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nmz-archiv
nmz 2001/03 | Seite 58
50. Jahrgang | März
Dossier: Musikwirtschaft
Wo sich Tradition und HighTech treffen
Wie man Orgeln und Klaviere baut, lernt man auf dem Ludwigsburger
Römerhügel
Berufs- und Fachschule für Instrumentenbau
hinter dem profanen Namen verbirgt sich eine bundesweit einmalige
Institution: die Schule für Orgel- und Klavierbauer in Ludwigsburg.
Am 30. März 2001 wird sie offiziell Oscar-Walcker-Schule
getauft und trägt damit den Namen des bedeutenden Orgelbauers,
der 1924 die Vorgängerinstitution, die Abendkurse für
Orgel- und Harmoniumbauer gründete. Bis dahin hatten seine
Lehrlinge bei den Flaschnern und bei den Schreinern im Unterricht
gesessen. Neben dem Orgelbau war der Stuttgarter Raum auch ein Zentrum
des Klavierbaus. Ende der 40er-Jahre gab es dort bis zu 60 Klavierbaufirmen,
darunter Namen, die man heute noch kennt, wie Pfeiffer, Schiedmayer
oder Matthaes. 1940 verlegte man die Klavierbauerausbildung von
Stuttgart zu den Orgelbauern nach Ludwigsburg und die Schule erhielt
erstmals die Anerkennung als Meisterschule für Orgel-,
Harmonium- und Klavierbau. Nach dem Krieg entwickelten sich
aus dieser Meisterschule die Landesfachklassen für Musikinstrumentenbau
im Rahmen des heute noch für Handwerksberufe üblichen
dualen Ausbildungssystems. 1960 bezog die Berufs- und Fachschule
für Instrumentenbau erstmals Räume im großen
Schulkomplex auf dem Römerhügel.
Ein angehender Meister umspinnt
eine Basssaite. Fotos: Andreas Kolb
Während früher alle Musikinstrumentenbauerberufe hier
angeboten wurden, gingen zunächst die Geigenbauer und die Zupfinstrumentenmacher
nach Mittenwald. Holzblas- und Metallblasinstrumentenmacher gibt
es ebenfalls nicht nur in Ludwigsburg, sondern unter anderem auch
in Mittenwald, in Marktneukirchen und in Klingental. Heute regelt
die Kultusministerkonferenz, welches Einzugsgebiet welche Schule
hat. Nur für die Orgel und Klavierbauer gibt es nach wie vor
nur eine Adresse, nämlich die Abteilung Musikinstrumentenbau
an der Gewerblichen Schule II am Römerhügel in Ludwigsburg,
demnächst kurz und knapp Oscar-Walcker-Schule.
Die Schule der Ludwigsburger Musikinstrumentenbauer gliedert sich
in zwei Sparten. Zum einen ist da die Berufsschule sie ist
die Schule der Auszubildenden im dualen System. Dazu gehört
eine Klasse Blasinstrumentenmacher mit 10 bis 15 Schülern,
zwei Klassen Klavierbauer mit durchschnittlich 25 Schülern
und zwei bis drei Klassen Orgelbauer mit je um die 65 Schüler.
Klassenteiler in Baden-Württemberg ist 32. In allen drei Jahrgängen
der Berufsschule lernen etwa 180 bis 200 Orgelbauer, etwa 150 Klavierbauer
und etwa 40 bis 50 Blasinstrumentenmacher. Die Akkordeonbauer sind
eine Minderheit, meist nur zwei, drei oder vier Schüler.
Abschluss dieser Berufsschule ist die Gesellenprüfung. Wegen
des großen Einzugsgebiets findet der Untericht als Blockunterricht
statt, dazwischen arbeiten die Lehrlinge bei ihren jeweiligen Ausbildungsfirmen
im gesamten Bundesgebiet.
Alter Zugangsberechtigung
Alle diese Berufe sind normale Ausbildungsberufe,
so Studiendirektor Friedemann Frasch, Leiter der Abteilung Musikinstrumentenbau.
