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nmz-archiv
nmz 2000/12 | Seite 38
49. Jahrgang | Dez./Jan.
Jazz,
Rock, Pop
Zwischen innovativem Jazz und Breitenwirkung
Die Leipziger Jazztage gehen in ihr fünfundzwanzigstes Jahr
Die Leipziger Jazztage werden alljährlich vom jazzclub leipzig
e.V. veranstaltet, wobei die Fäden beim Künstlerischen
Leiter Bert Noglik, dem Vorsitzenden Axel Graneist und dem Geschäftsführer
Andreas Roder zusam- menlaufen. Über das wohl bedeutendste
Jazz-Festival im Osten Deutschlands sprach Barbara Lieberwirth mit
Bert Noglik.
nmz: Welchen Stellenwert räumst du den Leipziger Jazztagen
in der deutschen Jazz-Festival-Landschaft ein? Noglik: Es ist hochwahrscheinlich das bedeutendste im Osten
Deutschlands, was den zeitgenössischen Jazz anbelangt. Es ist
gelungen, das Festival innerhalb der letzten zehn Jahre so zu profilieren,
dass es überregionales Interesse hervorruft. Aber wir gestalten
es zunächst einmal für die Region und speziell für
die Stadt Leipzig. Die Zeiten, in denen mit einem großen Reisepublikum
gerechnet werden konnte, sind vorbei. Es war DDR-spezifisch, dass
die Leipziger Jazztage aus allen Bezirken der DDR besucht worden
sind.
nmz: Was unterscheidet das Leipziger von anderen Jazz-Festivals? Noglik: Die Besonderheit eines Festivals entsteht aus mehreren
Faktoren: aus der Geschichte, aus dem jeweiligen Publikum und aus
der Programmgestaltung. Es ging und geht in Leipzig um eine tragfähige
Balance unterschiedlicher Strömungen des zeitgenössischen
Jazz, also von klassischer Moderne, von Stars der Jazzszene bis
hin zum freien Experiment. Es geht mit Sicherheit nicht darum, nur
Fertiges vorzustellen, sondern wir sind bestrebt, auch eigene Projekte
zu entwickeln.
Wir picken uns nicht nur aus Tourneeangeboten fertige Programme
wie aus einem Warenhauskatalog heraus. Da wäre es nur eine
Frage des Preises, ein attraktives Programm zu machen. Aber wir
müssen mit einem begrenzten Budget arbeiten und wollen auch
eigene Projekte präsentieren. Das waren in den letzten Jahren
die musikalisch-szenischen Produktionen Survival Songs
mit David Moss, Jazz Japan und Cape Town Traveller
mit Abdullah Ibrahim. Zu den Highlights zählte die von uns
initiierte Begegnung des Pianisten Joachim Kühn mit dem Thomanerchor.
All das hat in den letzten Jahren zum Profil des Festivals beigetragen.
Ein Festival sollte eine Gesamtkonzeption oder eine Gesamtkomposition
sein.
Tango und Art Punk: die Bremer
Gruppe „Swim To Birds“ in Leipzig. Foto: nmz
nmz: 2001 gehen die Leipziger Jazztage in ihr 25. Jahr.
Der Jazz hat nicht mehr die Ventil-Funktion wie zu DDR-Zeiten. Wie
habt ihr euch nach der Wende entwickelt? Noglik: Durch die grundlegende Veränderung der Verhältnisse
war auch das Festival in seiner Existenz infrage gestellt. In den
ersten Jahren nach 1990 gab es eine gewisse Orientierungslosigkeit
innerhalb der Kulturszene und des Publikums. Allein mit dem Free-Jazz
der 70er- und 80er-Jahre wäre es nicht weiter gegangen. Andererseits
hatte Free-Jazz nicht nur eine Ventilfunktion, sondern aus dieser
Strömung heraus sind auch wieder neue Entwicklungen gewachsen.
Deren Präsentation ist nach wie vor wichtig. Aber auch die
unterschiedlichen Öffnungen und Veränderungen des Jazz
sollen vorgestellt werden, ebenso wie Wegbereiter, die aus der Tradition
kommen. Es ging darum, im Inhaltlichen und im Organisatorischen
eine Neuorientierung zu finden.
