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nmz-archiv
nmz 2001/03 | Seite 59
50. Jahrgang | März
Dossier: Musikwirtschaft
Die Klangregie macht erst die Musik
21. Tonmeistertagung vom 24. bis zum 27. November 2000 in Hannover
Tonmeister, das sind Menschen, die von Berufs wegen zwischen den
Stühlen sitzen, auf der Schnittstelle zwischen Kunst und Technik,
zwischen Kreativität und DIN-Normen. Alle zwei Jahre lädt
der Verband Deutscher Tonmeister (VDT) dazu ein, aktuelle Forschungen
und Entwicklungen rund um den guten Ton zu präsentieren und
zu diskutieren. Vom 24. bis 27. November 2000 traf man sich diesmal
in Hannover zur 21. Tonmeistertagung.
Und es gab Grund zum Feiern: Der Berufsverband wurde vor 50 Jahren
gegründet. Aus diesem Anlass war eine Ausstellung mit Exponaten
aus fünfzig Jahren audiotechnischer Entwicklung am Rande der
Tagung zu besichtigen. Darin waren Schätze ausgestellt wie
die Vierspur-Bandmaschine, auf der das legendäre Beatles-Album
Sgt. Peppers Lonely Hearts Club Band produziert
wurde, oder das Mikrofon, über das Elvis sein Muss i
denn zum Städtele hinaus in den Äther schickte.
Fotos: Aus einer Broschüre
des Verbandes Deutscher Tonmeister (VDT)
Auch in den Vortragsreihen machte sich das Jubiläum bemerkbar.
Immer wieder wurde bilanziert, denn audiotechnische Revolutionen
sind gegenwärtig nicht in Sicht. Vornehmstes Ziel ist die Wahrung
der erreichten Klangqualität. Eng verbunden ist dieses Anliegen
mit einer sinnvollen Zusammenarbeit zwischen Forschung, Geräteindustrie
und den Tonträgerherstellern. Gleichzeitig sind diese Gruppen
die tragenden Säulen der Tonmeistertagung: auf der einen Seite
die wissenschaftlichen Vortragsreihen mit gut hundert Einzelbeiträgen
an vier Tagen, auf der anderen Seite die Messe mit 450 Firmen auf
8.000 Quadratmetern. Die wachsende Zahl der Aussteller war auch
der Grund für den Umzug von Karlsruhe nach Hannover. Schließlich
ist man bei der Ausrichtung einer so umfangreichen Tagung mit gut
4000 Teilnehmern auf die Industrie angewiesen.
Im Mittelpunkt der wissenschaftlichen Beiträge standen, neben
den klassischen Themen rund um die Tonaufnahme, Speicherung und
Wiedergabe, neuere Entwicklungen wie die Surround-Technik, virtuelle
Akustik und audiotechnische Aspekte des Internets. So versammelte
ein Roundtable zum Thema Multimedia Chance oder Bedrohung
des Rundfunks durchaus kontroverse Argumentationen zum Zusammenspiel
von Rundfunk und Internet.
Neu ist, dass im Bereich des Internets Impulse vielfach von Branchenfremden
ausgehen und somit die Tonqualität nicht zwangsläufig
im Vordergrund steht. So diagnostizierte Tonmeister Peter Burkowitz
in seinem Vortrag Der Ton, das Stiefkind der Medien
einen Richtungswechsel in der audiotechnischen Entwicklung. Erstmals
in der Geschichte der Audiotechnik werde die Klangqualität
durch Datenreduktion eingeschränkt. Er bezeichnete dieses Verfahren
ironisch als produktgerecht optimierten Sound. Diese
Kritik ist vor dem Hintergrund einer Entwicklung zu verstehen, deren
Ziel immer die Verbesserung der Klangqualität war. Selbst wenn
die Zukunft unendliche Speicherkapazitäten bereithielte, also
multimediale Anwendungen mit dem erreichten Standard der Tonqualität
möglich wären, wird mit der Anwendung der Datenreduktion
ein neuer Maßstab gesetzt, der gegenwärtig mit einem
Niveauverlust der Hörerfahrung verbunden ist.
