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nmz-archiv
nmz 2001/03 | Seite 9
50. Jahrgang | März
Kulturpolitik
Deutsche Jazz-Botschafter und die hohe Politik
Die Marc Secara Group spielte in Teheran das erste Jazzkonzert
seit zwei Jahrzehnten
Erst vor wenigen Wochen besuchte Bundestagspräsident Wolfgang
Thierse Staatspräsident Khatami in Teheran. Sein Besuch war
ein deutliches Zeichen für den Wunsch der Bundesregierung,
die Beziehungen zu den liberalen Kräften im Iran trotz der
Vorkommnisse um die Inhaftierung und Folterung von iranischen Teilnehmern
einer Konferenez der Heinrich Böll-Stiftung in Berlin aufrecht
zu erhalten. Wie groß der Wunsch nach Liberalisierung in der
iranischen Gesellschaft und auch im dortigen kulturellen Leben ist,
zeigt ein eindrücklicher, leicht gekürzter Reisebericht
von Marc Secara, der mit seiner Band (Marc Secara, Gesang, Patrick
Braun, Saxophon, Querflöte, Claus Dieter Bandorf, Piano, Ralph
Graessler, Bass, Jens Dohle, Schlagzeug, Markus Fritzsch, Tonmeister)
im Februar 2001 in der iranischen Hauptstadt Teheran gastierte.
Schauplatz des jährlichen
Fadschr-Festivals: die Teheraner Vahdat-Halle.
Zu Zeiten des Schahs gaben hier Karajan und Frank Sinatra
Konzerte.
Foto: Secara
Einmal im Jahr findet in Teheran das wichtigste musikalische Großereignis
des Landes, dass sogenannte Fadschr (Sieg-) Festival
statt. Man feiert die Rückkehr des großen Revolutionärs
Ajatollah Khomeini aus dem Exil vor 22 Jahren. Nachdem im vergangenen
Jahr schon ein deutsches Stubenmusiktrio zu Gast war, sollte nun
erstmals seit 1979 wieder eine Jazzformation im Land auftreten.
Das war die Idee und das ehrgeizige Projekt der Kulturreferenten
der Deutschen Botschaft in Teheran, Dietrich Bettermann und Patrick
Heinz.
In enger Zusammenarbeit mit der Verbindungsstelle für Internationale
Beziehungen des Deutschen Musikrats und des Auswärtigen Amtes
wurden alle Weichen für ein Gelingen der Konzertreise gestellt.
Der Jazz und die Mullahs
Jazz, Pop und Rockmusik sind im Iran seit der Revolution verboten.
Platten westlicher Gruppen gibt es nur auf dem Schwarzmarkt und
Livekonzerte gibt es überhaupt nicht. Doch die Situation hat
sich in den letzten Jahren geändert: durch Internet und Satellitenschüsseln
kann heute jeder Iraner die Informationen bekommen, die er will.
Der Druck der Öffentlichkeit wächst, und der Wunsch nach
Lockerung der strengen Regeln und nach Öffnung Richtung Westen
wird immer stärker. Insofern ist es doch eine kleine Revolution,
dass eine Jazzband aus Europa auf Konzertreise im Iran sein darf.
Zumal die gesungenen Texte in englischer Sprache sind.
Bevor die Marc Secara Group jedoch auf die Bühne durfte, standen
noch Konzerte vor leitenden Mitarbeitern des Religions- und Kulturministeriums
bevor. Das Risiko für die Veranstalter ist groß. So groß,
erklärte uns ein Botschaftsangestellter, dass der Arbeitsplatz
noch das Geringste ist, was der Betreffende im Falle eines Skandals
verliert. Hier stehen hohe Gefängnisstrafen und Verbannung
als Strafmaßnahmen an der Tagesordnung. Viele Menschen riskieren
viel, um diese Konzerte zu ermöglichen.
Das Vorspiel fand in einem Nebensaal der Vahdat Halle in Teheran
statt. Im Publikum saßen etwa fünfzehn Menschen aus verschiedenen
Bereichen der Iranischen Kultur- und Religionsministerien. Auch
Kamerateams filmten jede unserer Bewegungen. Verwundert stellten
wir fest, dass die Verantwortlichen ständig mit ihren Handys
telefonierten und sich sichtlich nicht wohl fühlten in ihrer
Haut.
Wie uns erklärt wurde, wurde unser Vorspiel per Telefon zu
ranghöheren Mitarbeitern und Mullahs übertragen.
Auch die Fernsehaufnahmen dienten neben der Veröffentlichung
dem Zweck, dem Kulturminister eine Dokumentation zukommen zu lassen.
Unser Konzert war lange vorher ausverkauft gewesen. Vor der Halle
spielten sich tumultartige Szenen ab. Soldaten bewachten die Menschen-
massen, die noch ein Ticket ergattern wollten. Kurz vor Beginn des
Konzertes bekamen wir Besuch der Veranstalter und Zensoren. You
need to make exercise... lautete die Ansage eines Verantwortlichen.
Es begann unangekündigt das zweite Probevorspiel in der Umkleidekabine.
Hektisch wurden die englischen Liedtexte ins Persische übersetzt
und den Verantwortlichen vorgelegt.
Nicht nur Küssen verboten
Nun waren auch wir beunruhigt, und die gesamte Szenerie strahlte
eine unglaubliche Hektik und Nervosität aus. Nun fielen auch
die Entscheidungen, die wir gefürchtet hatten: Kompositionen
und Texte wurden uns verboten. Problematisch waren vor allem Texte
die von Liebe und von Frauen handeln. Das Wort kiss
(Kuss) musste aus allen Texten entfernt und durch etwas Ähnliches
ersetzt werden. Alles drohte nun zu kippen, und auch die Kulturreferenten
der Deutschen Botschaft waren besorgt, dass in letzter Minute nun
doch alle Mühen zunichte gemacht werden könnten.
Schlussendlich hatten wir die Genehmigung, wenn auch mit Einschränkungen,
für unseren Auftritt erhalten. Im Anschluss an ein italienisches
Folklorequintett betraten wir die Bühne. Was folgte, sind Szenen,
die wir wohl alle niemals vergessen werden.
Die Menschen brachen nach jedem unserer Stücke in wahre Begeisterungsstürme
aus und am Ende unseres Konzertes erhielten wir Standing Ovations
der ganzen Halle. Die Medienpräsenz war unglaublich. Etliche
Fernsehkameras und Reporterteams, die uns nach dem Konzert interviewen
wollten. Die iranischen Verantwortlichen waren über den skandallosen
Verlauf sichtlich glücklich und erleichtert ebenso wie
die Deutsche Botschaft und die Band.
Das zweite Konzert verlief ähnlich euphorisch. Ein Duett mit
einem bekannten iranischen Sänger, der unbedingt Strangers
in the night singen wollte, erntete Jubelstürme. Jazz
in Deutschland eine fast vergessene Musikgattung wird
hier als Symbol von Freiheit und Öffnung nach Westen neu beurteilt.
Auch der politische Wert dieser Gastspielreise wird uns aus Sicht
einiger Iraner erst völlig erschlossen. Noch vor zwei
Jahren wären diese Konzerte undenkbar gewesen... Alle die damit
in Verbindung gebracht worden wären, wären im Gefängnis
gelandet, berichtete uns eine junge Frau. Mit diesen
Konzerten wurde eine Tür aufgestoßen, die sich nicht
mehr schließen lässt..., so ein Mann mittleren
Alters.