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nmz-archiv
nmz 2001/03 | Seite 34
50. Jahrgang | März
IG Medien
Fachgruppe Musik
Streik bei Cats Tarifvertrag durchgesetzt
Tarif-Eckdaten sollen Grundlage für weitere Stella-Produktionen
werden · Von Susann Witt-Stahl
Die Arbeitnehmer von Cats haben den ersten Tarifvertrag in der
Musical-Branche erstreikt. Nachdem die Beschäftigten am 15.
Januar in den Arbeitskampf getreten waren, musste der Stella-Konzern
den Spielbetrieb im Operettenhaus an der Reeperbahn komplett einstellen.
13 Tage vor der geplanten Abschieds-Gala Cats soll nach 15
Jahren Spieldauer seinen Standort nach Stuttgart verlagern
hatte ein dramatischer Countdown begonnen: Der Arbeitgeber musste
einer unerschütterlichen Streikfront ins Auge sehen. Ein desaströser
Abgang des Erfolgsmusicals rückte in bedrohliche Nähe.
Hinzu kam, dass der Arbeitgeber eine Ausweitung des Theater-Streiks
auf andere Stella-Produktionen zu befürchten hatte. Nach elf
Tagen Nervenkrieg lenkte der Konzern ein.
Dieser Ausgang war nicht mehr unbedingt zu erwarten, denn noch
wenige Tage vor Vertragsabschluss hatte sich das Stella-Management
anfangs mit trotzigen Durchhalteparolen, später mit
beharrlichem Schweigen in seinem Hauptquartier an der Stresemannstraße
einbetoniert (die nmz berichtete). Die Konzernleitung hatte den
Boden rationaler wirtschaftlicher Entscheidungen längst aufgegeben,
um sich hinter einem ebenso ideologischen wie anachronistischen
Schutzwall (Stella muss tariffreie Zone bleiben) zu
verschanzen. So verabsäumte sie es dann auch nicht, ihre Niederlage
in ungeahnte Höhen zu treiben und sich mehr und mehr ins Abseits
der öffentlichen Meinung zu manövrieren.
Daran konnte auch eine Verlautbarung am neunten Streiktag, die
Stella beabsichtige, dem Deutschen Bühnenverein beizutreten,
nicht mehr rütteln. Nun lautete die neue Parole aus dem Management-Bunker:
Tarifverträge für alle Beschäftigten in den Stella-Theatern!
In dem Wissen, dass zurzeit alle Tarifverträge zwischen Bühnenverein
und IG Medien gekündigt sind und der Arbeitgeberverband keine
Tarifverträge für Beschäftigte im Backstage-Bereich
vorzuweisen hat, mussten die Gewerkschafter das scheinbar verlockende
Angebot der Stella als belanglose Nebelbombe werten.
Welle der Solidarität
Die Hamburger Gazetten unkten bereits: Jetzt auch Streik
beim Phantom?. Kein Wunder, denn der Tarif-Flächenbrand
war tatsächlich entfacht: Die Beschäftigten des zweiten
Stella-Musicals in Hamburg, Phantom der Oper, hatten
ihren gewerkschaftlichen Organisationsgrad schlagartig erhöhen
können, ohne Zögern eine Tarifkommission gebildet und
dem Arbeitgeber eine Frist von zwei Tagen eingeräumt, um Verhandlungsbereitschaft
zu erklären.
Die Cats-Mannschaft indes schwebte auf einer Welle internationaler
gewerkschaftlicher Solidarität. Sie sorgte dafür, dass
während ihrer abendlichen Kundgebungen eine Bombenstimmung
herrschte. Die sangesfreu- digen Arbeitnehmer huldigten der Ästhetik
des Widerstands und versäumten nicht, sich ein beachtliches
Repertoire an Durchhalte-Liedgut zu erarbeiten. Mit Darbietungen
wie Ein Streik, ein guter Streik, das ist das Beste, was es
gibt auf der Welt... und wenn die Stella auch in Scherben fällt
stimmten sie nicht nur weite Teile des enttäuschten Publikums
versöhnlich, sondern unterhielten auch die Kollegen aus den
Druckerbetrieben, die mit Glühweinfässern aus dem Hamburger
Umland angereist waren. Vor Augen der konsternierten Geschäftsführerin,
die sich zur täglichen Beobachtung des Spektakels einen einsamen
Fensterplatz im Rangfoyer gesichert hatte, baute dann auch noch
die Damenmannschaft des FC St. Pauli Fußballtore auf dem Vorplatz
des Operettenhauses auf und forderte die Beschäftigten zu einem
Soli-Match. Die Streikfront präsentierte sich gut gelaunt und
machte vor allem eines deutlich: Wir werden nicht aufgeben!
Nach zehn erfolgreich bestreikten Vorstellungen hatte der Konzern
einen Abstiegsplatz in der Tabelle der Publikumsgunst
ergattert. Plötzlich zeigten die Stella-Bosse Einsicht. Drei
Tage vor dem drohenden Debakel, die Hamburger Medienwelt hatte bereits
einen jammervollen Abgesang auf das einst so glanzvolle Musical-Wunder
an der Reeperbahn angestimmt, unterzeichnete die Geschäftsführung
den Manteltarifvertrag.
Bis auf die Erhöhung des Jahresurlaubs hatten die Gewerkschafter
alle wesentlichen Forderungen durchgesetzt: Besitzstandswahrung
für die verbleibenden Beschäftigten bei betriebsbedingten
Änderungen der Tätigkeiten, Abfindungen für alle
derzeit und zukünftig ausscheidenden Arbeitnehmer sowie Anrechnung
von Betriebszugehörigkeiten bei Übernahme in andere Produktionen
des Stella-Konzerns.
Cats-Tarif wird Grundlage
Gleiches gilt für den Sozialplan, der nach nervenaufreibenden
Formulierungsstreitigkeiten mit der ursprünglich vereinbarten
Abfindungssumme (1,825 Millionen) abgeschlossen wurde. Ferner sicherte
der Musical-Konzern zu, die Eckdaten des Cats-Tarifvertrages als
Grundlage für die anderen Stella-Produktionen zu behandeln
und demnächst in Verhand- lungen über Vergütungserhöhungen
einzutreten.
Bundesfachgruppenvorstand Peter Faelske, der als Cats-Betriebsratsmitglied
den Arbeitskampf hautnah miterlebt hatte, ist mächtig stolz
auf seine Kollegen, die ihre Interessen selbst in die Hand
genommen haben. Der Streik habe bewiesen, dass dieses scheinbar
antiquierte Mittel auch in dieser Zeit enorme Durchsetzungskraft
haben kann. Bundesfachgruppensekretär Wolfgang Paul, der als
Verhandlungsführer der IG Medien nicht nur bewundernswerte
Ausdauer, sondern auch geniales Geschick bewiesen hatte, äußerte
sich zufrieden mit dem Ergebnis. Weniger bescheiden
präsentierte sich die Cats-Belegschaft: Die Ex-Streikfront
intonierte Sieges-Hymnen und feierte ihren Erfolg im Vereinsheim
des FC St. Pauli bis zum Morgengrauen.