[an error occurred while processing this directive]
nmz-archiv
nmz 2001/03 | Seite 50
50. Jahrgang | März
Dossier: Musikwirtschaft
Die Stärke liegt in der Klangerhaltung
Ursula Seiler und ihre ganz besondere Firmenphilosophie ·
Ein Porträt
Ursula Seiler, jetzige Firmenchefin der international bekannten
Klavierbaufirma Seiler Kitzingen, war gerade auf dem (Karriere-)
Sprung nach Atlanta zum internationalen Großkonzern Coca-Cola,
wo sie als weit gereiste Sprachenstudentin mit viel Auslandserfahrung
in der europäischen Niederlassung in Essen angefangen hatte
zu arbeiten, als das Schicksal sie als Dolmetscherin zur Frankfurter
Musikmesse und zur Firma Seiler verschlug. Ihre Mutter hatte erfahren,
dass Steffen Seiler verzweifelt noch eine Sprachendame
für die Messe suche, Ursula Seiler nahm Urlaub und den Job
an. Aber es war bald nicht nur die Liebe zum Firmenchef, sondern
auch seine Philosophie der Unternehmensführung und die außergewöhnlich
schönen Flügel und Pianos, die sie faszinierten: Die
Möglichkeit der Mitarbeiter, die eigenen Gedanken selbstverantwortlich
umsetzen zu können, hat sie begeistert, das war
der Unterschied auch zu Coca-Cola.
Geballte Frauenpower: Firmenchefin
Ursula Seiler (li.) mit der Erbin und
Nachfolgerin Manuela Seiler. Foto: Seiler
Kennen gelernt hatte Steffen Seiler, der 1998 starb und dessen
Werk nun seine Frau Ursula weiter führt, diese Offenheit in
Skandinavien, wo er nach dem Verlust der Produktionsstätten
in Liegnitz im damaligen Schlesien nach 1945 wieder ganz von vorne
anfangen musste. Alles was er aus einer fast 100 Jahre alten Firmentradition
retten konnte, waren die zersägten Gussplatten-Modelle und
Schablonen, die er in einem Rucksack über die Grenze trug.
In Dänemark fand der mutige junge Mann, der sein Klavierbauerhandwerk
unter anderem in der Metropole der Klavierbaukunst in Wien
gelernt hatte, eine Zwischenheimat. Dort baute er nach alter
Tradition, die 1849 von seinem Vorfahren Eduard Seiler, seinerseits
Schreiner und Musiker, begründet worden war, sein erstes Klavier,
mit dem er gar nicht zufrieden war. Dieselbe Unzufriedenheit hatte
schon Eduard dazu veranlasst, sein erstes Klavier zu bauen, denn
der engagierte Pianist war mit den importierten ausländischen
Modellen einfach nicht glücklich.
1961 erstand Steffen Seiler, als er Verwandte in Nürnberg
ausfindig machen konnte, eine ehemalige Schreinerei im fränkischen
Kitzingen und gründete den westdeutschen Zweig der Traditionswerkstätten.
Der Kreis schließt sich: schon während der Nachmesse-Arbeiten
wuchsen Ursula Seiler die Klaviere und vor allem die Menschen ans
Herz: Das Wunderbare in diesem Umfeld ist vor allem der persönliche
Kontakt zu Künstlern und Händlern wie gerade kürzlich
französische Gäste bei einem Wochenendkurs: die fühlen
sich so wohl und drücken einem so fest die Hand... Ich kann
mir nicht vorstellen, dass es in einer anderen Branche so herzlich
zugeht.
Die Entwicklung des Klangs
Heutzutage genügt es auf einem heiß umkämpften
Markt aber nicht mehr, nur den unverwechselbaren transparenten
Klang der Seiler-Instrumente über die Jahrzehnte hinweg aufrecht
zu erhalten und ein Produkt zu schaffen, auf das man sich 80 Jahre
oder auch länger verlassen kann: Die Konzeption unseres
Klavierbaus ist so ausgerichtet, dass sich die Schönheit des
Klanges in den Folgejahren veredelt, das heißt wenn sie heute
ein Instrument im Handel kaufen, ist die Klangschönheit eines
echten Seilers noch ausbaufähig. Das ist unsere Philosophie.
Steffen Seiler war überdies ein so kreativer Mann, dass er
beinahe jeden Tag mit einem neuen Gedanken, einer neuen Idee aufwartete.
