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nmz-archiv
nmz 2001/03 | Seite 1
50. Jahrgang | März
Leitartikel
Ehrensache
Sie erinnern sich matt? Wir leben gerade im Internationalen
Jahr der Freiwilligen. Das ist die zeitgenössische Umschreibung
für den leicht müffelnden Begriff Ehrenamt.
Bekanntlich besetzt jeder dritte Deutsche solch ein Amt. 22 Millionen
mündige Bundesbürger spendieren kostenlos Zeit und Kraft
für Sport und Politik, für Soziales und Musik. Ohne solches
Engagement wäre beispielsweise die Grundsubstanz unseres Musiklebens,
all die acht Millionen Laienmusiker in Chören, Blaskapellen
oder Liebhaberorchestern, längst versickert und zerronnen.
Trotzdem herrscht Unzufriedenheit über diese milden Gaben.
In Zeiten der Ablaufoptimierung und der gnadenlosen Professionalität
wirkt so mancher Vereins-Vorsitz dilettantisch bestückt. Taffes
Verbandsmanagement fordert Experten. Deshalb sollte der Präsident/die
Präsidentin oder wenigstens die Geschäftsführung
Betriebswirtschaftslehre mit Schwerpunkt Marketing studiert haben.
Die Verteilungskämpfe um die Subventionstöpfe werden schließlich
immer härter.
Und insgesamt könnte es ein bisschen mehr sein meinen
unsere Politiker mit scharfem Blick auf das Einsparpotenzial durch
sogenanntes bürgerschaftliches Engagement. Gerade Kultur und
Bildung ohnehin oft freiwillige Leistungen bieten
sich als teils noch idealistisch besetzte gesellschaftliche Elemente
zur Privatisierung an, zur Verlagerung in die Hobbythek. Die freiwerdenden
Milliärdchen kann man dann publikumswirksam in sogenannte Zukunftstechnologien
investieren: Das putzt. Also schickt man Johannes Rau nach vorn
und lässt ihn mit der Glaubwürdigkeit eines amerikanischen
Fernseh-Predigers verkünden, dass es Dienste gebe, die
weder gekauft noch bezahlt werden könnten, die aber geleistet
werden müssen, wenn unsere Gesellschaft nicht erfrieren soll.
Spürbar direkt aus der Kälte kommend stößt
Familienministerin Christine Bergmann nach und entblödet sich
nicht, ehrenamtliche Tätigkeit als sozialen Kitt
zu denunzieren, der den Zusammenhalt in der Gesellschaft fördere.
Zwischen welchen Kacheln leben wir denn?
Zu den aktuellen Kardinaltugenden unserer Politiker scheint es
zu gehören, sich aus der Verantwortung zu stehlen. Es ist ja
auch viel einfacher, quantitativ zu regieren als sich auf Qualitäten
und Werte festzulegen. Wo der blanke Materialismus herrscht, die
Aktienspekulation zum goldenen Kalb geriet und das Millionenspiel
zum Volkssport wurde, lässt sich mit dem Etat-Argument schnell
ein Theater dicht machen, eine Bibliothek schließen, eine
Musikschule privatisieren. Eine ideell entwertete Gesellschaft
duldet dies achselzuckend. Kostet ja nur. Allerdings darf man sich
nicht wundern, wenn dann das schöne Motto des Freiwilligenjahres
Was ich kann, ist unbezahlbar um
den Halbsatz ergänzt wird: Drum tu ichs auch
nicht.