Natürlich spielen auch die kommerziellen Aspekte heute eine
ganz andere Rolle. Kommerziell zu überleben, bedeutet für
uns nicht, populistisch zu werden. Dennoch muss es gelingen, eine
bestimmte Besucherzahl zu erreichen. Eine wichtige Frage war es
auch, geeignete Räumlichkeiten zu finden. Die alte Kongresshalle
war baufällig geworden und musste schließen. Wir haben
dann Kontakte zu verschiedenen Institutionen gesucht und bei Udo
Zimmermann, der uns die Oper zum Nulltarif zur Verfügung stellt,
auch für unsere musikalischen Anliegen höchst dankenswerte
Unterstützung bekommen. Die Räumlichkeiten der Oper geben
dem Festival ein anderes Ambiente und zogen auch neue Publikumsschichten
an. Doch es bleibt schwierig, die Oper bedingt durch das
Platzvolumen mit Publikum zu füllen. Das bedeutet, Programme
zu machen, die sich über den kleinen Kreis der Kenner hinaus
auch für ein breiteres Publikum als attraktiv erweisen.
nmz: Wohin wollt ihr in Zukunft? Noglik: Wir wollen unsere mittlerweile gut erkennbare Linie
weiterverfolgen. Gleichwohl wird sich ein Festival auch immer an
den aktuellen Entwicklungen orientieren müssen.
nmz: Jazz hat ja traditionsgemäß nicht gerade
massenwirksamen Event-Charakter. Kann man davon ausgehen, dass er
immer stärker dorthin tendiert und harmoniebedürftig wird? Noglik: Da sollte man sehr Acht geben und sich immer auch
die Qualitätsfragen stellen. Gerade in einem modischen Crossover
unterschiedlichster Art geht es oft um Oberflächenerscheinungen.
Der Anspruch, der sich mit Jazz verbindet, ganz gleich in welche
Richtung es geht, sollte nicht über Bord geworfen werden.
nmz: Unüberhörbar erscheint mir eine immer stärkere
Verschmelzung des Jazz mit Pop, Klassik oder Folk. Noglik: Innerhalb der letzten zehn bis zwanzig Jahre haben
sich unterschiedlichste Korrespondenzen zwischen Jazz und ethnischen
Kulturen ergeben. Auch die Leipziger Jazztage haben solche Entwicklungen
vorgestellt. Jazz in Verbindung mit afrikanischen, orientalischen,
lateinamerikanischen und asiatischen Kulturen, auch mit folkloristischen
Traditionen Europas vom Balkan bis nach Norwegen. All das zeugt
von einer starken Vitalität, ebenso wie das, was in den Grenzbereichen
zu Rock, Funk, Fusion sowie aktueller Jugendkultur auf der einen
und zur Neuen Musik auf der anderen Seite passiert. Wir versuchen
auch, die für den jeweiligen Charakter der Musik entsprechenden
Räumlichkeiten zu finden und sind froh, über ein Menü
unterschiedlicher Veranstaltungsorte zu verfügen. Neben der
Oper sind das Klubs wie die stimmungsvollen Kellergewölbe der
Moritzbastei und die alternativ orientierte naTo, das Völkerschlachtdenkmal
für Raum-Klang-Projekte und die innerstädtischen Kirchen.
nmz: Wie finanzieren sich die Leipziger Jazztage? Noglik: Generell kann man sagen, dass es mit den Jahren nicht
leichter geworden ist. Gerade in den letzten zwei Jahren mussten
wir mit einem stark reduzierten Budget arbeiten. Es ist schon ein
erhebliches Kunststück, unter diesen Bedingungen ein interessantes
Programm zu gestalten. Die Stadt trägt das Festival nach wie
vor konstant mit, aber auch Land, Kulturstiftung Sachsen und Sponsoren
helfen bei der Finanzierung. Der Jazzclub Leipzig arbeitet mit einer
hoch motivierten und aktiven Schar ehrenamtlicher Mitarbeiterinnen
und Mitarbeiter. Aufgrund dieses engagierten Kerns an Jazzfreunden
gelingt es, für die Musiker eine besonders freundliche Atmosphäre
zu gestalten. Ohne diesen Kreis würde das Festival nicht so
reibungslos ablaufen und hätte nicht dieses Flair.