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nmz-archiv
nmz 2001/03 | Seite 8
50. Jahrgang | März
Kulturpolitik
Vom Stellenwert des Laienmusizierens in der Gesellschaft
Verbände im Wandel: Stirbt die Laienmusik aus? · Von
Stefan Liebing
Acht Millionen Haus-Musikanten, Jugendorchester, Laienchöre
oder Hobby-Volksmusiker gibt es in Deutschland. Belächelt vom
hehren Feuilleton, vernachlässigt von der offiziellen Kulturpolitik
bilden sie die Grundsubstanz unseres Musiklebens. taktlos,
das Radiomagazin der neuen musikzeitung und des Bayerischen Rundfunks
nahm am 2. Februar 2001 um 20.05 Uhr in Bayern2Radio Kontakt auf
(www.nmz. de/taktlos). Einer der Gäste war Stefan Liebing,
Vorsitzender des Lenkungsausschusses der Bundesvereinigung Deutscher
Blas- und Volksmusikverbände e.V. und des Blasmusikverbandes
Baden-Württemberg. Als Betriebswirt und Unternehmensberater
hat er zahlreiche Einrichtungen aus dem Non-Profit-Bereich beraten
und auch für die genannten Verbände ein Gutachten erstellt.
Seit Anfang 2000 ist Liebing für den hauptamtlichen Verbandsbereich
verantwortlich. Für die nmz schreibt er über den Strukturwandel
im Verbandswesen.
Stefan Liebing.
Foto: Martin Hufner
Wenn der wissenschaftliche Beirat beim Bundeswirtschaftsminister
eine Krise des Verbandswesens in der Bundesrepublik feststellt,
dann meinen die Fachleute vor allem die Struktur der Arbeitgeberverbände
und der Gewerkschaften. Viele Erkenntnisse lassen sich aber auf
die Kulturverbände übertragen. Im Wesentlichen sind auch
diese Institutionen nach den Prinzipien des Vereinsrechts organisiert,
die im Jahr 1900 in Kraft traten. Die Gesellschaft des Jahres 2000
können sie damit nicht mehr in der Breite erreichen.
Übereinstimmend konstatieren alle Studien deutlich veränderte
Ansprüche möglicher ehrenamtlich engagierter Verbands-
und Vereinsfunktionäre. Die Shell-Jugendstudie 2000 nennt drei
wesentliche Voraussetzungen, unter denen junge Leute bereit sind,
sich dort zu betätigen: (1) Das Engagement muss Spaß
machen, (2) die Freiwilligen möchten schnell Ergebnisse sehen
können und (3) sie wollen ihr Engagement schnell auch wieder
beenden können, sich nicht langfristig binden müssen.
Das bedeutet, dass sich die Arbeit in den Vereinen der Laienmusik
in den nächsten fünf Jahren grundlegend ändern wird.
Ob dieser Prozess generisch zu leisten ist, hängt wesentlich
davon ab, wie die Dachverbände es schaffen, dabei wichtige
Hilfe- und Serviceleistungen bereitzustellen. Pointiert formuliert:
Die funktionierenden Strukturen und der hohe Organisationsgrad der
Laienmusik werden die nächsten zehn Jahre nur überleben,
wenn die Verbände den Wandel vorantreiben können. Daneben
ist diese Frage nicht nur eine strukturell bedeutsame, sie wird
auch entscheidend dazu beitragen, dass Verbände sich dauerhaft
legitimieren können. Immer stärker erwarten die Mitgliedsvereine
von ihren Dachorganisationen, dass sie vor allem Serviceleistungen
nach innen und Lobbyarbeit nach außen leisten. Nur so lassen
sich auf Dauer auch die Mitgliedsbeiträge rechtfertigen. Musikalische
Projekt- und Wettbewerbsarbeit kann daneben nur Ergänzung sein.
Nicht zuletzt deshalb hat die Bundesvereinigung Deutscher Blas-
und Volksmusikverbände e.V (BDBV) als mitgliederstärkster
Verband im Deutschen Musikrat (11.000 Vereine mit rund 1,3 Mio.
Mitgliedern) bereits im Jahr 1999 das Programm Blasmusik
fit ins neue Jahrtausend aufgelegt. Schon seit über einem
Jahr sind die Verantwortlichen damit beschäftigt, Erkenntnisse
aus dem Programm nun gemeinsam mit hauptamtlichen Mitarbeitern umzusetzen.
