentum und Moderne nicht als deutsch-jüdische Symbiose wie trotz Gershom Scholems klarem Widerspruch die Verklärungsformel weismachen will. Denn wo schneiden sich Parallelen? Allenfalls im unendlichen Augenblick wie ihn Josef Tal alias Gruenthal tatsächlich in einer Kindheitserinnerung aus den frühen zwanziger Jahren bewahrt hat: An der Seite des Vaters betritt er an einem Sabbat-Abend eine kleine Synagoge im damaligen Scheunenviertel. Rabbiner Dr. Julius Gruenthal, im Hauptberuf Dozent an der Hochschule für die Wissenschaft des Judentums und in dieser Eigenschaft zeitweise einem Studenten namens Franz Kafka vortragend, hat eine Vorliebe für diesen Ort. Ostjuden haben sich hier, mitten im ausgelassenen Treiben der Großstadt, ein Refugium geschaffen. Ihr Bethaus in der Grenadierstraße, so erinnert sich Tal, ist indes nicht mehr als ein Zimmer. Schmucklos. Ohne Bank und Stuhl. Einhundert Männer, pittoresk in bodenlange Kaftane gekleidet, drängen sich zusammen, ein jeder versunken in Gebet und Andacht. Gebetbücher, Vorsänger, Vorbeter sind überflüssig. Was einer für eine solche Stunde braucht, trägt er in sich.
Eigentümlicher Sprechgesang erfüllt den Raum. Jeder dieser Beter-in-Trance, so Tal, folgt seinem Rhythmus, seiner Melodie, bewegt sich in seinem Tempo und seiner Klangfarbe. Eine Kunstübung in der Nachbarschaft von Klangcollage, Sprechfuge und Ausdruckstanz. Das religiöse Sehnen als Triebmoment und Werkmeister ästhetischer Figuration, von der die Produzenten selbst kein Bewusstsein besitzen. Adornos Forderung ans künstlerische Subjekt scheint ins Bild gesetzt. Jede Stimme eine autonome Bewegung die Summe aller Stimmen ein anderes Ganzes jenseits des Horizonts der Einzelstimmen. Ein Synagogenerlebnis, eine Berliner Kinderszene von fremden Ländern und Menschen als Stimulus fürs kompositorische Bewusstsein? Zumindest stellt dieses Geschehen zwischen Improvisation und religiöser Performance den Augen- und Ohrenzeugen Josef Tal vor ein Problem: Wie der Gleichzeitigkeit ungleichzeitiger Ereignisse eine gültige Form geben? Serialismus, Aleatorik, Elektronik auch am Nebeneinander kompositorischer Schreib- und Denkweisen hat sich Tal stets gerieben, hat sie seinem Instrumentalsatz anzuverwandeln gesucht. Solche Vergleichzeitigung des Ungleichzeitigen hat freilich nicht nur kompositionstechnische Bedeutung. Ihr existenzieller Sinn ist ablesbar am Leben eines deutsch-jüdischen Künstlers, der das nazivergiftete Berlin im März 1934 verlassen muss, der als Pianist, Komponist und Musikerzieher in Israel heimisch wird, aber die Brücken in die Stadt seiner Kindheit und Jugend obwohl die Familie im Holocaust zugrunde geht nicht abbrechen lässt. Berlin-Jerusalem das ist für Josef Tal auch als Krebs ein begehbarer Weg. Der Doyen des israelischen Musiklebens ist ein Komponist von bemerkenswerter Altersproduktivität. Die erste Symphonie entsteht mit dreiundvierzig, die beiden letzten von insgesamt sechs Werken dieser Gattung mit einundachtzig Jahren. Sechs von acht Opern komponiert Tal um und nach dem sechzigsten Lebensjahr, Josef sogar erst mit dreiundachtzig Jahren. Und das geplante Folgeprojekt Ein friedlicher Ort, eine Oper über das Trauma Rostock-Lichtenhagen in allen Orten, bleibt lediglich aufgrund eines akuten Augenleidens Fragment. Eminente Altersvitalität, wohin der Blick auf das rund einhundert Opusnummern umfassende Oeuvre fällt. Weitermachen ist Pflicht, sagt Tal lakonisch über seine Arbeit. Dabei hat das Spätwerk des israelischen Komponisten nichts Verrätseltes, will nichts überwölben, schon gar nicht alles mit allem versöhnen. Eher verstärkt Josef Tal das latent Karge seiner Schreibweise. Der Blick für die Ökonomie der Mittel wird schärfer, die Intensität des Ausdrucks fast zwangsläufig größer. Dies belegen insbesondere seine in den letzten Jahren entstandenen Essays, ein insgesamt halbstündiger, für den Berliner Pianisten Jeffrey Burns komponierter Klavierzyklus: Vorwärts stürzende Quintolen-Ketten, die urplötzlich abgebremst werden, ihre Energie in Ruhepunkten freisetzen und Reflexionsräume hervorbringen, in denen nachgehört werden kann. Was ist geschehen? Wie weiter? Der Sohn des Rabbiners
