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nmz-archiv
nmz 2000/10 | Seite 48
49. Jahrgang | Dez./Jan.
Nachschlag
Globalisierung
Wieder einmal tobt eine Grundsatzdebatte in Deutschland, ihre
Schlagworte sind Globalisierung, kulturelle Identität und
nein, das Unwort will mir nicht aus der Feder, aber Sie wissen schon.
Nun hat auch Michael Naumann kürzlich Wundersames geäußert.
Bevor er als verdienter Pionier im Amt des Staatsministers
für Kultur das bundespolitische Feld vorzeitig wieder
verlässt, wollen wir ihn zu einem Thema zur Rede stellen, das
uns auch nach seinem Abgang beschäftigen wird.
Die Globalisierung hat zur Folge, dass die verschiedenen
Kulturen intensiver aufeinander einwirken, als dies je der Fall
war, lautet Naumanns These. Zur Illustration führt er
kulinarisch das Angebot von Dönerbuden, Hamburger-Ketten und
Asia-Snacks an, musikalisch die Leitung eines berühmten deutschen
Orchesters durch einen Italiener, eines anderen durch einen Briten,
eines dritten durch einen Amerikaner. Besucher, die lange
nicht in Deutschland waren, so Naumann, mögen überrascht
sein über das internationale Bild unserer Städte.
Sehr lange müssen diese Besucher nicht mehr bei uns hereingeschaut
haben, denn auf das Ende jenes von projektierten tausend auf zwölf
Jahre reduzierten Reiches, in dem auch Kultur auf germanisches Biedermaß
gleichgeschaltet war, folgte gleich ein Boom der Internationalität,
und zwar zu allererst im Kulturleben im Theater, in den Galerien,
in der Literatur und im Musikleben allemal. In Berlin stand mit
Sergiu Celibidache ein junger Rumäne am Pult der Philharmoniker,
und der Ungar Ferenc Fricsay wurde an die Spitze des neu gegründeten
RIAS-Symphonieorchesters berufen, unter dessen vier Nachfolgern
von internationalem Rang auch keiner darauf stolz sein kann, Deutscher
zu sein.
International lief es auch in vielen anderen Städten, und
zwar seit Jahrzehnten; erinnert sei an Namen wie Georg Solti, Dean
Dixon, Rafael Kubelik oder Vaclav Neumann, die wichtige Positionen
innehatten. Nur hat das alles mit dem Prozess der Globalisierung,
wie er sich seit einem Jahrzehnt abzeichnet, wirklich gar nichts
zu tun, ebenso wenig wie die Engagements deutscher Künstler
in den USA, Japan oder Skandinavien, von den Dönerbuden ganz
zu schweigen.
Green Cards in der einen oder anderen Form für Kulturschaffende
und Aufführungen fremd-nationaler Werke hat es stets gegeben.
Künstleraustausch, Kultur-Wanderjahre und ausgedehnte Studienreisen,
jede Art von Voluntariaten und Gastspielen in immer größerem
Radius sind wichtiger Bestandteil unserer Kultur- und Kunstgeschichte;
die Biografien von Haydn und Mozart, bis zu de Falla und Prokofieff,
um nur wenige Prominente der Musikgeschichte zu nennen, belegen
dies. Immer wieder haben Komponisten ebenso wie Schriftsteller,
Maler, Architekten oder Modedesigner Beobachtungen, Eindrücke,
Impulse anderer, ihnen zunächst fremder Traditionen und Regionen
aufgenommen, haben sich daraus inspirieren lassen für ihr eigenes
uvre. So sind tatsächlich die meisten so genannten nationalen
Kulturen, nicht nur in Europa, seit Jahrhunderten geprägt von
vielfältigen interkulturellen Einflüssen, und die Kultur
in Deutschland, im geografischen Zentrum Europas, hat davon besonders
profitiert: Deutsch in einem national beschränkten Sinne ist
sie nie gewesen. Dass es dann gerade in diesem Land mitten im 20.
Jahrhundert zu einem kulturellen, ja zivilisatorischen Absturz ins
Bodenlose kam, zeigt aber, wie schwierig die Vermittlung solch richtigen
Bewusstseins ist: Nationalistische Ideologien, die vordergründig
verführerisch als identitätsstiftend erscheinen, stehen
in Wirklichkeit dem, was als kulturelle Identität zu beschreiben
wäre, diametral entgegen. Insofern ist der rasche Aufstieg
der Nazis gegen verhältnismäßig schwachen Widerstand
auch ein Beleg dafür, dass die Kulturnation Deutschland damals
größtenteils eben nicht kultiviert war und
daher empfänglich für die Parolen der Unkultur.
Naumanns Behauptung, Globalisierung habe die bislang intensivste
Einwirkung verschiedener Kulturen aufeinander zur Folge, und deshalb
sei die Einübung von Toleranz...eine kulturelle Herausforderung,
führt da freilich in die Irre. Erfahren wir nicht Globalisierung
viel mehr als Prozess des Abschleifens kultureller Profile? Verbirgt
sich hinter diesem Begriff nicht gerade die elektronisch gesteuerte
weltweite Gleichschaltung von Handels-, Finanz-, Marketing-, Planungs-
und Kommunikationssystemen, und ist nicht Kultur dabei
längst vereinnahmt und den Kategorien Freizeit, Entertainment
und Tourismus zugeordnet worden? Globalisierung hat ganz und gar
nicht die Differenzierung unserer Lebenswelten zur Folge,
wie Naumann meint, indem sich Kulturen gegenseitig befruchten;
Globalisierung bewirkt, wie sich längst deutlich erkennen lässt,
genau das Gegenteil, nämlich die fortschreitende Reduzierung
kultureller Vielfalt zu Gunsten maximaler Einschaltquoten in den
Medien und weltweiter Akzeptanz im Internet. Aus dem Sog der Globalisierung
gibt es kein Entrinnen, so viel steht fest. Ebenso sicher aber ist,
dass damit eine Tendenz zur Dekultivierung verbunden ist, die
siehe oben fatale Folgen haben kann.
Wer allen Kindern den Zugang zum Internet vermitteln will, um
ihnen eine faire Chance zum materiellen Bestehen in der Gesellschaft
zu sichern, der sollte zugleich auf Mittel und Wege sinnen, sie
vor kultureller Verarmung zu schützen die Kinder und
unsere ganze Gesellschaft. Kultur ist die schönste Form
der Freiheit, sagt Naumann, und wo er Recht hat, hat er Recht.
Damit umzugehen setzt mehr voraus als Toleranz, vor allem eine Bildungs-,
Kultur- und Medienpolitik, die sich gerade an den Defiziten der
Globalisierung orientiert und ein Bewusstsein davon vermittelt,
was Kultur eigentlich bedeutet.
Wenn wir uns darauf einigen könnten, sehr geehrter Herr Naumann,
dann würden wir tatsächlich große Erwartungen knüpfen
an Ihre Verkündung: Das Thema der kulturellen Identität
steht ganz oben auf der Agenda der deutschen Regierungsarbeit.
Hoffentlich wird dieses Thema mit Ihrem Abgang aus Berlin nicht
gleich wieder abgesetzt.