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nmz-archiv
nmz 2000/12 | Seite 6
49. Jahrgang | Dez./Jan.
Musikwirtschaft
Ros(t)ige Zeiten für Napster?
BMG will sich mit einer Allianz absichern
Für eine unerwartete Wende im mit großer Spannung verfolgten
Prozess gegen Napster sorgte Bertelsmann Thomas Middelhoff: Anstatt
weiter mit juristischen Mitteln vorzugehen, streckte man dem vermeintlichen
Erzfeind die helfende Hand hin. Denn wenn sich das Filesharing schon
nicht abstellen lässt, dann möchte man wenigstens davon
profitieren.
Konkret bedeutet das: BMG will eine Allianz mit Napster schließen
und sich aus den Reihen der Kläger verabschieden, sobald das
geplante System fertig gestellt ist. Ziel ist es, ein Businessmodell
umzusetzen, das den beliebten Tauschclient in ein kostenpflichtiges
Abo-Service umwandelt. Die übrigen Majors, von Middelhoff zur
Kooperation eingeladen, äußerten sich vorerst verhalten
postiv, werden aber ebenso wie Metallica und Dr. Dre, die beiden
Kläger aus den Reihen betroffener Künstler, weiter am
Prozess festhalten entschieden ist somit noch gar nichts.
Napster
hat einen neuen Weg der Distribution von Musik aufgezeigt, und wir
glauben, dass dies die Basis für wichtige und aufregende neue
Businessmodelle innerhalb der Musikindustrie sein wird, versuchte
Thomas Middelhoff die Skepsis, der er sogar innerhalb der amerikanischen
Bertelsmann-Tochter begegnete, zu zerstreuen. Der ewig 19-jährige
Napster-Gründer Shawn Fanning äußerte sich nicht
weniger euphorisch: Wer bisher dachte, dass Napster toll ist,
der wird schnell merken, dass es jetzt erst richtig los geht!
Wirtschaftsrechtlich gesehen handelt es sich um eine mehrheitliche
Übernahme von Napster durch Bertelsmann kolportiert
wird ein mittlerer zweistelliger Millionenbetrag. An sich ist dies
ein wenig spektakulärer Sachverhalt, denn in den letzten Monaten
zogen immer mehr New-Media Firmen den Aufkauf durch einen Multi
dem eigenen Börsegang vor. Da Filesharing jedoch generell als
großer Hoffnungsträger im elektronischen Handel gilt
und Napster die populärste auf diesem Prinzip aufbauende Online-Community
ist, könnte der Deal weit reichende Auwirkungen zeigen. Folgerichtig
wurden die Verträge auch nicht von BMG, sondern von der Bertelsmann
eCommerce Group unterzeichnet. Deren Chef Andreas Schmidt konstatierte:
Wir habens den Leuten bisher einfach viel zu schwer
gemacht, im Netz an Musik heranzukommen.
Howard King, Anwalt von Metallica und Dr. Dre, stellte dagegen
deutlich klar, dass man nicht ohne weiteres einlenken werde: Natürlich
begrüßen wir die Umwandlung in ein rechtlich gedecktes
Abo-System mit Lizenzgebühren, aber das macht die Vergangenheit
nicht ungeschehen. Ähnliche Töne gabs auch
von der RIAA-Vorsitzenden Hilary Rosen zu vernehmen: Wir freuen
uns, wenn Mitbewerber sich den geltenden Spielregeln unterwerfen.
Das Gericht muss ein für allemal klarstellen, dass Services
wie Napster im vorhinein eine Genehmigung einholen müssen.
Der Vorstoß von BMG dürfte also nicht nur Napster selbst
überrascht haben, sondern auch die übrige Plattenindustrie.
So hoch die Wogen bisher gingen, Details zum geplanten Deal gabs
nur spärliche: So wurde verlautbart, dass man sich monatliche
Abogebühren in der Höhe von rund 5 Dollar vorstellen könne,
wobei die Einnahmen auf Publisher, Labels, Musiker und Komponisten
verteilt werden sollen. Das gesamte Repertoire von BMG wird in höherer
Soundqualität als bisher in lizensierter Form zugänglich
sein wie das technisch gelöst werden soll, steht bisher
aber noch in den Sternen.
Netztopologie
Denn der größte Trumpf Napsters war bislang die zugrundeliegende
Netztopologie: so befinden sich die einzelnen Songs nicht auf einem
zentralen Server, sondern sie liegen auf den Festplatten der einzelnen
User. Hier dürfte BMG aber auf Schwierigkeiten stoßen,
denn eine gesteuerte Rechtevergabe setzt zumindest einen zentralen
Dateipool voraus. Nun rätseln Experten, wie man Filesharing
auf der einen und Abo-System auf der anderen Seite unter einen Hut
bringen will denn laut Bertelsmann soll das Prinzip des User-zu-User-Tauschs
nicht angetastet werden.
Bertelsmanns Angebot hat die Spannung um den Ausgang der Gerichtsverhandlung
deutlich gemindert denn nun dürfte endgültig klar
sein, in welche Richtung sich das Service zukünftig entwickelt.
Bereits die Forschungszusammenarbeit mit Liquid Audio ließ
derartige Pläne vermuten, selbst wenn diese noch vor wenigen
Monaten von Shawn Fanning selbst aufs heftigste dementiert wurden.
Allerdings kommt ein bedeutender Faktor ins Spiel, der BMG einen
Strich durch die Rechnung machen könnte die Napster-Community
selbst. Die reagiert bislang mit wenig Freude auf die neuen Entwicklungen
und fühlt sich in Newsgroups gar von Napster verraten.
So wurden bereits erste Aufrufe zu einem Boykott des Services,
über den noch nicht einmal was Genaues bekannt ist, laut. Zudem
existieren nach wie vor eine Reihe von Opennap-Servern, Tauschclients
der nächsten Generation wie Gnutella stehen in den Startlöchern.
Zwar schüfe eine mögliche Verurteilung von Napster einen
eindeutigen Präzedenzfall, im Fall von Gnutella oder auch FreeNet
müssten jedoch wiederum neue juristische Masstäbe angelegt
werden denn diese beiden System beruhen auf einer anderen
Logik und verzichten völlig auf zentrale Server, können
also auch nicht per Gerichtsbeschluss abgeschaltet werden.
Nun hat Napster seinen Konkurrenten aber einen ganz entscheidenden
Vorteil voraus: die Bedienung gestaltet sich sensationell einfach,
die Community, die an die Benutzung des Clients gewöhnt ist,
umfasst mittlerweile über 30 Millionen Musikliebhaber. Ob der
Großteil von ihnen zahlen wird oder auf ein anderes System
umsteigt, hängt also vom Umfang des Angebots, von seiner Verfügbarkeit,
dem gebotenen Komfort und der Usability des neuen Systems ab. Das
heißt wiederum, dass die Musikindustrie schwerst unter Zugzwang
steht nur wenn ihre Angebote attraktiver daherkommen als
illegale Systeme, besteht eine realistische Chance auf funktionierendes
Business. Und damit wird eine Entwicklung eingeleitet, die für
Musikfans eigentlich nur positiv ist und möglicherweise viel
weiter reicht, als man sich das zum jetzigen Zeitpunkt vorstellen
kann. Denn die Kooperation von Napster mit seinem ehemaligen Gegner
wird unabhängig vom Ausgang des Prozesses in jedem Fall weitergeführt.