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nmz-archiv
nmz 2000/12 | Seite 39
49. Jahrgang | Dez./Jan.
Jazz,
Rock, Pop
Nachschub
von Helmut Hein
Versionen
Am Anfang war Pop Bruch mit allem, was bisher war: Break through
to the other side, hieß die Devise. Nicht nur die Doors
wollten die Pforten der Wahrnehmung durch alle erreichbaren
Räusche öffnen; Revolte war angesagt, Bildersturm. Die
Suche galt dem anderen Zustand und dem heiligen Augenblick. Rimbaud
regierte: Man muss absolut modern sein. Rock-Musik war
Protest nicht nur gegen das Establishment, sondern
gegen alle etablierten Formen; und der Künstler ein hochexpressiver
Freuden- und Schmerzensmann, der vor allem eins sein musste: authentisch.
Unter diesen Umständen war die eigene Stimme Pflicht
der singer musste stets auch ein songwriter
sein und die Cover-Version fast ein Verbrechen; jedenfalls
eine Schande. Ende der 60er-Jahre schien vergessen, dass nicht nur
King Elvis, sondern auch fast alle großen Beat-Bands als Interpreten
zumindest begonnen hatten, als Nach-Sänger großer Vorbilder.
Aber selbst das reinste Jetzt! wird irgendwann Geschichte:
Aus dem Erlebnis und seiner Beschwörung werden Erinnerung und
Erzählung. Der big bang der Ursprungs-Initiation
verwandelt sich in einen komplizierten Kosmos, wo alles, was schon
passiert ist und noch passieren soll, seinen Platz hat. Pop wird
reflexiv und raffiniert: der rhapsodische Daseins-Moment verliert
sich zwar nicht, aber er entlässt einen labyrinthischen Lebenslauf.
Man könnte es auch so sagen: eine Kultur wird reif,
ihre Protagonisten altern. Das kann man verdrängen, verzaubern
oder zum Thema machen. So wie Paul Simon auf seinem ersten
Studio-Album nach zehn Jahren Pause samt semi-seriösem Abstecher
zur nicht mehr ganz so heftig boomenden Musical-Kultur (sein Capeman
als eher problematisches Broadway-Eroberungsprogramm): You`re
the one (bei WEA) ist voller Melancholie, weil er erfahren
hat, dass Zeitvergehen vor allem Scheitern-Können heißt;
aber auch voller renitenter Vitalität, etwa in dem programmatischen
Song Old, der den Jugendwahn der Pop-Kultur mit dem
Hinweis kontert, dass alle wirklich wichtigen Dinge dauern und dass
sub specie aeternitate sich Altersfragen relativieren:
God is old/we`re not old, konstatiert Paul Simon, der
nächstes Jahr sechzig wird. Seine Durchlässigkeit für
Welt-Musik ist geblieben; der Skandal hat nachgelassen. Paul Simon
ist kein Ausbeuter, auch kein Seelenverkäufer, der mit exotistischen
Oberflächenreizen lockt, sondern einer, der ständig neue
Versionen schafft, des eigenen Lebens, der eigenen Songs, aber auch
der fremden Daseinsformen und Musikgenres, die er sich permanent
aneignet. Paul Simon ein freundlicher Proteus des Pop.
Und einer, der es auch gerne sieht, wenn seine eigenen Songs nachgesungen
werden. Vor allem, wenn das eine Frau tut, die so souverän
ist, die scheinbar ewigen und fatalen Pop-Mythen der Schöpfung,
des Neuen und des Selbstausdrucks einfach zu missachten
und konsequent ausschließlich sekundär zu
sein, ein durch Intelligenz und Einfühlung bezauberndes Cover-Girl
unter all den fragwürdigen Originalgenies. Holly Cole macht
die Interpretationen bekannter Songs zur hohen Kunst: zu einem Genre,
das sich zu den Originalen nicht kannibalisch oder parasitär
verhält, sondern all das an ihnen, was noch unabgegolten ist,
zum Leben erweckt. Bei guten Interpretationen lernt man, mehr als
sonst, das genaue Hören; die Cover-Version ist Schatten und
Double, sie verleiht einem Song Tiefe, sie fasziniert und irritiert
auch. Holly Cole kommt vom Jazz; sie scheut vor scheinbar Unmöglichem
nicht zurück; ihr Repertoire verdankt sich aber nicht der Lust
an stimmtechnischer Virtuosität. Auf ihrem neuen Album Romantically
Helpless (Tradition & Moderne/Indigo) finden sich nicht
nur Neu-Inszenierungen von Paul Simon (One Trick Pony)
und Randy Newmans Ghosts, das in ihrer äußerst
reduzierten Version, nur Stimme und Akustikgitarre, fast noch abgründiger
wirkt, sondern auch Dedicated to the One I Love, das
man, heller und harmloser, schon von den Mamas & Papas
kennt.
Version heißt immer auch Rückbezug. Bei PJ Harveys
(ohne Übertreibung!) Album des Jahres Stories from the
City, Stories from the Sea (Mercury/Universal) bedeutet das:
Bruch mit dem eigenen, ins Extrem und dadurch in Hermetik und Isolation
getriebenen Düster-Avantgardismus. Aber nicht als reiner Bruch,
als Bekehrung, sondern so, dass die subversiven Schönheiten
erhalten bleiben, sich freilich an beinahe schon mainstreamige Songformen
binden und fast wie Echos aus der wüst-produktiven Bohème
der 70er-Jahre klingen; gewissermaßen PJ Harvey als späte
Schwester Patti Smiths, die aber von vielem, was seiher passiert
ist, profitiert und deshalb weiter weiß. Ein must!
A propos Familienverhältnisse: Dass der Brit-Pop der 90er
von dem der 60er in vielerlei Hinsicht lebt, ohne deshalb
epigonal zu sein, weiß man mittlerweile. Die Webb-Brothers
verarbeiten in einem aufregenden de-facto-Debüt das
erste Album erschien unter Ausschluss der Öffentlichkeit
die Karriere ihres Vaters Jim Webb (Wichita Line Man),
schließen aber auch fast schon irritierend bruchlos an ein
Songwriting an, das irgendwann bei den Beach Boys, aber auch bei
den Hollies begann und dann, selbst wenn die Akteure, was nicht
immer der Fall war, weiterlebten und -arbeiteten, versandete. Maroon
(bei WEA) ist bestes Sixties-Songwriting, wie es in den Seventies
plötzlich nicht mehr möglich war, und jetzt plötzlich
wieder da ist.
Dass eine Version beides sein kann: Destruktion und Rettung, Liebe
und Hass, das zeigen die durch den Titel-Song zur Mafia-Serie The
Sopranos zu ein wenig Bekanntheit gekommenen Alabama
3, die sich auf ihrem neuen Album La peste (Virgin),
heftig maskiert, halb Zorro, halb Zombie in die Untiefen der Pop-Geschichte
wagen und auch einen der beliebtesten und umstrittensten Evergreens,
nämlich Hotel California durch heftig-perkussives
Hämmern, je nach Geschmack, entweder fleddern oder aber härten
und revitalisieren.