Als Qualifikation benötigt man Haupt- und Realschulabschluss,
Abitur, handwerkliches Geschick, Interesse am Beruf, Zugang zur
Musik und gutes Gehör. Instrumentenbauer sind aber auch
Berufe, die hohe Anforderungen stellen an die physikalisch-mathematischen
Fähigkeiten der jungen Leute. Daher ist die Zahl der
Hauptschulabgänger relativ gering, etwa die Hälfte der
Schüler sind Abgänger aus der Realschule, etwas mehr als
ein Drittel sind Abiturienten. Dazu Frasch: Für Abiturienten
bieten wir Management im Handwerk an, eine vertiefte betriebswirtschaftliche
Ausbildung inklusive Wirtschaftsenglisch, technisches Englisch und
Computertechnik. Man legt den sogenannten Computerführerschein
der Handwerkskammer (Computerschein A) ab und hat mit dem Abschluss
zum Betriebsassistenten vor der Handwerkskammer bereits Teil 3 der
Meisterprüfung erworben. Mit dieser Qualifikation können
die jungen Instrumentenbauergesellen auch im Organisationsbereich
ihres Handwerksbetriebs tätig sein.
Werkstattleiter Schaible mit
einer Renner-Mechanik
Das zweite Standbein ist die Bundesfachschule für Klavier
und Cembalobau sowie für Orgel- und Harmoniumbau. Damit
ist schon angedeutet, sagt Frasch, dass wir eine bundesweit
tätige Fachschule für angehende Meister sind. Dabei ist
der deutsche Meisterbrief noch heute ein gefragter Qualifikationsnachweis
in vielen anderen Ländern: Die Ludwigsburger Fachschule für
Instrumentenbauer besuchen daher angehende Meister aus Amerika,
Japan und anderen Ländern in Fernost, um sich fortzubilden.
Die Meisterkurse finden im jährlichen Wechsel von Klavier-
und Orgelbauern statt. Während bei den Klavierbauern nicht
alle aufgenommen werden konnten, ist es wahrscheinlich, dass der
nächste Orgelbauer-Meisterkurs um ein Jahr verschoben werden
muss, um die Klasse zu füllen.
Das kann eine Reaktion auf die Arbeitsmarktlage im Orgelbau
sein, spekuliert Frasch. Dort herrscht nämlich gerade
eine abschwächende Konjunktur vor. Dies ist vor allem an den
Lieferzeiten für eine Orgel zu erkennen. Eine übliche
Lieferzeit betrug bis vor kurzem drei Jahre. Diese Lieferzeiten
schrumpfen momentan. Die Aussichten für Orgelbaugesellen sind
derzeit nicht so rosig. Dennoch, gibt Frasch sich optimistisch,
gute Orgelbauer sind nach wie vor gesuchte Leute, aber die
Firmen sind sehr anspruchsvoll geworden, es werden hohe Qualifikation
und Mobilität gefordert.
Bei den Klavierbauern sind die Chancen besser. Im Augenblick
haben wir einen sehr guten Markt, sagt Christoph Knippel,
Fachgruppenleiter Klavier- und Cembalobau. Vor einigen Jahren
hat es noch viele gegeben, die nach der Ausbildung keine Stellen
fanden. Im Augenblick werden händeringend gute Leute gesucht.
Das liegt nach Knippels Einschätzung daran, dass sich die
Konjunktur im Klavierbau spürbar gebessert hat. Gute Leute
sind offensichtlicht nicht genug auf dem Markt. Und so zählt
die Ludwigsburger Schule statt etwa 30 jetzt 40 bis 45 Auszubildende
(AZUBIS) pro Jahrgang.
Wie wird man Klavierbauer?
Die Auswahl der geeigneten Lehrlinge geschieht im Ausbildungsbetrieb.
In die Fachschule kommen die Lehrlinge dann, wenn sie ihre gesetzlich
vorgeschriebene Berufsschulausbildung machen. Die Oscar-Walcker-Schule
bietet eine gemeinsame Ausbildung für Handwerk und Industrie:
das heißt sowohl für Leute, die im herkömmlichen
Sinn Klaviere bauen, zum Beispiel in einer Klavierfabrik, als auch
für diejenigen, die in einem Handwerks- und Servicebetrieb
sind, darunter sind Musikhäuser und Piano-Häuser zu verstehen,
die eine Werkstatt haben. Hier werden Instrumente gewartet und repariert.
In vielen Fällen geht der Betreffende dann in den Außendienst,
wenn er gut genug ist, etwa zum Stimmen.