so Tals auf dem deutschen Buchmarkt seit Jahren vergriffene
Autobiografie verhält sich hier wie in einem gelehrten
rabbinischen Disput. Mit einer Frage kommen, hinhören, antworten,
eine neue Frage in der Antwort heraushören. Jedem Ende wohnt
ein Anfang inne. Josef Tal ist keiner Schule zuzurechnen. Für
einen israelischen Komponisten, der 1934 ins Land kommt,
ist dies insofern bemerkenswert, als er der Faszination des nationalidentifikatorischen
Mittelmeerstils widersteht. Was Schönberg 1938
in einem Brief an Joseph Klatzkin bitter beklagt Und
jetzt will man doch in Palästina, künstlich, eine jüdische
Originalmusik erzeugen, die meine Leistungen abweist
gilt nicht für die Musik Josef Tals. Nicht, dass sich der Komponist
als Schönbergianer verstanden hätte oder verstehen würde.
Tal bewahrt auch in dieser Hinsicht Selbstständigkeit, selbst
wenn sich seine Musik immer wieder zwölftönig strukturiert.
Und dann, als die Republik bereits im Koma liegt, betritt Tal eines Tages auch das Souterrain der Berliner Musikhochschule an der Hardenbergstraße. Ein folgenreicher Besuch. Ingenieur Friedrich Trautwein hat hier seine legendäre Erfindung, das Trautonium aufgebaut, das später Hitchcocks Vögeln die Stimme leihen wird. Ein akustisches Fenster in die Welt der synthetischen Klangerzeugung ist aufgestoßen. Hindemith ist ebenso begeistert wie der damals noch in seinen Anfängen steckende Komponist Josef Tal. Wie ein Blitz traf es auch mich, so Tal über diesen Moment der Erleuchtung. Erst Jahrzehnte später kann er seine Vision praktisch werden lassen. 1961 gründet Tal an der Hebräischen Universität Jerusalem das Zentrum für elektronische Musik in Israel. Die Zeit, in der er die Kibbuzim als frei konzertierender Pianist bereist, ist da schon Vergangenheit. Tals Ruhm führt ihn von 1948 bis 1952 an die Spitze der Jerusalemer Musikakademie, 1965 in die Leitung der Musikabteilung der Hebräischen Universität. Die Ehrungen häufen sich. Doch so tief Josef Tal im israelischen Musikleben verwurzelt ist, so vielfältig die Bezugnahmen auf biblisch-jüdische Themen sind in seiner Musiksprache entwickelt er seinen europäischen Hintergrund weiter. Deren Anerkennung und Pflege ist in Europa allerdings singulär geblieben. Tals abstrakter Neoexpressionismus scheint wenig zeitgemäß. Selbst die Wiedergutmachungs-Projektionen einer Post-Tätergeneration, die in der Wendeära die Wahrnehmung des vergessenen Berthold Goldschmidt gewissermaßen aus dem Nichts bewirkten, bringen in diesem Fall keine Schubkraft hervor. So bleibt für Hörer und Interpreten allein die Musik. Doch wenn es stimmt, dass ein Künstler mit der Darstellung seiner Werke geehrt wird, hätte Josef Tal seinen Gratulanten nicht nur zum Neunzigsten vieles anzubieten. Das Kammerensemble Neue Musik Berlin bestreitet unter Anwesenheit des Komponisten eine Hommage à Josef Tal. (Berlin, 2. Dezember, 19.00 Uhr, Akademie der Künste, Hanseatenweg). Das Konzert ist Teil der Tagung Verfolgung, Rettung und Neuanfang Jüdische Musiker und Komponisten im nationalsozialistischen Deutschland und in der Emigration. Georg Beck Social Bookmarking | top | nmz-start
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