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nmz-archiv
nmz 2000/12 | Seite 22
49. Jahrgang | Dez./Jan.
Pädagogik
Die Streetkids aus der Sekundarstufe II
InfoSCHUL-Projekt zur Integration neuer Medien und Informationsquellen
Es ist der Abend des 15. Juni 2000. In der Aula des städtischen
Gymnasiums Alleestraße Siegburg schließt sich der Vorhang.
Auf der Bühne nehmen 60 Schülerinnen und Schüler
den wohlverdienten Schlussapplaus des Publikums entgegen. Seit mehr
als zwei Stunden sind sie voll konzentriert bei der Sache, der Aufführung
ihres eigenen Musicals Streetkids. Ein ganzes Schuljahr
hindurch wurde gesammelt, gesichtet, getextet, komponiert und geübt,
um die heutige Premiere zu bestehen. Es hat sich gelohnt!
Nun, bis hierhin zeigt sich eientlich nichts Neues. Projektorientiertes
Arbeiten ist seit langem als eine Form des Unterrichts bekannt und
selbstkomponierte Musicals haben Lehrer/-innen schon oft genug gestalten
und aufführen lassen. Die Besonderheiten sind vor allem in
den Strukturen des Projektes zu suchen und natürlich in dem
Versuch, den immer lauter werdenden Forderungen nach einer neuen
und zeitgemäßen Form von Unterricht nachzukommen.
Grundlagen
Grundbedingungen für dieses Projekt sind die Initiative InfoSCHUL,
die neuen Richtlinien des Landes NRW für die Sekundarstufe
II, die geänderte Ausbildungsordnung (OVP) für Studienreferendarinnen
und -referendare und eine gehörige Portion Mut. Wer
wäre also besser dazu geeignet als Referendarinnen und Referendare?
So, oder ähnlich dachten Anfang des letzten Jahres Teresa Becker,
Anne Meyer und ich (allesamt am Studienseminar Siegburg), als uns
die Idee zu Streetkids kam. Es galt, ein Projekt zu
gestalten, das, konform mit den neuen Richtlinien und fächerübergreifend
ausgerichtet, Schülerinnen und Schülern an zwei oder mehr
Schulen erlaubte, einen gemeinsamen thematischen Rahmen zu bearbeiten,
dabei neue Medien und Informationsquellen im normalen Schulalltag
zu nutzen, die Ergebnisse via Internet zu koordinieren und weiter
zu bearbeiten und schließlich ein gemeinsames Produkt zu gestalten.
Diese ehrgeizigen Vorgaben waren die Grundbedingung für die
Teilnahme an InfoSCHUL. InfoSCHUL ist eine Initiative innerhalb
von Schulen ans Netz (einer Fördermaßnahme
des BMBF in Zusammenarbeit mit der Deutschen Telekom) und beschäftigt
sich schwerpunktmäßig mit der Nutzung digitaler Datenquellen
im Unterricht der Sekundarstufe II (siehe auch den Artikel in der
nmz 5/00, S. 28). Hierfür gilt es Konzepte zu entwickeln, auszuprobieren
und so aufzubereiten, dass sie für andere nutzbar gemacht werden
können. InfoSCHUL ist primär auf die Gewinnung und Weitergabe
von Sachkompetenzen ausgerichtet, und die Ausschreibung sah vor,
dass ein erfahrener InfoSCHUL-Teilnehmer einen neuen Teilnehmer
betreut und seine Erfahrung im Bereich Informations- und Netzwerktechnologie
an diesen weitergibt. So fanden das Gymnasium Alleestraße
Siegburg als Patenschule (seit 1997/98 bei InfoSCHUL dabei) und
das Maximilian-Kolbe-Gymnasium in Köln-Wahn als neuer Mitstreiter
zusammen. Insgesamt waren sechs Kurse und mehr als 150 Schülerinnen
und Schüler in das Projekt integriert, wobei schwerpunktmäßig
die Fächer Englisch, Musik und Sport beteiligt waren.
