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nmz-archiv
nmz 2001/03 | Seite 59
50. Jahrgang | März
Dossier: Musikwirtschaft
Welche Rolle spielt E-Commerce für E-Musik?
Isabella Maria vom Giornale della Musica berichtet von der MIDEM
in Cannes
Die technologische Entwicklung hat längst eine solche Geschwindigkeit
angenommen, dass schon zwei aufeinander folgende Veranstaltungen
der gleichen Messe nichts mehr gemeinsam haben. Und das nicht nur
in der Welt der Gebrauchselektronik, sondern auch und vor
allem im Rahmen der Industrie der Inhalte, der
die Aufgabe zukommt, die zukunftsträchtigen Erfindungen von
Programmierern und Technikern in kommerzfähige Produkte zu
verwandeln.
Die letzte Ausgabe der MIDEM, der internationalen Musikmesse, die
alljährlich Ende Januar in Cannes stattfindet, war auf die
Entdeckung des digitalen Komprimierungsformats MP3 konzentriert,
das seitdem zum Standard geworden ist: mit der Verbreitung eines
Ölflecks, die nur kostenlose Neuheiten zu erreichen vermögen,
haben sich die Internetnutzer daran gewöhnt, Musikdateien zu
produzieren, zu kopieren, zu suchen und herunterzuladen.
Eine nützliche propädeutische Wirkung, die sich allerdings
als flüchtig herausstellen sollte. MP3 weist einige gefährliche
Eigenschaften auf: es ist leicht zu kopieren und zu reproduzieren
und kann die Copyright-Vorschriften umgehen. Dass die Musikindustrie
in ihrer Gesamtheit abgeneigt war, es voll zu unterstützen,
konnte man aus einigen klaren Signalen ableiten zum Beispiel
dem Krieg der Majors gegen die Piraten-Websites oder dem Preis für
Walkmans, der nie auf ein Niveau gesunken ist, das eine wahre Durchdringung
des Marktes gestattet hätte.
Bei alledem schien die Revolution von MP3 unaufhaltbar. Ist das
tatsächlich so? Wenn man sieht, was Plattenverlage und Softwareproduzenten
bieten, ist die Antwort: wahrscheinlich nicht. Im Gegenteil ist
es wahrscheinlich, dass sich das Panorama im nächsten Jahr
mit der Ankunft der UMTS-Handys noch weiter ändert und die
neuen Gadgets so attraktiv und nutzerfreundlich sein werden, dass
sie den immer noch aufwändigen Download via Modem vergessen
lassen. Herausnehmbare Speicherkarten, kaum größer als
eine Telefonkarte, die Stunden von Musik aufnehmen können (in
der Zukunft sogar einen Film im DVD-Format), superschneller, kabelloser
Internetzugang, sogar eine Art CD mit 500 MB im Miniformat (ungefähr
wie eine Briefmarke), produziert von Data Play in Colorado, ausgestattet
mit einem innovativen Kryptographiesystem, das Kopien unterschiedslos
verhindern kann. Der Datenschutz ist nämlich der gemeinsame
Nenner all dieser neuen Technologien.
Von unseren universellen Handys können wir zwar Musik herunterladen,
aber die Speicherkarten akzeptieren nur die neuen sicheren
Formate (wie AAC oder ATRAC3), während die Multinationalen
sich darauf vorbereiten, Gegenangriffe in immer größerem
Stil durchzuführen.
Den Beziehungen zwischen klassischer Musik und Internet die
noch völlig zu erfinden sind und insbesondere den Fragen
von E-Commerce und Promotion zeitgenössischer Komponisten waren
zwei Konferenzen am 22. und 23. Januar gewidmet, organisiert in
Zusammenarbeit mit der MIDEM von Giornale della Musica,
Le Monde de la Musique und der neuen musikzeitung, die
ihre Zusammenarbeit auf europäischer Basis intensivieren: zu
den Teilnehmern der Gespräche (koordiniert von Barbara Haack,
Daniele Martino und Juan Martin Koch) gehörten Mark Mumford
von Net4Music, David Hurwitz von der amerikanischen Website classicstoday.com,
der italienische Komponist Lorenzo Ferrero, Claude Galliard von
der SACEM (der französischen GEMA) und Peter Hanser-Strecker,
Leiter des einflussreichen deutschen Schott-Verlags.
Im Brennpunkt standen die Perspektiven, die das Internet der E-Musik
bietet ausgehend von der Möglichkeit, ein breiteres
Publikum zu erreichen und die Sichtbarkeit der Künstler zu
verbessern. Hurwitz betonte dennoch auf ganz amerikanische Weise
pragmatisch, nüchtern und klar, dass es nicht einfach ist,
eine Website im Internet in ein Gewinn bringendes Unternehmen zu
verwandeln: Informationen zu sammeln und etwas zu kaufen sind noch
ganz verschiedene Tätigkeiten, und der Großteil der Internetnutzer
praktiziert die erste zwar aktiv, ringt sich aber noch nicht zur
zweiten durch. Schwer zu sagen, wie sich die Dinge entwickeln werden.
Im Moment scheint der effizienteste Weg, sich an ein spezielles
Publikum zu wenden und dabei einen Service mit hoher Qualität
zu bieten, der aber nicht notwendigerweise 360 Grad abdeckt: besser
ein einziger Bereich, der gründlich ausgelotet ist, als eine
Unmenge Geld in den Versuch zu investieren, Allgemeingültigkeit
zu erreichen.
Für die Komponisten von zeitgenössischer Musik gibt
es dagegen kaum Illusionen: nichts, das nicht schon zur Zeit funktioniert,
könnte mit dem Internet sehr viel besser funktionieren. Die
Frage der Isolierung, in der die zeitgenössische E-Musik nach
Jahrzehnten des Desinteresses für die Rezeption des Publikums
angelangt ist, muss noch aufgearbeitet werden. Das Internet kann
dabei eine wertvolle Rolle spielen: es kann zeigen, wie angenehm
viele Neue Musik ist, indem es seine Glaubwürdigkeit als neues,
jugendliches, zugängliches Medium ohne intellektuelle
Einschüchterungen nutzt.