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nmz-archiv
nmz 2000/12 | Seite 30
49. Jahrgang | Dez./Jan.
IG Medien
Fachgruppe Musik
Kommunen, hört die Signale
In Berlin feilt die IG Medien an einem Tarifvertrag für
Honorarkräfte an Musikschulen
Die Einrichtung fester Stellen an den Berliner Musikschulen steht
auch weiterhin nicht in Aussicht. Deshalb ist es notwendig, für
die Lehrerinnen und Lehrer, langfristig eine andere Form der Arbeitsplatz-
und Einkommenssicherung anzustreben. Einer muss den Anfang machen:
Die Berliner Fachgruppe Musik plant, mit Unterstützung der
Bundesfachgruppe ein Pilotprojekt zur Sicherung der Freien Lehrer
an Musikschulen durchzuführen: Sie will für die große
Zahl der Honorarkräfte im Musikschulbereich einen Tarifvertrag
mit dem Land Berlin abschließen und damit einem unhaltbaren
Zustand ein Ende setzen.
Es ist längst an der Zeit, den hauptberuflich tätigen
und unfreiwillig Freien endlich ein Mindestmaß an finanzieller
und sozialer Sicherheit zu geben. Für sie fordern wir im Kern
angemessenen Kündigungsschutz, Krankheits- und Mutterschutz,
Sicherung der Stundendeputate und ein besseres Honorar. Angesichts
der bundesweiten Tendenz zu ungesicherten Beschäftigungsverhältnissen
würde dies eine große Signalwirkung auf die anderen Bundesländer
haben.
Berlin hat es nämlich wieder einmal geschafft, die Nase vorn
zu haben. Es hat unter ihren zwölf nicht nur die größte
Musikschule der Republik, sondern auch zugleich seit Jahrzehnten
mit Abstand den günstigsten Kostendeckungsgrad bei gleichzeitig
sehr hohem Versorgungsgrad der Bevölkerung. Das Rezept der
Kommunalpolitik ist denkbar einfach: Man fange gar nicht erst mit
festangestellten Lehrern an, sondern besetze den pädagogischen
Bereich konsequent mit Honorarkräften. Die sind billiger, hochgradig
abhängig vom monatlich wechselnden Stundendeputat und damit
viel besser lenkbar als solche, die sich in gesicherter
Beschäftigung wähnen.
Die rund 2000 beschäftigten Musikschullehrerinnen und -lehrer
Berlins verfügen weder über ein gesichertes, kalkulierbares
Einkommen, noch sind sie auch nur annähernd so sozial abgesichert
wie Arbeitnehmer. Wohl aber sind nach vorsichtigen Schätzungen
mindestens 1000 von ihnen arbeitnehmerähnlich.
Dieser Status bringt ihnen jedoch gerade mal ein etwas höheres
Honorar in Form ausbezahlten Urlaubsanspruches. Krank werden sollten
sie besser nicht und Kinder bekommen schon gar nicht. Zwar leistet
das Land freiwillig 80 Prozent Honorarfortzahlung ab dem vierten
Krankheitstag, aber wer weiß wie lange noch. Werdende oder
gewordene Mütter sind aus gesetzlichen Schutzbestimmungen gleich
ganz ausgeschlossen, und das Thema Alterssicherung ist tabu. Ein
trauriger Rekord also, denn er entsteht auf Kosten der finanziellen
und sozialen Sicherung derjenigen, die den guten Ruf der Musikschulen
in täglichem Einsatz erarbeiten. Fast ein Wunder, dass unter
solchen Bedingungen überhaupt ein so hochwertiges Angebot entstehen
und blühen konnte.
Wenig feste Stellen in Berlin
Nach 1945 erhielt jeder Berliner Bezirk eine eigene Musikschule.
