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nmz-archiv
nmz 2000/12 | Seite 38
49. Jahrgang | Dez./Jan.
Jazz,
Rock, Pop
Trance der Marke Sufi
Tradition und neues Selbstbwusstsein: Zigeunermusik
Political Correctness der Sprache garantiert noch lange keine
korrekte Behandlung. Mit Erlaubnis seines Freundes Armin Heitz,
dem begnadeten Swing-Gitarristen aus Karlsruhe, erlaubt sich der
Verfasser, von Zigeunern zu sprechen, ohne Diskriminierendes
zu meinen.
Die Nazis vernichteten eine halbe Million Zigeuner, ohne dass bisher
ernsthaft Wiedergutmachung stattgefunden hat. Überall
in der Welt werden Zigeuner diskriminiert wegen Eigentumsdelikten
und Straftaten in Folge von Ehre-Problemen kaum ein Volk
hat einen so rigiden Ehrenkodex wie die Zigeuner. Trotz des Holocaust
gibt es (wieder) Zigeuner bei uns, die Leute sind mobil, und die
Mehrheit rumänischer Asylbewerber sind Zigeuner.
Zigeunermusik fanden alle gut, ohne genau zu wissen, was das ist.
Klischees wie Lustig ist das Zigeunerleben, vom Flamenco
oder aus der Puszta sind fast unsterblich und bis in die Operette
vorgedrungen. Man muss unterscheiden zwischen dem, was Zigeuner
für sich musizieren, und dem, was man spielt für die sogenannten
Wirtsvölker. Letztere nämlich zahlen, also
werden die Musiker dieser hoch begabten Völkerschaft im Handumdrehen
das beherrschen, was gewünscht ist.
In den letzten Monaten sind CDs erschienen, die unbedingt zu nennen
sind: Zigeuner spielen ihre eigene Musik. Auf der in ein farbiges
Büchlein verpackten Doppel-CD Gypsy Queens/ Flammes du
cour (Network/Zweitausendeins 32.843, 39,95 Mark) finden sich
sechs der bedeutendsten Sängerinnen aus Mazedonien, Andalusien,
Rumänien und Ungarn, begleitet von hochinteressanten Ensembles
gut 140 Minuten Hochspannung. In den Balkanregionen kann
häufig nicht auf Zigeunermusiker verzichtet werden (trotz sozialer
Ausgrenzung); insofern ist Balkan Blues/Souffles de lâme
(Network/Zweitausendeins 33.858) in gleicher Ausstattung wie der
vorige Titel und mit Aufnahmen von Griechenland bis Albanien eine
ideale Ergänzung bei nur einer Überschneidung. Eine weitere
Doppel-CD konzentriert sich wieder auf Balkan-Zigeuner: Tziganes
(Arcade/TIS 303 2172), und es verwundert nicht, das atemberaubende
Kocani Orkestar (mazedonisches Blech) erneut zu treffen. Geheimtipp
indes ist die Fanfara din Zece Prajini aus Nordost-Rumänien,
wiederum massiv geblasen.
Nach allen Erkenntnissen stammen die Zigeuner aus Rajasthan im
Nordwesten Indiens. Hameed Khan hat dortige Musiker versammelt und
mit der Gruppe eine tolle CD aufgenommen: Musafir: Gypsies
of Rajasthan (Blue Flame/BMG 74321 50920 2) mit viel Gesang,
Tablas, Blas- und Saiteninstrumenten, aber nur bedingt authentisch.
Traditioneller ist die CD zweier Sorud-Spieler aus Belutschistan:
The Mystic Fiddle of the Proto-Gypsies (Shanachie/Koch
Int. 65013). Hier geht es mit der urigen Kniegeige virtuos um Trance
der Marke Sufi, und während die Belutschen eine längere
Betrachtung verdienten, bleibt festzuhalten, sie könnten tatsächlich
so etwas wie die Urzigeuner gewesen sein.
Wie die neue musikzeitung aus Regensburg kommt das Trio des Pianisten
Jermaine Landsberger, das auf Gipsy Feeling (Edition
Collage/FMS EC 516-2) das gereifte Gitarrenwunderkind Bireli Lagrene
bei drei Stücken zu Gast hat. Hier gibt es frischen Swing mit
Klavier, was den aufgetauten Jacques Loussier nur jazzlich wirken
lässt. Souverän und gegebenenfalls im doppelten Tempo,
sonst sehr entspannt: Klasse mit dem Problem, dass US-Vorlagen
manche Wurzel verdrängen.
Die neue CD meines Gitarrenfreundes und seinem Armin Heitz Zigan
Swing Trio, ist nicht rechtzeitig fertig geworden. Rufen Sie ihn
an: 0172/722 71 91. Übrigens ist es egal, ob Sie Gipsy
lieber mit zwei Y schreiben. Man nahm irrtümlich an, die Leute
seien aus Egypt gekommen.