Projektbeschreibung
Die Idee war die Erstellung und Aufführung eines Musicals,
das in Musik und Bewegung die Lebenswelt und die Möglichkeiten
der Schülerinnen und Schüler präsentiert. Gleichzeitig
sollte eine Beschäftigung mit den kulturellen und sozio-ökonomischen
Gegebenheiten auf den Philippinen stattfinden, die in der Adaption
eines klassischen Tragödienstoffes verarbeitet werden.
Am Maximilian-Kolbe-Gymnasium recherchierten die Fächer Erdkunde
und Sozialwissenschaft zu den Lebensverhältnissen der Straßenkinder
in Manila in Internet und Datenbanken und gaben diese Informationen
an den Englisch GK 11 von Frau Becker weiter. Dieser hatte inzwischen
Shakespeares Romeo and Juliet gelesen, zu Shakespeare
recherchiert und begann nun in enger Zusammenarbeit mit dem Gymnasium
Alleestraße das Drehbuch für Streetkids (auf
Englisch) zu schreiben. Die Handlung wurde in wesentlichen Zügen
beibehalten, allerdings sollten sich die sozialen Verhältnisse
des heutigen Manila (vor allem die Problematik der Straßenkinder)
im Drehbuch wiederfinden.
Anregungen ergaben sich durch Forderungen und Vorschläge,
die der Musik- und Sportkurs des Gymnasiums Alleestraße beisteuerte,
wenn zum Beispiel ein bestimmter Tanz in die Handlung eingeflochten
werden musste, oder wenn es galt, bestimmte Kompositionen mit Text
zu versehen. Ein Deutschkurs des Maximilian-Kolbe-Gymnasiums brachte
die Ergebnisse schließlich auf die dortige Web-Site (http://www.mkg-koeln.de).
Ausgehend von dem so entstandenen Drehbuch wurden die Szenen im
Musik GK 11 des Gymnasiums Alleestraße musikalisch mit Liedern
oder Hintergrundmusik gestaltet. Ergebnisse wurden im Sportkurs
(ebenfalls GK 11) in Tanz, Pantomime oder choreografierte Bewegung
umgesetzt. Endpunkt war die Streetkids-AG, die aus Schülerinnen
und Schülern des Gymnasiums Alleestraße bestand und die
das ganze schließlich zur Aufführung bringen sollte.
Teile der Arbeit wurden auf der dortigen Web-Site (http://home.t-online.de/home/700800001245-0001)
dokumentiert.
Koordination
Gemeinsamer Sammelort für die jeweils aktuellen Unterrichtsergebnisse
war ein BSCW-Forum, auf das die Schülerinnen und Schüler
innerhalb und auch außerhalb der Unterrichtszeit über
das Internet zugreifen konnten um sich die neuesten Drehbuchentwürfe
anzusehen, die neuesten Kompositionen als MP3-Files anzuhören
oder um sich über Handlungsverläufe (Chat- bzw. Diskussionsforum)
zu unterhalten. So war es möglich, sich zu jeder Zeit auf dem
aktuellen Projektstand zu befinden, gemeinsame Treffen oder Schulungen
abzusprechen oder einfach nur miteinander zu kommunizieren.
Neue Medien
Der Unterricht wurde so gestaltet, dass die Schülerinnen und
Schüler der Lerngruppe gemäß ihrem Leistungsstand
arbeiten konnten. Jeder sollte, entsprechend seiner Vorlieben und
Möglichkeiten, Musik mit dem Computer gestalten und zum Projekt
beisteuern können. Vorwiegend wurde in arbeitsteiliger Gruppenarbeit
mit selbst gewählten Schwerpunkten gearbeitet. Informationen
wurden durch Recherchen in diversen Musik-CD-ROMs, Datenbanken und
Internet eingeholt, um sich mit der Musik- und Tanzkultur der Philippinen,
vorherigen Vertonungen von Romeo und Julia, sowie mit musikalischen
Fachbegriffen und Produktionstechniken vertraut zu machen. Hierbei
ging es natürlich auch darum, wie man sich MIDI- oder Audiodateien
auf den Rechner lädt, konvertiert oder weiter bearbeitet und
welche Punkte dabei zu beachten sind (etwa das Urheberrecht).
