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nmz-archiv
nmz 2001/03 | Seite 7
50. Jahrgang | März
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Klangkunst conta Opus-Musik
Netze sind die Basis jeglicher Lebensform, somit auch Forum
künstlerisch-musikalischen Ausdrucks, schreiben die Musikwissenschaftler
der Berliner Humboldt-Universität in ihrer Einladung zu einem
Symposium. Netz bedeutet auch Kommunikation, Beziehung unter
Musikern und Komponisten, unter Zuhörern und Zuschauern. Damit
ermöglicht das Netz im doppeldeutigen Sinne Werke, neue Formen
von Werken und deren Präsentation, und schließlich neue,
junge Musik. Noch anderswo wird in Berlin über junge
Musik nachgedacht: In einer Podiumsdiskussion empfahl laut FAZ
die Musikwissenschaftlerin Helga de la Motte-Haber die sogenannte
Klangkunst als eine junge und grenzüberschreitende Kunstgattung,
die der modernen Flexibilität des Denkens entgegenkomme und
eine Autonomisierung des Rezipienten fördere. Und, so die Zeitung,
bereits jetzt habe der neue Festwochen-Chef Joachim Sartorius festgestellt,
Berlin sei auf diesem Gebiet führend.
Was haben diese Nachrichten miteinander zu tun? Auf den
ersten Blick nur, dass sie den Zeitgeist einer Stadt repräsentieren,
die ja schon seit längerem um kulturelle Führerschaft
bemüht ist und dabei doch meist nur Schlagzeilen über
teure institutionelle Leerläufe produziert. Doch verweisen
sie noch auf etwas anderes: auf den untergründigen Wandel,
den musikalische Produktion und Rezeption im Computerzeitalter durchgemacht
haben. Auf einen vereinfachenden Nenner gebracht, lautet er: Weg
von durchkomponierten Werken, hin zur offenen Form zur situativen
Beschallung, zur sound sculpture und Klanginstallation. Das sind
nun nicht gerade neue Errungenschaften; um 1960 wurde das alles
unter dem Titel von Fluxus und Happening auch schon gemacht. Damals
waren die technischen Mittel noch bescheidener, die Wirkungen des
Neuen aber umso stärker. Heute geht das alles dank Bill Gates
viel einfacher, und das smarte Arrangement mit acht Soundkanälen
ist Standard. Der neue Rezipient soll es möglichst unangestrengt
auf sich wirken lassen und, im Klangraum flanierend, die eigene
sensible Wahrnehmung pflegen. Der Raum wird akustisch erfahrbar
gemacht, heißt es dann. Das macht durchaus Sinn als
lockere Ergänzung zu einem Festivalprogramm wie etwa in Donaueschingen,
wo man zwischen zwei Konzerten im Park den friedlich vor sich hin
blubbernden Klangobjekten entlang promenieren kann. Sinn macht es
auch da, wo ein bildender Künstler den Klang in seine Überlegungen
zur Raumgestaltung einbezieht.
Doch gegenwärtig ist eine Tendenz zu beobachten, solche
Phänomene zu einer Alternative zur komponierten Musik aufzuwerten,
und in manchen Köpfen entsteht eine neue Frontenstellung: Hier
die mal hemdsärmeligen, mal gepflegten Soundexperimente mit
ihrem Hauch von Disco oder schicker Galerieatmosphäre, dort
die müde beklatschten Langweiler vom Neue-Musik-Getto, die
vor halbleeren Stuhlreihen ihre Noten herunterbuchstabieren. Also
ist wieder einmal Fortschritt angesagt. Das Neue ruft, die ultimative
Gegenwart! Nur schrumpfen leider solche inszenierten Paradigmenwechsel
erfahrungsgemäß ziemlich schnell zu kurzlebigen Trends.
Das Muster ist auch diesmal absehbar. Doch noch ist der Elan des
Neuen nicht erschöpft, noch lässt sich mit ihm öffentlichkeitswirksam
die eigene Fortschrittlichkeit unter Beweis stellen. Und da Trends
mit Marktverhalten zu tun haben und ohne Marketing nicht auskommen,
wird auch gleich das Markenzeichen lanciert, das der neuen Produktefamilie
eine höhere Weihe verleihen soll: Klangkunst. Es strahlt so
unwiderstehlich jung und neu, dass die Konkurrenz, und das ist der
ganze Rest der Branche von Vivaldi bis Lachenmann, daneben alt und
grau aussieht. Entsprechend auch das altmodische Etikett, das ihr
mit mitleidiger Geste angeklebt wird: Opus-Musik. Der Name suggeriert
spießige Einteilung in abgeschlossene Einheiten, wo überall
ein Anfang und ein Ende ist, wo die frei schweifende Fantasie durch
Form und Struktur gegängelt wird. Sozusagen eine musikalische
Schrebergartenmentalität, die keine Ahnung hat von der neuen
Freiheit, die hinter dem Gartenzaun winkt, den ihre Notation errichtet
hat. Das alles mag leicht absurd klingen, liegt aber im Trend. Symptome
sind der um sich greifende Überdruss, sich mit dem komponierten
Kunstwerk noch eingehend zu befassen, und die freudige Bereitschaft
mancher Veranstalter, sich vermehrt der pflegeleichten Avantgarde
zuzuwenden, um unter dem Etikett des Fortschritts Volksnähe
zu demonstrieren.
Keine Frage: Improvisatorische Tendenzen und das Konzept
des offenen Kunstwerks haben der Neuen Musik seit Globokar und Ferrari,
Cage und Riedl bedeutende Impulse gegeben, und es steht der Musikwissenschaft
gut an, wenn sie die Musik auch vor dem aktuellen Hintergrund von
Kommunikation und Vernetzung betrachtet. Doch wie in der Gentechnik
gilt es auch hier die Grenze zu bestimmen: Wie lässt sich der
Charakter des Kunstwerks, in dem sich stets die schöpferische
Idee eines Einzelnen materialisiert, auch im neuen technischen Umfeld
bewahren? Und wann degeneriert Musik zum anonymen Bestandteil situativer
Arrangements im realen oder virtuellen Raum, wann löst sie
sich in abstrakte technologische Struktur auf? In diesem Fall würde
mit der heiß ersehnten Wahrnehmungsflexibilisierung auch gleich
der tradierte Werkbegriff, ein Kernstück unserer Kultur, preisgegeben.
Übrig blieben dann unverbindliche Wahrnehmungsangebote
für den von jedem Traditionsbezug befreiten Konsumenten, der
in ihnen nur noch die Spiegelbilder seines eigenen orientierungslosen
Ichs erblickte.