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nmz-archiv
nmz 2001/03 | Seite 22
50. Jahrgang | März
Bücher
Geschichten von der Kunst des Antikunstwerks
Ein Crashkurs in Fluxus-Geschichte bedient Interessierte kurzweilig
Stefan
Fricke: Musik mit Ei ein Guckheft über Fluxus und anderes,
Pfau-Verlag, Saarbrücken 1999, ISBN 3-89727-067-6
W ie kaum eine andere Bewegung hat Fluxus, primär von John
Cage ausgehend und in ihren Ambitionen an der umwertenden Ästhetik
des einstigen Dada orientiert, die neuere Geschichte der sogenannten
musikalischen Avantgarde mitgeschrieben und beeinflusst. Stefan
Fricke, mit vielen Wassern gewaschener Fluxist, legte nun ein Guckheft
vor, dessen Inhalte und dialogische Struktur (Plaudereien der Protagonisten
Ute und Georg) auf einer von ihm realisierten Radiosendung von 1996
basieren.
Der Verlust der akustischen Seite dieser Veranstaltung ist zwar
unersetzlich, lässt sich aber gerade im Falle eines fluxistischen
Events grafisch kompensieren spielt doch die Optik im Denken
der Fluxisten keine dem Klingenden untergeordnete Rolle. Das Büchlein
offeriert einerseits eine kleine Geschichte, deren Dramaturgie sich
anhand der sporadischen, über die Jahre an verschiedenen Orten
verstreuten Begegnungen, Telefonate und Schriftwechsel der Involvierten
ergibt. Der Höhepunkt (auch, was die repräsentative Ausdehnung
in der Publikation betrifft) wird in Georgs Wohnung erreicht. Nachdem
dieser Emmett Williams zitiert hat (Nur Fluxisten können
richtig fluxen), wirds so recht Nacht. Er: Schläfst
du? Sie: Nein, ich werde wieder wacher. Und ab
gehts auf Nam June Paiks Bumstrip durch die kompletten Beethoven-Symphonien.
Neunmal habens die beiden getrieben, in ziemlich verschiedenen
Stellungen, darf der geneigte Leser schließen, wenn auch sehr
unwahrscheinlicherweise mit dem ad libitum empfohlenen Partnerwechsel.
Fluxus ist nicht einfach nur chaotisch, sondern voll menschelndem
Geschäume freie Liebe aller beteiligten Faktoren am
blasphemischen Gesamtkunstwerk (welches die Paradoxie des Antikunstwerks
stets einschließt) könnte eine zwar nicht unmissverständliche,
aber gewiss angemessene Definition fluxischen Seins sein. Nun aber
zum Bildungsauftrag: Fricke hat hier überdies seine Meriten
als Historiker, indem ein gutes Drittel seiner Schrift aus einem
klein gedruckten Anhang besteht, in welchem sich der weit überwiegende
Anteil an objektiver Information über das gesamte relevante
Drum und Dran findet. Wer sich hier (innerhalb weniger Stunden)
durcharbeitet, wird nicht nur sehr kurzweilig bedient.
Es handelt sich schlicht um einen effektiven Crashkurs in Fluxus-Geschichte,
rund um Fluxus-Diktator George Maciunas als Dreh- und Angelpunkt,
verquickt mit Nam June Paik und der entblößten Charlotte
Moorman, Beuys und Stockhausen, Schnebel, Ligetis Fluxus-Flirt und
so weiter. Ja, das ist Frickes Verdienst: spielerisch in die Fluxus-Welt
eingeführt zu haben, auf dass wahrlich nicht nur Fluxisten,
sondern alle an diesem unscharfen historischen Phänomen Interessierten
Gewinn daraus ziehen. Die sehr bibliophile Ausgestaltung ist ein
weiterer Vorzug und dürfte in einiger Zeit Musik mit
Ei zum begehrten Sammlerobjekt werden lassen.
Übrigens: Was mir ästhetisch nicht allzu Maciunas-konform
erscheint, ist die Trägerstory. Aber seis drum, wir wissen
ja, dass Chaos und Ordnung in einem unbedingten Wechselverhältnis
stehen und nur so der Weltenlauf weiterhin seinem Ende entgegendrängen
kann.