Klavierbau ist keine reine
Männerdömane: eine Meisterschülerin
Welch großen Raum das Stimmen im Beruf des Klavierbauers
einnimmt zeigt sich auch in der Ausstattung der Werkstätten
in der Ludwigsburger Klavierbauschule. Acht schalldichte Stimmkabinen
ermöglichen das Üben bis zur Perfektion. Schließlich
muss jeder Meister in der Lage sein, ein Instrument nicht nur zu
bauen, sondern auch zu stimmen.
Bei der Ausstattung der Stimmkabinen halfen Sponsoren von Steinway
bis Blüthner. Dabei sind nicht nur neuwertige, sondern ruhig
auch ramponierte Instrumente erwünscht. Denn die werden durch
die Auszubildenden so weit wieder in Stand gesetzt, dass sie wieder
bespielbar sind. Auch in der Abschlussprüfung nimmt Stimmen
einen wichtigen Anteil ein. Zusätzliche Möglichkeiten
der Quali- fikation bieten die Stimmseminare und Stimmwettbewerbe
des Bundes deutscher Klavierbauer. Hier kann man sich neutral, im
Vergleich mit Kollegen, testen lassen und ist nicht ausschließlich
auf Betrieb und Schule angewiesen.
Doch Stimmen ist nicht alles: Heute muss ein Klavierbauer alle
marktgängigen Systeme vom E-Piano bis zur Stummschaltung beherrschen.
Wir legen Wert darauf, so Werkstattleiter Schaible beim
Rundgang durch die neugebauten Werkstätten, dass unsere
Abgänger fit in neuen Technologien sind. Da wäre zunächst
die Stummschaltung, die MIDI-Technik oder das digitale Klavier zu
nennen. Da ist unsere Schule über EU-Förderung im Leonardo-Programm
mit Franzosen, Norwegern und anderen dabei, diese neuen Technologien
auch für die Schule nutzbar zu machen. Das nötige
Know-how vermittelt außerdem ein schuleigener
Mechatroniker, der permanent die neuesten Entwicklungen auf dem
Markt untersucht.
Knippel legt Wert darauf, dass die Fachschule keine Fertigkeiten
vermitteln kann und will. Dafür ist der Betrieb zuständig.
Die Schule bietet dann in engem Kontakt zum Training und
zur Arbeit in den Ausbildungsfirmen wissenschaftlichen Unterricht
im Klassenzimmer und vermittelt Kenntnisse in der Werkstatt. Aufgabe
der Werkstatt ist die Verbindung zwischen Theorie und Praxis. In
die Meisterschule laden wir tageweise auch Klavierkonstrukteure
ein sagt Knippel, damit eine enge Verbindung zwischen
diesen zu Forschung, zur Entwicklung im Klavierbau da ist.
Eine Männderdomäne ist der Beruf des Klavierbauers längst
nicht mehr. Auf dem Gebiet des Cembalobaus sind oft 50 Prozent der
Schüler Frauen (bei kleinen Klassenstärken allerdings).
Bei den Klavierbauern selbst ist der Frauenanteil nicht ganz so
hoch, aber es gibt immer wieder weibliche Auszubildende und auch
weibliche Meisterschüler. Dieses Jahr sind unter 16 Klavierbaumeisterschülern
zwei Frauen.
Die Schüler sollten nach der Ausbildung nicht nur den aktuellen
Stand der Klaviertechnik kennen. Sie müssen sich auch auseinander
setzen mit den Anforderungen von Konzertsaal, Musikschule und nicht
zuletzt den Bedürfnissen der Interpreten.
Natürlich werden im Flügelbau Technik, Klang und Anschlag
am Marktführer Steinway gemessen. Es gibt aber genug
Hersteller, so Knippel, die in andere Klangrichtungen
gehen, wie die Firma Blüthner, deren Klangideal noch mehr in
die Romantik hineingeht, oder auch Bösendorfer in Wien, oder
die Newcomer Firma Fazioli in Italien, die erst seit
20 Jahren da sind.
Dass im Moment überall weltweit der Steinway steht, liegt
nicht nur an der Qualität des Instruments sondern auch an der
Qualität des Services durch die Klaviertechniker. Die
Großen können da ganz anders investieren, weiß
Knippel. Bei den kleineren Firmen, die vielleicht 200 Instrumente
im Jahr herstellen, ist natürlich nicht diese finanzielle Kapazität
dahinter. Die sind auf gute Vertretung vor Ort angewiesen.
Hier beginnt die wichtige Arbeit der einzelnen Pianohäuser
vor Ort (siehe auch Bericht über den Hug-Flügelsaal auf
Seite 55).