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nmz-archiv
nmz 2001/03 | Seite 40
50. Jahrgang | März
Oper
& Konzert
Der Bettelbrief zum Battle Piece
Stefan Wolpe Festival und Symposium in Freiburg
Was macht einen zwischenzeitlich in Deutschland so gründlich
vergessenen Komponisten wie Stefan Wolpe heute interessant? Ist
es jener Joschka-Effekt, der zur Zeit das hiesige politische Klima
bestimmt?
E in Text wie folgender, von Wolpe vertont, evoziert jedenfalls
Bilder von anno dazumal: Aufruhr ist, wenn du auf der Straße
bist, und es rückt die Polizei in Stärke einer Hundertschaft
herbei [...], und wenn sie sich schließlich vor dich pflanzt,
und der Gummiknüppel dir den Buckel umtanzt und wenn du dazu
nicht stille bist, sondern schimpfst, [...] und dabei den Untertan
vergisst Mensch, dann weißt du, was Aufruhr ist!
Stefan Wolpe.
Foto: Peer Musikverlag
Doch nicht das Frankfurt der späten 60er-Jahre ist gemeint.
Die Worte stammen von Walter Weh, Arbeiterdichter im Berlin der
20er-Jahre. Berlin, das war auch Heimat des neben Hanns Eisler wichtigsten
deutschen Arbeitermusikkomponisten Stefan Wolpe. Und da die Widerständigen
im Land der Untertanen noch nie sonderlich beliebt waren, hat man
ihn eben gründlich vergessen, diesen Wolpe. Dies, nachdem er
1933 ins Exil gezwungen wurde, um in Jerusalem und New York in erlittener
dauernder Doppelheit der Zunge (Wolpe) und fast lebenslang
materiell und zuletzt auch gesundheitlich prekärer Lage auszuharren.
Dabei hatte er in den 50er-Jahren durchaus versucht, wieder in Deutschland
Fuß zu fassen, um so seine Tochter etwas
zu reparieren, was zerbrochen wurde. Wohlgemerkt: Hier versucht
einer in bitterer Verkehrung der Verantwortlichkeiten wieder
gut zu machen, einer, der von sich behaupten konnte: Ich
bin der, den Ihr nicht umgebracht habt!
Nicht richtig zugehört
Es waren vor allem die Kranichsteiner Ferienkurse, die Wolpe den
Wunsch verspüren ließen, dazuzugehören.
Der Schöpfer kompositionstechnisch avanciertester Klaviermusik,
darunter das grandiose Battle Piece von 194347, fühlte
sich innerlich genötigt, an den Leiter der Ferienkurse Briefe
zu schreiben, deren flehentlicher Unterton vielleicht Bettelbriefen
gut anstünde. Immerhin, sie wurden erhört. Man ließ
seine Musik aufführen in Darmstadt, man ließ ihn reden.
Letzteres jedoch im doppelbödigen Wortsinn: Mehrfach hielt
er Vorträge, etwa Über neue (und nicht ganz so neue)
Musik in Amerika, oder über seine Konzeption einer spatialen
Musik. Doch richtig zugehört haben damals allzu wenige, wenn
man bedenkt, dass Wolpes Musik hier zu Lande erst im letzten Jahrzehnt
einen gewissen Aufschwung erlebte. Dies macht sich bis dato vor
allem diskografisch bemerkbar: fast 70 Werke sind auf CD erhältlich.
