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nmz-archiv
nmz 2001/03 | Seite 39
50. Jahrgang | März
Oper
& Konzert
Faszination des Fremden Angst vor dem Andersartigen
Wolfgang Rihms Oper Eroberung von Mexico in Frankfurt
am Main neu inszeniert
Wolfgang Rihms frühes Credo Ich will bewegen und bewegt
sein, alles an Musik ist pathetisch, gilt heute mehr denn
je. Seine 1992 in Hamburg uraufgeführte Oper Die Eroberung
von Mexico nach Texten von Antonin Artaud und Octavio Paz
über das erste Zusammentreffen des Eroberers Cortez mit dem
Aztekenkönig Montezuma wurde jetzt in Frankfurt von Regisseur
Nicolas Brieger mit berückender Intensität inszeniert.
Schon mit seiner ersten, heute fast vergessenen Kammeroper Faust
und Yorick (1976) nach Jean Tardieu suchte Rihm ein klangliches
missing link zwischen seiner musikalischen Subjektivität und
den französischen Theateravantgardis-ten auszukomponieren,
von denen Antonin Artaud dann so wichtig für sein gesamtes
Schaffen werden sollte. Damals, wenn auch noch recht brav, strömte
Rihms Musik aus jenem Akkord Anatomie-Idee-Klang heraus, den der
Komponist mit seinen unberechenbaren Schwankungen zwischen gefährdet
wirkendem Lyrismus und nicht minder obsessivem Auspendeln dynamischer
Extreme gewissermaßen immer wieder neu imaginiert. An Antonin
Artauds grausam-theatralischem Körperspiel dockte er mit dem
Poème dansé Tutuguri, 1982 in Berlin uraufgeführt,
dann unmittelbar an. Mit gleichsam reflexartiger Lautlichkeit
Symbol einer Musik am Wachstumsort , mit martialischen
und auch mit einbruchsartig reduzierten Mitteln wurde die Musik
scheinbar reflexartig komponiert.
Fantasievolle Bilder- und
Bewegungssprache: Szene aus der Eroberung von Mexico.
Foto: Dorothea Wimmer
Der nur angedeutete narrative Handlungsstrang der Eroberung
wurde nun von Regisseur Nicolas Brieger und seinem Bühnenbildner
Hermann Feuchter in eine äußerst fantasievolle Bilder-
und Bewegungssprache umgesetzt. So erfährt das eigentliche
Thema des Bühnenwerks, die Kluft zwischen der Faszination des
Fremden und gleichzeitiger Angst vor dem Andersartigen, in Frankfurt
eine zeitlupenartig-pantomimische Ausdeutung, die jedoch niemals
statisch wirkt.
Brieger lässt den Eroberer Cortez von der für Sopran
komponierten Rolle Montezumas als zunächst noch liebestrunkenen
Paradiesvogel mit äußerst lyrischen Gesangslinien umgarnen.
Cortez selbst ist ebenso fasziniert von dem Fremden, unterdrückt
aber alles erotisch-exotistische in ihm und gehorcht letztlich seinem
Auftrag der Eroberung. Zitate aus der Renaissancemusik und kultische,
nicht vorkulturelle Klänge gehen hier eine sehr anrührende,
aber nicht kitschige Synthese ein, weil in diesem Moment noch das
ganze Potenzial positiver Energieen für einen gemeinsamen Weg
enthalten sind. Doch die Geschichte lehrt: Es kommt zu blutigen
Schlachten und als eines der stärksten Bilder dieser einnehmenden
Inszenierung wird eine riesengroße Kirchenglocke aufgefahren,
als deren Schlegel ein an den Füßen aufgehängter
Azteke zu Tode geläutet wird, während Montezuma in seiner
geometrisch angedeuteten Tempelpyramide mit überdimensionierten
Rosenkränzen in Ketten gelegt wird: wahrlich ein heiliger Krieg.
Das auf klanglich-szenische Unmittelbarkeit angelegte Spektakel
entbehrt zudem nicht einer Prise Brechtschem Gestus, den Rihm
während seiner Heiner-Müller-Lektionen für die vor
vierzehn Jahren in Mannheim uraufgeführte Hamletmaschine
für sich fruchtbar gemacht hat. So können die Cortez zugeordneten,
zwei omnipräsent hechelnden Sprecher und die Montezuma zur
Seite gestellten Sängerinnen nicht nur als musikalische Spiegel,
sondern auch als schon in der Hamletmaschine bewährtes
Rollensplitting verstanden werden. Das Publikum blendende Neonröhren
aus dem Bühnenhintergrund bestärkten den Eindruck einer
musikalisch-szenischen Brechung dieser dann gar nicht mehr auf pure
klangliche Identifikation hin angelegten Subjektivität. Und
auch dass Cortez und Montezuma am Ende sich als ganz normale Städtebewohner
von einem im Zuschauerraum aufgebauten Lager etwas schlaftrunken
erheben, ihre Mäntel unter den Arm klemmen und ziemlich resigniert
einen Abgesang auf die Liebe anstimmen, erzeugt nach soviel Stille
und Ausbruch letztlich Distanz zu diesem szenischen Alptraum. Ich
war Montezuma/Cortez, ich spiele keine Rolle mehr könnte
es hier heißen.
Das auf der Bühne und im Zuschauerraum verteilte Orchester
spielte unter der Leitung von Markus Stenz bravourös, die Sänger
intonierten exzellent, vor allem Annette Elster als Montezuma und
David Pittman-Jennings als Cortez und die vielen Chorszenen mit
ihren Bandzuspielungen (von der Hamburger Uraufführung) waren
von bestechender Direktheit gerade trotz aller Stilisierung.