Bei der Bearbeitung kamen zum Einsatz: Eine Light-Version von
Cubase, mit der Fortgeschrittene im Bereich MIDI- und Sequencertechnik
arbeiteten (Remix, Komposition eigener Lieder), einige Klangbaustein-Programme
(HipHop-eJay, Musik-Maker, New Beat Transmission), mit denen HipHop-
und Technonummern produziert wurden, sowie TripleDat und Pulsar
zur Erstellung von Klangkollagen, der Aufnahme der Songs und dem
gesamten Mastering einschließlich dem Brennen des fertigen
Soundtracks.
Drei Beispiele
An drei Beispielen soll im Folgenden unsere Arbeit skizziert werden.
1. Im Drehbuch ist eine Kampfszene zwischen rivalisierenden Familien
angelegt. Das Thema Kampf bietet sehr viele Möglichkeiten
in der unterrichtlichen Behandlung (Nachahmung Klangfarbenkonnotation).
Der Kurs beschäftigte sich mit Prokofieff´s Ballett und
der Rumble-Szene aus Bernsteins West-Side-Story, um
zu sehen, wie die Thematik dort umgesetzt wurde. Dann wurde eine
Kompositionsskizze gemäß dem szenischen Ablauf im Drehbuch
entworfen, die entsprechende charakterisierende Musik sowie einige
Effekte und Geräusche enthielt. Hier hatte der Kurs auch schon
Ideen zur bühnentechnischen Umsetzung. Anschließend wurde
die Kompositionsskizze mit dem PC realisiert, als Klangkollage fertiggestellt
und auf CD gebrannt.
Währenddessen wurde im Sportunterricht die körperliche
Darstellung von Gewalt thematisiert und erste Vorschläge zur
Umsetzung der Kompositionsskizze erarbeitet. Sobald die Musik fertig
war, wurden die Teilnehmerinnen des Kurses hiermit konfrontiert
und in zwei Team-Teaching-Stunden eine Choreografie erarbeitet,
die die Schülerinnen in der AG weitergaben.
2. Bei der Beschäftigung mit philippinischer Musik stießen
wir auf den philippinischer Nationaltanz Tinikling.
Dieser wurde in Form eines MIDI-Files aus dem Netz geladen, analysiert
und neu gestaltet (als Musik eines Straßenfestes). Im Internet
fanden wir über das Philippinische Zentrum in Köln auch
einen Tanzlehrer, der mit einigen Teilnehmerinnen des Sportkurses
diesen Tanz erarbeitete. Schließlich sollte der Tinikling
zentraler Bestandteil einer Szene werden. Dazu musste das Zusammentreffen
des Liebespaares in eine andere Umgebung gesetzt werden, in der
Tinikling getanzt werden konnte. Das wiederum war Aufgabe
des Drehbuchs und somit vom Englischkurs zu leisten.
3. In einer Unterrichtsreihe über Bach (Bearbeitungsgrundsätze)
komponierte der Kurs (nach der Beschäftigung mit Gounod und
Last) eigene Melodien zum Präludium Nr. 1, die mit Hilfe der
Notationseingabe des Sequencers zum Klingen gebracht wurden. Die
besten Kompositionen wurden ausgewählt und zur Diskussion gestellt.
Eine konnte schließlich Eingang in die Hochzeitsszene
finden, in der sie leitmotivisch für das Auftreten des Priesters
eingesetzt wurde.
Fazit und Ausblick
Natürlich erforderte das Projekt von allen Beteiligten eine
gewisse Mehrarbeit und zusätzliche Zeit. Die Betroffenen waren
bereit, mehrmals intensive Probenarbeit auf sich zu nehmen; auch
in den Ferien oder am Wochenende.
Oftmals wurde auch ohne Anwesenheit von Lehrpersonen in Pausen
oder Freistunden geübt, geschrieben oder gesungen. Insbesondere
die sozialen und technischen Kompetenzen der Schüler/-innen
konnten gefördert werden, wobei ganz nebenbei ein stattlicher
Betrag (Einnahmen der Aufführung) auf das Spendenkonto von
MISSIO floss. Eine abschließende Evaluation bestätigte
das Projekt, dessen Verfahrenstechniken nun in InfoSCHUL II an neue
Teilnehmer weitergegeben werden.