Der nach einem WDR-Festival 1988 in Deutschland zweite groß
angelegte Versuch, dem vielschichtigen Schaffen Wolpes zu größerer
Öffentlichkeit zu verhelfen, fand nun mit Unterstützung
der Wolpe Society (www.wolpe.org) an der Musikhochschule in Freiburg
statt. Das dortige Institut für Neue Musik unter Leitung Mathias
Spahlingers konnte nach mehr als einjähriger Organisationsarbeit
(Martin Bergande) nicht nur mit einer illustren Schar von Wolpe-Forschern
und mit der Tochter Wolpes als wichtiger Zeitzeugin aufwarten, sondern
neben dem gewohnt souveränen Ensemble SurPlus unter Leitung
von James Avery auch zahlreiche Studenten zu insgesamt hochkarätiger
künstlerischer Performanz motivieren. Das ist angesichts der
großen technischen Schwierigkeiten, die Wolpes Musik Instrumentalisten
und Sängern bietet, kaum zu überschätzen. Denn hier
gilt es mit schier körperlicher Kraft teils äußerst
disparate Bewegungsabläufe zusammenzuzwingen. Ganz zu schweigen
von den großen Anforderungen an die Auffassungsgabe bei dieser
Art zerbrochener Musik (Martin Zenck).
Nicht nur Wolpes Leben, auch seine Musik ist geprägt von jenen
broken sequences, zerbrochenen Folgen, die einem seiner
Klavierstücke den Titel geben. Die gleichermaßen Kräfte
zehrende wie letztlich glückhafte Überwindung größter
Widerstände scheinen eine Art poetisches Programm abzugeben
für die immer neuen Erkundungen musikalischen Raums. Die Kraft
hierfür mag er aus der unüberschaubaren Fülle an
Lebens- und Kunsteindrücken gewonnen haben, die er sammelte
und in die eigene Arbeit transformierte. Zahlreiche Indizien hierfür
ergaben die profunden Vorträge des Symposiums. Anne C. Shreffler
etwa wies nach, wie bedeutend der Austausch mit dem experimentellen
amerikanischen Dichter Charles Olson für Wolpes kompositorischen
Durchbruch war. Den weithin unterschätzten Einfluss Wolpes
auf seinen Schüler Morton Feldman untersuchte Felix Meyer.
Martin Zenck schließlich wagte die These, dass Nonos Abschied
aus Darmstadt wesentlich von Wolpe mitbeeinflusst war, lehnten doch
beide die Apolitizität und Ahistorizität serieller Avantgarde
mit ihren teils doktrinären Wesenszügen ab.
Zersplitterter Zeitpfeil
Immer wieder fällt in Wolpes Werken seine Zeitgestaltung
besonders auf. Erstaunlich ist die unerschöpfliche Vielfalt
an Bewegungstypen: Vom ungestümen Vorwärts seiner Kampfmusiken
bis zum auskomponierten Stillstand mancher Passagen der hochartifiziellen
Kunstmusik Wolpes reicht die Bandbreite musikalischer
Energiezustände. Zwischen beiden Extremen begegnet man allen
denkbaren Übergängen, Kontrastierungen, Überblendungen:
Aus stockenden Bewegungen erwachsen unglaubliche Beschleunigungen,
die ebenso schnell im Off verschwinden können.
Es ergibt sich die Anmutung eines kaleidoskopisch zersplitterten
Zeitpfeils. Dies in Verbindung mit zumeist ungewöhnlichen Besetzungen
(zu den broken sequences kommen sinnigerweise die broken
consorts). Wolpe liebte neben dem Klavier vor allem die Bläser,
deren Parts er entsprechend anspruchsvoll gestaltete, etwa in der
äußerst komplexen Oboensonate (großartig Peter
Veale) oder in der wunderbar klangsinnlich dargebotenen Suite im
Hexachord für Oboe und Klarinette (Rosemary Yiameos, Andrea
Nagy). Von den nachhaltigen Eindrücken, die man aus Freiburg
mitnehmen konnte, soll hier wenigstens noch die Bearbeitung des
Wolpe-Stücks About the seventh durch Johannes Schöllhorn
festgehalten werden: Mit immer neuen, sehr sensibel ausgehörten
Instrumentierungen gewinnt Schöllhorn aus diesem kleinen zweistimmigen
Satz ein knappes Dutzend sehr konzentriert wirkender, von innen
heraus leuchtender Miniaturen.