Die unterschiedliche Entwicklung in Ost und West wirkte sich insofern
auf die Musikschulen aus, als man im Osten verstärkt auf relativ
kleine Einrichtungen mit hohem Leistungsniveau der Schülerinnen
und Schüler setzte, im Westen mehr auf Breitenbildung. Deshalb
weist die Statistik für den Osten eine hohe Zahl festangestellter
Lehrkäfte bei niedrigerem Versorgungsgrad der Bevölkerung
aus. Wegen des Auftrages zur Breitenbildung fristeten umgekehrt
die West-Berliner Musikschulen ihr Dasein sehr lange als Unterabteilung
der Volkshochschulen, wo für sie abgestellte Verwaltungskräfte
Schüleranmeldungen an freiberuflich tätige Dozentinnen
vermittelten und im Wege der Nachnutzung Schulräume für
den Unterricht organisierten. Wo dies nicht ging, wurde der Unterricht
in den Privaträumen der Honorardozenten erteilt. Das Unterrichtshonorar
wurde durch das Land festgelegt. Erst 1979 erhielten die Musikschulen
in den Bezirken den Status von eigenen Ämtern der Abteilung
Volksbildung, mit eigenen Leitern und Verwaltungsangestellten. Im
Frühjahr 1981 ersetzte das Land aufgrund einer erfolgreichen
Klage von Gewerkschaftern gegen die Honorarbegrenzungsklausel die
Vermittlungsverträge durch Dienstverträge.
Unter der Führung der GdMK (Vorläuferin der Fachgruppe
Musik) konnte in groß angelegten Aktionen und Kämpfen
der als Knebelungsvertrag konzipierte Vertrag zugunsten der Lehrkräfte
wesentlich verbessert werden. In dieser Fassung gilt er noch heute
und wird im nächsten Frühjahr 20 Jahre alt. Obwohl zwischenzeitlich
vornehmlich für Fachbereichsleitungen, dann doch überwiegend
teilzeitlich besetzte feste Stellen in den Westschulen eingerichtet
wurden, gelang es nicht, zu einer angemessenen Stellenausstattung
zu gelangen. Und wie fast überall werden die Stellen an den
Musikschulen Ost-Berlins sukzessiv reduziert und in Honorarmittel
umgewandelt. So wird also der anfallende Unterricht noch immer zu
90 Prozent von Honorarkräften erteilt, Tendenz steigend.
Die Konsequenz
Die Forderung nach deutlich mehr festen Stellen für die Berliner
Musikschulen ist durchaus nicht obsolet. Aber es wird so oder so
auch weiterhin unfreiwillig Freie geben, die vom Beruf leben, jedoch
äußerst schlecht gesichert sind. Für Honorarkräfte,
die arbeitnehmerähnliche Personen sind, kann die
Gewerkschaft mit dem Land Berlin einen Tarifvertrag nach §12a
des Tarifvertragsgesetzes (TVG) abschließen. Ein Entwurf ist
in Arbeit und steht unmittelbar vor der internen Verabschiedung.
Vor dem Hintergrund der aktuellen Debatte um Beschäftigungssicherung,
Rentenreform. Novellierung des Betriebsverfassungsgesetzes und damit
verbunden einer Neudefinition des Arbeitnehmerbegriffes sowie der
gestiegenen Bereitschaft zu gesetzlichen Regelungen für die
Musikschulen scheint der Zeitpunkt für eine erneute Tarifvertragsinitiative
günstig. Auch bei den Betroffenen und Bündnispartnern
haben wir bessere Voraussetzungen. Das Anliegen stößt
nun auch bei den nicht gewerkschaftlich organisierten Kolleginnen
auf breiteres Interesse. Und wir haben die Unterstützung der
ötv. Mit oder ohne ver.di wird sie uns mit Rat und Tat zu Seite
stehen, die Zusage ihrer Berliner Bezirksvorsitzenden Susanne Stumpenhusen
steht. Was die Bereitschaft des Landes Berlin zum Eingehen neuer
Verpflichtungen angeht, machen wir uns nichts vor. Die Haushaltslage
ist katastrophal, die Neigung der Regierung, sich möglichst
vieler Pflichten zu entledigen, groß.
Aber ebenso groß sind die Sympathie der Hauptstadtbevölkerung
für ihre Musikschulen und das fachliche Engagement der Lehrkräfte.
Ihnen wird einleuchten, warum das vehemente Eintreten der Freiberuflichen
für eine tarifliche Sicherung des Berufsstandes allemal effektiver
ist als der Gang zum Sozialamt.