Am Anfang hat mich das nervös gemacht, weil das, was
wir am Tag vorher beschlossen hatten, am nächsten Tag schon
wieder hinfällig war. Heute begreife ich, dass das sehr wichtig
war. Diese vielen Veränderungen haben uns den Ruf eingebracht,
den wir haben. Die klavierbauerischen Erfindungen und Patente
können sich sehen lassen: das Seiler Membrator-System (1983),
der erste voll midifizierte akustische Flügel (1987), eine
Super-Magnet-Repetitions-Mechanik (1993) oder der Tonvolumen-Stabilisator
(1995). 1996 stellte Seiler den EliteTrainer vor, das weltweit einzige
voll midifzierte Übungsinstrument mit kompletter Flügelmechanik
und Dämpfung zum lautlosen Üben (DuoVox-System). Eine
weitere Nische wurde durch die Verwendung der besonderen Furnierhölzer
gefunden, über 70 hat Seiler im Angebot. Trends wie das ApfelbaumKlavier
wurden kreiert, ein wichtiger Zweig für eine Firma, die zirka
Dreiviertel ihrer Flügel ins Ausland, vor allem nach Amerika
liefert. Dort stellt sich nämlich auch ein Privatmann einen
nach Wunsch gefertigten 2,40-Meter-Flügel in die Wohnung. Trotzdem
bleibt es für Ursula Seiler als deutsche Herstellerin wichtig,
auf dem deutschen Markt präsent zu sein. Aber es war und ist
nicht nur die Weiterentwicklung der Technik, was die Firmenchefin
bewegt, sondern auch die Menschen, die Klavier spielen: zum 150-jährigen
Firmenjubiläum 1999 wurde der 1. Internationale Klavierwettbewerb
Kitzingen zur Förderung junger Pianisten und das Klavierfestival
Kitzingen am Main ins Leben gerufen: Was ich immer wieder
als Herausforderung empfinde, das ist die Begeisterung des Publikums,
das gemeinsame musikalische Erlebnis. Es bildet sich eine Gemeinsamkeit;
vormals Fremde stehen nach dem Konzert zusammen, es wird über
die Musik gesprochen das macht uns Freude.
Förderung der Klaviermusik
Ebenfalls 1999 wurde im Andenken an den 1998 Verstorbenen der
Steffen Seiler Verein zur Förderung der Klaviermusik gegründet:
Zeit seines Lebens hat er sich sehr um junge Klavierbauer
gekümmert, menschlich und finanziell auch um junge Pianisten.
Wenn Feste gefeiert wurden, wurden immer junge Menschen aus dem
Umfeld eingeladen zu spielen. 1997 riefen wir das erste Seiler Klavierfestival
ins Leben, es war ein Test, um auszuprobieren, ob die Leute aus
der Umgebung darauf ansprechen. Wir wollen zeigen, wer wir sind,
nämlich Klavierbauer. Wir wollen nicht nur elitäre Pianisten,
sondern auch junge Talente spielen lassen. Wir sind Hersteller und
möchten zum Ausdruck bringen, wie schön Musik ist. Das
ist der Hintergrund.
Ein weites Feld
Inzwischen haben sich die Aktivitäten des Vereins bereits
erweitert: es gibt einen Steffen-Seiler-Gedächtnis-Preis für
die feinsinnigste Chopin-Interpretation, der Verein sponsert internationale
Wettbewerbe, Festivals und Meisterkurse in ganz Europa und versucht,
auch die östlichen Länder mit zu integrieren. Aber auch
der Laien- und der soziale Bereich sollen nicht außer acht
gelassen werden, denn auch die breite Förderung der Klaviermusik
liegt Ursula Seiler und ihrem Team am Herzen: Wir wollen möglichst
vielen Menschen nahe bringen, dass aktiv Musik zu machen etwas Wunderbares
ist, eine Bereicherung des Lebens. Und das hängt nicht vom
Niveau ab. 80 Prozent aller Menschen in Deutschland wollen
Klavier spielen, über Finanzierungsmöglichkeiten etwa
will der Verein helfen, dass sich mehr Leute das Spielen leisten
können.
Optimistisch in die Zukunft
Die nächste Generation steht schon in den Startlöchern:
Tochter Manuela, Diplom-Pianistin, macht gerade ihren Diplom-Kaufmann
und hat sich entschlossen, in die Firma einzusteigen. Bereits 1994
hat sie noch mit ihrem Vater an jedem Arbeitsplatz zur Herstellung
von Flügeln und Pianos gearbeitet. Sie ist eine 100-prozentige
Kopie ihres Vaters, hat auch sein technisches Talent, seine musikalische
Begabung und seine Stärke er hat alles dagelassen.
Am Ende des Interviews hat sich die Schlussfrage eigentlich von
selbst erledigt, woher nimmt Ursula Seiler ihre Stärke, das
Unternehmen so weiterzuführen: Freude und Dankbarkeit
mein Beruf ist mein Hobby, es ist wirklich so.