Die Befragung von über 1.500 Musikvereinen und Blasorchestern
ergab, dass die Mitglieder bei der Tätigkeit ihrer Verbände
vor allem Wert auf drei Bereiche legen: (1) Die Darstellung der
Interessen von Laienmusikern nach außen, vor allem also Aktivitäten
des Lobbying und der Öffentlichkeitsarbeit sowie der Imagepflege,
(2) die Beratung auf allen Gebieten des Verbandsmanagements, vor
allem die Weiterbildung auf den Gebieten Führung, Pressearbeit,
Steuern und Sozialversicherungsrecht und schließlich (3) die
Förderung der internen Kommunikation, der Bündelung von
Erfahrungen und den Austausch unter den Mitgliedern. Nur mit deutlich
geringerem Gewicht bewerteten die Vereinsvorsitzenden Dienstleistungen
auf musikalischem Gebiet, die Bereiche Ehrungswesen, Zuschüsse
und innere Verwaltung, auf denen die Laienmusikverbände traditionell
stark sind. Vor allem die Forderung nach zunehmend qualifizierter
Beratung erfordert eine Professionalisierung der Verbandsarbeit,
die damit zunehmend auch hauptamtlich organisiert sein muss. Dies
erfordert eine neue Abgrenzung zwischen den Aufgaben ehren- und
hauptamtlicher Verbandsmitarbeiter. Die Wissenschaft des Non-Profit-Management
zieht die Grenze inzwischen eindeutig bei der Umsetzung strategischer
Fragestellungen. Die ehrenamtlichen Gremien müssen die Frage
beantworten, was und in welche Richtungen ein Verband arbeiten soll,
die Entscheidung, wie die Umsetzung zu geschehen hat, muss unbeeinflusst
im hauptamtlich-professionellen Bereich liegen. Dies zieht nach
sich, dass die Szene sich zwangsläufig über die Konzentration
von Ressourcen wird Gedanken machen müssen. Die zersplitterte
Verbandsszene wird sich daran gewöhnen müssen, dass sie
die geforderte steuerliche, rechtliche und Sozialversicherungsberatung
nur dann wird erbringen können, wenn mehrere Verbandsstrukturen
auf ein hauptamtliches Kompetenzzentrum zugreifen können. Ob
das die Dachverbände der Laienmusik sein können, darüber
muss eine Diskussion in Gang kommen. Denkbar wäre auch, unterschiedliche
Themenbereiche bei verschiedenen Verbänden in einer Art Netzwerk
mehrerer Kompetenzzentren anzusiedeln.
Spätestens das Zusammenrücken von Verbänden wird
auch dazu beitragen, dass transparentere Systeme der Kostenrechnung,
des Controlling und damit die Basis für einen überverbandlichen
Effizienzvergleich durch Benchmarkingwerte geschaffen werden müssen.
Die Modernisierung des Verbandsbereichs schließlich ist als
erster Schritt schnell umzusetzen. Nur so geraten die Verbände
in die Lage, ihre Mitgliedsvereine bei der Modernisierung und Umstrukturierung
zu beraten und ihnen dabei zu helfen. Schaffen die Mitgliedsvereine
nicht, den neuen gesellschaftlichen Anforderungen gerecht zu werden,
so ist mit einem dramatischen Strukturwandel in der Laienmusikszene
zu rechnen. Die Bildung von nicht in den Verbänden organisierten
Parallelstrukturen ist dann nur noch eine Frage der Zeit
mit allen Problemen für Ausbildungsqualität, Vergleichbarkeit
und politische Interessenvertretung. In einem ersten Schritt hat
der Blasmusikverband Baden-Württemberg die modulare M-Seminarreihe
konzipiert. Seit Jahresbeginn werden in den Veranstaltungen M1 bis
M4 systematisch Vereinsvorsitzende geschult und für die Modernisierung
fit gemacht.
Eine bedeutsame Rolle spielt auch die Frage der Imagepflege. Der
Laien- und besonders der Blasmusik haftet in der Öffentlichkeit
noch viel zu häufig das Image eines dilettantischen Herrenclubs
an, der das Bierzeltrepertoire pflegt. Dass sich in dieser Szene
in den vergangenen Jahren unglaublich viel verändert hat, ist
der Öffentlichkeit bislang noch zu wenig aufgefallen. Deshalb
wird eine der wich-tigsten Aufgaben der Verbände darin liegen,
mit breiten Kampagnen, durch Pressearbeit und Projekte dazu beizutragen,
dass die Diskrepanz zwischen Image und Realität kleiner wird
und das Sujet Laienmusik auch künftig noch einen großen
Stellenwert in der deutschen Gesellschaftspolitik einnimmt. Schließlich
sind alleine 60 Prozent der in der Bundesvereinigung organisierten
1,3 Mio. Mitglieder Jugendliche.