Nicht zu unterschätzen ist die Leistung des Rundfunks bei
der Erschließung neuen Repertoires. So stand die Wahrnehmung
des öffentlich-rechtlichen Kulturauftrags gleich in der Begrüßungsansprache
des Präsidenten des VDT Günter Griewisch in der Schusslinie
der Kritik. Die Verantwortlichen sollten sich wieder mehr der zentralen
Aufgabe widmen, kulturelle Leistungsträger zu sein, endlich
wieder Geld für Künstler ausgeben und Personal einstellen,
das direkt im Dienst dieser Kunstförderung steht, beispielsweise
Tonmeister.
Mit der Verortung des Tonmeisters im Produktions- und Reproduktionsprozess
von Musik beschäftigte sich eine eigene Vortragsreihe unter
dem Titel Klanggestaltung. Hier standen inhaltliche
Aspekte des Berufs, der vielfach als Berufung gedeutet wird, im
Vordergrund. Der Bogen spannte sich von Reflexionen über Walter
Benjamins Aufsatz Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen
Reproduzierbarkeit über die Klangestaltung in der Popmusik,
neue Klangsyntheseverfahren wie das Physical Modeling bis zur Klangregie
bei live-elektronischer Musik. Nicht nur in diesem Rahmen ist Elektroakustische
Musik ein Nischenthema. Vielerorts wird von einer Krise dieser zeitgenössischen
musikalischen Strömung und nicht zuletzt der Studios für
Elektronische Musik gesprochen. Aktuelles Beispiel ist der bevorstehende
Umzug des WDR-Studios für Elektronische Musik in eine ungewisse
Zukunft. Jedoch dürften sich aus den Forschungen im Bereich
der virtuellen Akustik neue Gestaltungsmöglichkeiten und kompositorische
Perspektiven ergeben.
Mit dem Instrumentarium der virtuellen Akustik können Menschen
in beliebige auditive Scheinwelten, zum Beispiel einen Konzertsaal,
ein Studio oder ein Auto, versetzt werden. Der Begriff Scheinwelt
meint in diesem Zusammenhang lediglich, dass man sich realiter an
einem anderen Ort, zum Beispiel im Wohnzimmer, befindet, an dem
dann eine als natürlich empfundene, also unserer Hörwahrnehmung
bekannte Umgebung, simuliert wird. Sehr eindrucksvoll war in diesem
Zusammenhang die Präsentation der an der Universität Delft
entwickelten Schallfeldsynthese. Ein Ausschnitt des Concertgebouw
in Amsterdam war akustisch vermessen worden. Diese Messergebnisse
werden dann sozusagen der Musik hinzugemischt. So ist es möglich,
den Hörer zu Hause an bestimmte Plätze im Konzertsaal
zu versetzen oder auch die Instrumente an verschiedene Orte im Raum
zu projizieren. Zur Wiedergabe wird in Ohrhöhe eine Leiste
mit Lautsprechern entlang der Wände gezogen. Das Ergebnis ist
ein überzeugendes räumliches Hörerlebnis. Auch mit
Visionen wie ganzen Klangtapeten wird schon experimentiert. Vielleicht
wird man bei der Renovierung einer Wohnung zukünftig nicht
nur über die Wandfarbe, sondern auch über die Klangfarbe
des Raumes nachdenken können. Bislang werden die Techniken
virtueller Akustik genutzt, um zum Beispiel bei der Planung neuer
Konzertsäle vorher in die Akustik hineinzuhören. Auch
eine Dokumentation nicht ständig bestehender Räume ist
denkbar. Ein zeitlich begrenzter Bau wie etwa das EXPO-Konzerthaus
könnte akustisch dokumentiert werden, so dass nachträglich
simuliert werden könnte wie Musikaufführungen dort geklungen
haben. Besonders die Elektroakustische Musik hätte mit diesen
Techniken endlich ein adäquates Gestaltungsmittel für
Raumklangkompositionen zur Hand. Jedoch stecken diese Forschungen
noch in den Anfängen, so dass an eine Nutzung im Heimbereich
noch lange nicht zu denken ist.
Insgesamt bot die 21. Tonmeistertagung eine Präsentation des
aktuellen Forschungsstandes in den einzelnen Bereichen der elektroakustischen
Technik. Wirkliche Neuerungen oder einschneidende Impulse waren
nicht zu verzeichnen. Auch die Messe war mehr ein Forum für
das Gespräch mit den Herstellern als ein Schauplatz der Neuigkeiten.
Trotz einiger Kontroversen zur Perspektive neuer Techniken waren
sich in einem Punkt alle einig: Hören heißt Lebensqualität.