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nmz-archiv
nmz 2001/03 | Seite 41
50. Jahrgang | März
Oper
& Konzert
Ein offener Treffpunkt für die gute Musik
UltraSchall, das Festival für neue Musik in Berlin, findet
im dritten Jahr sein Profil
Nicht ehrgeizig genug können die Konzepte sein, mit denen
Veranstalter landauf landab ihrem Publikum die Neue Musik schmackhaft
machen wollen. Das Stuttgarter Festival Eclat ist dafür
ein eindrucksvolles Beispiel. Eher mit Understatement nähern
sich die Macher von UltraSchall, die Rundfunkredakteure
Rainer Pöllmann (DeutschlandRadio Berlin) und Martin Demmler
(Sender Freies Berlin) ihrem Gegenstand.
Schon das kleine n im Untertitel Festival für neue
Musik gibt sich entspannt, tolerant und offen gegenüber
der Vielfalt, die heutzutage an Schreibtischen, Computertastaturen
und in Tonstudios erdacht wird. Pragmatisch war der Beginn vor drei
Jahren: die Kapazitäten zweier Rundfunkanstalten sollten gebündelt,
die immer geringeren Etats für als unbezahlbar eingefrorene
Produktionen auf dieses eine Live-Ereignis konzentriert werden (die
Möglichkeiten eines SWF oder gar SWR hat es in der Hauptstadt
nie gegeben). Was von der Szene bisher ein wenig von
der Seite angesehen wurde, auch schon mal den Vorwurf der Konzeptlosigkeit
einstecken musste, hat nun endgültig durch Qualität und
Ideenreichtum überzeugt. In immerhin 18 Veranstaltungen im
ehrwürdigen, 1932 von Hans Poelzig erbauten Haus des Rundfunks
und den kultig angerotteten Sophiensälen in Berlin-Mitte hatte
ein gut durchmischtes, durchhaltefreudiges Publikum seine Aha-Erlebnisse
und seinen Spaß, und das ohne fragwürdige Anbiederung.
Zugegeben, der Einstieg wurde leicht gemacht: auf Glaskugeln, Tontöpfen,
Tellern, Spind und Schubkarre führten die Schlagzeuger Zoro
Babel und Edgar Guggeis faszinierend vor, was in unserem Alltag
so alles klingt, und der Posaunist Michael Svoboda ist eine dermaßen
charismatische Persönlichkeit, durch spielerische, scheinbar
naive Fantasie mitreißend, dass man ihm auch eine Hommage
à Badesaison für Südseemuschel abnimmt. Spurensuche
der alten Musik in der neuen hieß ein weiterer, Anknüpfungspunkte
anbietender Programmstrang: dazu gehörte die Uraufführung
der klangschwelgerischen Märchensuite von Bernd
Alois Zimmermann, dem 50-jährigen Archivschlummer endlich entrissen
und schon in den Satztiteln (Der Ritt durch den Wald,
Das verwunschene Schloss) den frühen Gustav Mahler
beschwörend. Ebenso aber ein Porträtkonzert Heinz Holligers,
dessen Alb-Chehr, eine Geischter und Älplermusig
for dOberwalliser Spillit eine ganz eigene, hintersinnige
Mischung von Folklore und Avantgarde, Radikalismus im Sinne einer
musikalischen Wurzelbehandlung darstellt.
