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nmz-archiv
nmz 2001/03 | Seite 55
50. Jahrgang | März
Dossier: Musikwirtschaft
Spannende Klangexkursionen über 4000 Tasten
Musik Hug in Zürich-Glattbrugg: 45 Instrumente in Europas
größtem Flügelsaal
Klavierbauer, Chefstimmer und Werkstattleiter Dirk Jenfeldt öffnet
die Saaltür und bereits der erste Eindruck ist überwältigend:
Flügel aller Größen, soweit das staunende Auge reicht.
Auf 400 Quadratmetern stehen 45 Instrumente fünf bedeutender
Flügelhersteller der Welt zum Probespielen bereit; an erster
Stelle natürlich verschiedene Exemplare von Steinway &
Sons, ist doch Musik Hug einer der größten und ältesten
Vertragshändler und Vertreter dieser weltweit wichtigsten Klaviermarke.
Weiter gibt es verschiedene Modelle von Blüthner, Schimmel,
Yamaha und Grotrian-Steinweg, sowie vom exklusiven italienischen
Flügelhersteller Fazioli. Diese vor 20 Jahren gegründete,
aufstrebende, immer bedeutsamer werdende Firma verfolgt eine eigene
Klangphilosophie und baut den größten, serienmäßig
hergestellten Flügel der Welt.
Eine Tonhalle
der besonderen Art: Hug-Flügelsaal in Zürich.
Foto: Hug
Musik Hug konnte vor einiger Zeit eines dieser 3,08 Meter langen
Instrumente an einen Liebhaber verkaufen. Natürlich darf für
das intensive Vergleichen zwischen den Charakteren der verschiedenen
Instrumente, Ausführungen und Marken auch ein Bösendorfer
nicht fehlen, obwohl Musik Hug hier nicht Firmenvertreter ist. Mit
einem gepflegten Occasionsinstrument ist aber auch diese Marke vertreten,
sodass für ausgiebige Spiel- und Klangvergleiche alle Möglichkeiten
offen stehen. Identische akustische Bedingungen, eine vollautomatische
Luftfeuchtigkeitsregelung und die Möglichkeit, auch an Samstagen
und Sonntagen stundenlang völlig allein und ohne Aufsicht in
aller Ruhe probespielen zu können das alles sind nahezu
ideale Bedingungen. Der Traum aller Pianisten geht in Erfüllung,
heißt es in der Hug-Flügelsaal-Information;
und dass das keine leeren Versprechungen sind, beweisen die ständigen
Besuche großer Pianistinnen und Pianisten, Musikerpersönlichkeiten
und Jazzlegenden. Über die Namen der prominenten Gäste,
die dem Flügelsaal im nahe dem Flughafen Zürich-Kloten
gelegenen Glattbrugg, sowie der im gleichen Gebäude befindlichen
Klavierbau-Werkstatt mit ihren diplomierten Spezialisten einen Besuch
abstatten zum Probespielen und/oder zum Einholen diverser
klangtechnischer und instrumentspezifischer Informationen und Empfehlungen
, wird aus Diskretionsgründen und gemäß deren
Wünschen jedoch Stillschweigen gewahrt.
Musik Hug existiert seit 1807, kann also in sechs Jahren das 200-jährige
Jubiläum feiern. Geleitet wird das Unternehmen von Erika Hug,
einer Vertreterin der sechsten Generation der Familie Hug. Sie ist
seit 1979 für die Geschicke der Firma verantwortlich, die mit
ihren diversen Instrumentbereichen, Werkstätten, Musikverlagen,
Tonträger-, Musikalien- und HiFi-TV-Video-Abteilungen, einem
Kinder-Musikladen, den Filialen in acht weiteren Schweizer Städten,
den Großhandelstochterfirmen Musica Nova AG und Musica Viva
AG sowie der Jubiläumsstiftung Kind und Musik zu
den größten und ältesten ihrer Art zählt. In
den Jahren 1991 bis 1993 konnte der lange geplante Umbau des Stammhauses
am Zürcher Limmatquai und am Großmünsterplatz realisiert
werden und präsentiert sich seitdem mit seinen über 3.000
Quadratmetern als bestes, schönstes und größtes
Musikhaus der Schweiz, wie es stolz in der Familien- und Firmengeschichte
heißt.
Musik Hug war übrigens einer der ersten Abnehmer von Steinway-Flügeln,
woraus sich eine gegenseitige Vertrauenbasis entwickelte, die nun
schon seit über hundert Jahren anhält. Sämtliche
hier erhältlichen Steinways werden im Werk Hamburg hergestellt,
das ganz Europa und Asien beliefert. Das Werk New York liefert demgegenüber
vor allem in den amerikanischen und lateinamerikanischen Raum. Beide
Firmen arbeiten gleichberechtigt und selbstständig, gehören
aber zum gleichen Pianoimperium. Den Herstellungsort kann man übrigens
an der Oberfläche erkennen: Die Hamburger Instrumente erkennt
man an der hochglanzpolierten Polyesteroberfläche, die Flügel
aus New York zeichnen sich durch ein mattes Äußeres aus.
Die Klavierbauer und Techniker der Hug-Werkstatt, welche die Steinway-Konzertflügel
betreuen, haben zu ihrer Lehrzeit und den Volontariaten in den verschiedenen
Hug-Filialen eine Ausbildung in der Steinway-Akademie in Hamburg
zu absolvieren. Das Nonplusultra dieser Ausbildung ist das Steinway-Diplom.
Dieser Abschluss beinhaltet, einen Konzertflügel konzertfähig
zu machen, wozu zum Beispiel das Einbauen neuer Hammerköpfe
gehört sowie der ganze Aufbau des Instruments wie
Regulation, Intonation.
Ein guter Stimmer und Techniker muss aber auch in der Lage sein,
so der aus Hamburg stammende Hug-Werkstattleiter und Klavierbauer
Dirk Jenfeldt, ergänzend zu seinem technischen Können
mit viel Einfühlungsvermögen und psychologischem Geschick
ein gutes Vertrauensverhältnis zum Kunden, zu renommierten
Pianisten und Pianistinnen, aufbauen zu können, was dann Grundlage
für eine möglicherweise jahrelange Beziehung ist. Wenn
zum Beispiel Alfred Brendel ein Konzert gibt, ist stets derselbe
Techniker anwesend, der weiß, welche speziellen Einstellungen
für Regulation und Klanglichkeit beim entsprechenden Instrument
gewünscht sind. Das bedeutet dann jeweils bis zu acht Stunden
Vorarbeit. Andere Interpreten probieren vielleicht zuerst die beiden
in der Zürcher Tonhalle vorhandenen Steinways aus, bevor sie
sich für einen entscheiden, bei dem dann der anwesende Hug-Techniker
eventuelle besondere Wünsche ausführt. Klavierbautechniker
der Firma Hug betreuen zum Beispiel auch die Anlässe der berühmten
Luzerner Musikfestwochen und hier natürlich speziell die alljährlich
im November stattfindenden Piano-Festivals.
Ein Klavierbautechniker muss das hoch komplexe Produkt Flügel,
so Jenfeldt weiter, nicht nur pflegen, sondern auch verstehen können,
denn jedes Instrument ist ein Individium und keines gleicht dem
anderen. Nur auf dieser Basis kann er auf die Eigenarten und den
Charakter eines Instruments und eventuell auch auf die speziellen
Wünsche und Vorlieben eines Kunden oder Besitzers eingehen.
Die zu jedem Instrument gehörende Karte, auf der wie in einer
Art Lebenslauf alle wichtigen Daten, Arbeiten und Eigenarten vermerkt
sind, aber auch die Nummer, die jedes Instrument und den Lieferanten
genau identifiziert, ist dafür eine erste Hilfe, aber nicht
mehr.
Zu den Höhepunkten der letzten Zeit zählen für die
Hug-Werkstätten zum Beispiel die komplette Restaurierung des
Wagner-Flügels aus dem Richard-Wagner-Museum in Tribschen bei
Luzern. Das 1858 gebaute, 2,54 m große Instrument der französischen
Marke Erard, das mit einer ganz eigenen Mechanik ausgerüstet
ist und auf dem Wagner noch selbst gespielt hat, war in schlechtem
Zustand, und es brauchte vier Monate, um das Instrument wieder spielfähig
zu machen. Einen weiteren Werkstatterfolg stellte die Totalrestaurierung
des bekannten Rachmaninoff-Flügels in der jetzt von Rachmaninoff-Enkel
Serge Rachmaninoff bewohnten Villa Senar in Hertenstein am Viewaldstättersee
dar, ein 2,74 m großer Steinway, Modell D, der sich seit 1933
dort befindet. Die Restaurierung gelang so gut, dass der prominente
Pianist Mikhail Pletnev seine 1999 bei der Deutschen Grammophon
erschienene CD Hommage to Rachmaninoff hier aufnahm.
Vieles weiß der Klavierbauer und Hug-Werkstattchef auch
von den einzelnen von Hug vertretenen Herstellern zu berichten.
Etwa von der traditionellen Leipziger Marke Blüthner, die zu
DDR-Zeiten mit grossen Problemen zu kämpfen hatte, aber seit
der Wende wieder zu neuem Leben erweckt wurde. Gebaut wird zwar
nach neuen Kriterien, am beliebten früheren, romantisch weichen
Klangbild wird aber festgehalten. Auch werden wieder die grossen,
2,80 Meter langen Konzertflügel hergestellt, wie überhaupt
jede der grossen Firmen derartige Instrumente baut.
Ein idealer Platz zum Empfinden und Erspüren der Unterschiede
der verschiedenen Instrumente und Marken ist der große Flügelsaal
von Musik Hug in Glattbrugg. Man wechselt zwischen den Instrumenten
hin und her, streichelt dabei diese und jene der rund 4.000 Tasten
mal sanft, setzt sie perlend in Bewegung oder man stellt sie mal
mit donnernden Akkordblöcken auf die Probe. Wer die Wahl hat,
hat dann eventuell auch die Qual. Aha-Erlebnisse sind aber in jedem
Fall garantiert.