Sperriger gab sich da das wohl ehrgeizigste, ungewöhnlichste
Projekt des gesamten Festivals, schon eher auf Ultraschall
abzielend: Basierend auf der Verbal-Partitur Circus on
von John Cage wagte der Berliner Musikwissenschaftler und Avantgarde-Spezialist
Volker Straebel eine Vertonung von Alfred Döblins
Roman Berlin Alexanderplatz. Von den Verfahrensweisen
in seinem Hörstück Roaratario auf Finnegans
Wake von James Joyce ausgehend entwickelte Cage 1979 eine
siebenstufige An-leitung zur klanglichen Umsetzung jeder beliebigen
Literaturvorlage. Nach dessen (Zufalls-) Prinzipien ordnet Straebel
sprechende Textfragmente 120 zwölfzeiligen Mesosticha zu, kombiniert
sie mit 447 Geräuschen der im Roman erwähnten Orte sowie
Archivaufnahmen in seiner akribischen Spurensuche, der perfekten
technischen Umsetzung auf 48 Kanälen über 16 Lautsprecher
und der rituell-kühlen Wiedergabe durch Hanns Zischlers ein
faszinierendes, realistisch-fiktives Großstadtpanorama, das
irgendwann ins Zäh-Absurde umschlägt und durch die bedeutungsfremd
eingesetzten historischen Aufnahmen auch abgeschmackt wirkt. Inhalt
ist mit der Realisierung nach strukturellen Gesichtspunkten nicht
gemeint und setzt sich doch hinterrücks durch.
Ansonsten verausgabte UltraSchall seine Uraufführungsfreudigkeit
in kleinerer Münze, etwa dem sich etwas unentschieden durch
Glissandi und Obertoneffekte tastenden Streichquartett Fotografie
und Berührung des 1972 in Moskau geborenen Goldmann-Schülers
Sergej Newski. Die Gattung wurde in einem Konzert des Kairos-Quartetts
wieder einmal neu erprobt, recht eindrucksvoll im das Ritual tastend
verfremdenden Hell der Australierin Liza Lim und dem
die Sedimente verschiedener Kulturen kombinierender, in Dialog mit
akzentgebender Elektronik tretenden ParaMetaString von
Unsuk Chin. Das Porträtkonzert der 39-jährigen Koreanerin
war zweifellos ein Festival-Höhepunkt. Die Tonbandkomposition
Gradus ad infinitum (1989) zeigt in vielschichtig überlagerten,
scheppernden Tasten- und Gongklängen endlich einmal einen eigenständigen,
rauheren Zugriff jenseits der ewigen technisch glatten Klangcontinua,
noch unabhängiger vom Lehrer György Ligeti wirkt die Eroberung
des konkreten Klangs und Geräuschs in Allegro ma non
troppo für Schlagzeug und Tonband, auf genial-einfache
Weise auch szenisch wirksam, wenn Christian Dierstein suchend umhergehend
mal mit rotem oder grünem Seidenpapier den Gong putzt, mal
einen Wecker aufzieht. Ein Hausfrauenstück, das
in strenger, konziser Struktur vielleicht Aufschlüsse über
die auf der Podiumsdiskussion Frauenmusik Männermusik
verzweifelt gesuchte weibliche Ästhetik zu geben vermag. Eine
zweite groß herausgestellte Komponistin, die Amerikanerin
Augusta Read Thomas, enttäuschte im Abschlusskonzert des Deutschen
Symphonie-Orchesters Berlin mit farblich delikaten, doch auch recht
abgegriffen romantisierenden Words of the Sea. Geradezu
peinlich der Feuervogel-Verschnitt The Great Procession
von Charles Wuorinen, bezeichnend für den Zwang zur Verkäuflichkeit
in der amerikanischen Musikszene.
Herausragend wiederum das Porträtkonzert des aus Wales stammenden
Richard Barrett, der abglanzbeladen/auseinandergeschrieben
oder knospend-gespalten mit den exquisiten Solisten
des australischen Elision-Ensembles oder der Stimmkünstlerin
Ute Wassermann in expressiv-komplexe Live-Elektronik-Dialoge trat.
Barrett lenkte das Augenmerk einmal mehr auf die Bedeutung
des Interpreten auch für zeitgenössische Musik, neben
dem Cellisten Friedrich Gauwerky und dem Akkordeonisten Gerhard
Scherer war dies in der schon traditionellen Langen Nacht
des Klaviers Marino Formenti, der etwa Boulez erster
Klaviersonate mit traumwandlerischer Hingabe in fließendem
Timing zu verblüffender Sprachkraft verhalf ein Vorstoß
zum Ultraschall, ins Unerhörte auch
dies.